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Die tote Stadt an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
Die tote Stadt an der Komischen Oper Berlin. Foto: Iko Freese / drama-berlin.de
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Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ an der Komischen Oper Berlin

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In Berlin wurde das frühe Meisterwerk des Brünner Wunderkinds auf dem Wege nach Hollywood nach langem Verstummen im Dritten Reich und in einer der Spät- und Nachromantik des 20. Jahrhunderts abholden Periode wiederentdeckt durch eine ungewöhnliche Inszenierung Götz Friedrichs an der Deutschen Oper Berlin im Jahre 1983, der 2004 eine weniger gelungene Produktion am selben Haus folgte, welches in der vergangenen Saison mit Korngolds „Wunder der Heliane“ fulminant nachsetzte. Zu feiern gab es an der Komischen Oper Berlin nun nicht nur einen szenischen Neuansatz für den frühen Welterfolg, sondern auch Sängerleistungen und den Einstand des neuen GMDs Ainārs Rubiķis.

Szenisch beginnt die Geschichte von der vermeintlichen Wiederkehr einer toten Geliebten in der jüngsten Neuinszenierung mit einem ungewöhnlichen Moment: Paul steht einsam vor dem durch einen Gazeschleier abgetrennten Einheitsspielraum – mit Doppelbett, Kleiderschrank, Konsole, Schminktisch und Sitzgruppe – und im Zentrum als lebendes Bild die Rückblende seines Mordes an der Tänzerin Marietta. Dann betritt Paul sein Zuhause von der Rampe aus.

Bei der Erscheinung der Marie ist nur die Stimme der Sängerin zu hören, die hier – wie häufig praktiziert – identisch besetzt ist mit Marietta; dazu auf der Rückwand das obskure Objekt der Begierde als Schwarz-Weiß-Projektion ohne Lippenbewegungen. Dann fahren die drei Wände des Raumes auseinander, und auch der Plafond mit dem Deckenleuchter hebt sich. Zusätzlich kommt die Drehscheibe zum Einsatz.  

Eine Beerdigung mit Regenschirmen aber ohne Regen findet statt, dann entfernen andere anonym mit Hüten und in Trenchcoats und gewandete Akteure die Möbel. Diese werden bald darauf wieder hereingerollt, nun aber mit Pailletten glänzend überzuckert, während sich Marietta, auf dem Leuchter sitzend, in einem Paillettenregen aufs Bett herabsenkt. Hier wartet auf sie eine sowohl unisex als auch uniform gewandete Gruppe in blauen Paillettenanzügen. Umspielt von einer Formation ebenso gewanderter, fulminant kaskadierender Tänzer (Choreographie: Rebecca Howell), bilden sie jene Darstellertruppe, die sich im Original zu einer Probe des dritten Aktes von Meyerbeers „Robert der Teufel“ trifft. Frank, Pauls Freund und Rivale um die Gunst Mariettas, schlüpft in die Rolle des sich im Kostüm nicht von den anderen Darstellern unterscheidenden Pierrot (Kostüme: Michael Levine).

Beim teichoskopischen Bericht der Prozession im dritten Akt fahren erneut die Wände auseinander, zehn identische Madonnenfiguren mit leuchtenden Heiligenscheinen werden im Kreis herumgetragen. Der Kinderchor ist hingegen nur aus dem Off zu vernehmen. Wenn jedoch im Original die Prozession in Pauls Vision in den Innenraum seines Hauses drängt, schließen sich hier die Wände wieder und zeihen Pauls Kommentar als Wahnvorstellung.

Nachdem Paul Marietta im Affekt erdrosselt hat, senkt sich die schwarze Courtine. Zwei lange Generalpausen trennen die Haupthandlung von der des Nachspiels. Dieses greift dann eine Idee auf, die für diese Opernhandlung bereits vor zweieinhalb Jahren in Magdeburg zu erleben war: die Haupthandlung wird durch die Rahmenhandlung nicht als Albtraum aufgelöst, sondern die Tragik wird als bittere Wahrheit beibehalten.

Dem Problem, dass die Marietta in dieser Szene noch zu singen hat, wurde dort mit damit abgeholfen, dass Holzbläser die Töne ihrer Gesangslinie übernahmen. Regisseur und Ausstatter Robert Carsen geht an der Komischen Oper noch einen Schritt weiter: die Haushälterin Brigitta und Frank treten im Nachspiel zunächst nicht mehr auf, Paul hört nur ihre Stimmen und bespielt sie als Gestalten seiner Fantasie. Ebenso wird die wiederkehrende Marietta von Paul nur als Schemen begrüßt und verabschiedet, auch ihre Stimme erklingt aus dem Off. Dann jedoch treten Frank und Brigitta in weißen Kitteln als Pflegepersonal auf: Franks Aufforderung an Paul, Brügge, die Stadt des Todes, zu verlassen, ist ein hinterhältig-hintergründiger Hinweis auf seine Einlieferung in eine geschlossene Anstalt.

Trotz der von ihm ausgelösten, heftigen Emotionen ist Ainārs Rubiķis, der neue musikalische Chef des Hauses, merklich bemüht, die Klangwallungen des groß besetzten Orchesters – mit außerhalb des Grabens platzierter Celesta und Harfe – immer wieder herunterzudämpfen. Mit präziser Schlagtechnik ist er für die Solist_innen und den Chor ein trefflicher Partner.

Die Doppelpartie Marietta und Marie meistert die amerikanerische Sopranistin Sara Jakubiak stimmlich ohne Abstriche, allerdings mit wenig Textverständlichkeit. In dieser Hinsicht liefert der Tenor Aleš Briscein, an der Komischen Oper zuletzt als Lenski zu erleben, eine ungleich bessere Leistung; mit seiner mühelosen Stimmgebung und sauberen Diktion ist er fürs (leichtere) Wagner-Fach prädestiniert.

Überdurchschnittlich gut besetzt ist die sonst oft farblose Rolle der Brigitta mit Maria Fiselier, und der Bariton Günter Papendell wertet mit kraftvollem Zugriff die Auftritte Franks zu eigenen Höhepunkten des Abends auf. Der Chor (einstudiert von David Cavelius, der Kinderchor von Dagmar Fiebich) singt souverän und spielt diesmal vergleichsweise verhalten. Das Orchester war am Premierenabend zwar nicht immer zusammen und in den Bläsern gab es auch einige Ausrutscher, aber insgesamt vermittelt die Einstudierung ein homogenes, rauschhaftes Bild des wunderkindlichen Klangzauberers Erich Wolfgang Korngold.

Regisseur und Ausstatter Robert Carsen hat eine saubere, gleichwohl häufig zu routiniert wirkende Arbeit geliefert, und das mit einer Lesart, die weder verblüfft noch im Sinne eines Psychothrillers den Zuschauer in Bann schlägt.

Am Ende dankbarer Beifall des Publikums für alle Beteiligten, ein wenig schwächer und geteilt für das Regieteam. Insgesamt aber ein Hoffnung erweckender Spielzeit-Auftakt.

  • Weitere Aufführungen: 6., 14., 31. Oktober, 18. und 28. November 2018.

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