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Mariss Jansons: „Es geht nicht um den Blutdruck“

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Kaum ein Dirigent aus seiner Liga kümmert sich so intensiv um Opern-Einstudierungen wie Mariss Jansons.
Kaum ein Dirigent aus seiner Liga kümmert sich so intensiv um Opern-Einstudierungen wie Mariss Jansons. © Foto: Peter Meisel /BR

Oper ist bei ihm der Ausnahmefall - und das, obwohl er sich in diesem Genre fast am wohlsten fühlt, aber auch auf lebensgefährdende Erfahrungen zurückblicken muss. Ein Gespräch mit Mariss Jansons zu seiner Salzburger Schostakowitsch-Premiere.

Salzburg - Er war schon vor Beginn der Salzburger Arbeitsphase in Wien, zu Vorproben mit den dortigen Philharmonikern. In Salzburg nahm Mariss Jansons dann manchmal täglich an drei szenischen Proben teil. Kaum ein anderer Dirigent aus seiner Liga kümmert sich so intensiv um eine Opern-Einstudierung. Ab 2. August ist das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Anstrengung bei den Salzburger Festspielen zu erleben, dann hat im Großen Festspielhaus „Lady Macbeth von Mzensk“ von Dmitri Schostakowisch Premiere. Ein trotz allem entspannter, gelöster Dirigent empfängt in seinem Salzburger Hotel zum Tee.

Vor einem guten Jahr haben Sie zuletzt Oper dirigiert, in Amsterdam Tschaikowskys „Pique Dame“. Und wer Sie beobachtete, gewann den Eindruck: Oper macht Ihnen den größten Spaß.

Mariss Jansons:

Das stimmt, sie ist meine große Leidenschaft. Sie kennen ja meine Kindheit. Mein Vater war Dirigent in Riga, ich bin quasi in der dortigen Oper aufgewachsen. Ich will überhaupt nicht klagen über meine Karriere. Aber Chefdirigent von zwei Orchestern gleichzeitig zu sein, hat es mir nicht erlaubt, mehr Oper zu dirigieren. Jetzt wird das vielleicht anders.

Und warum hört man von Ihnen keine „Tosca“, keinen „Maskenball“, keine „Salome“?

Jansons:

Ich glaube, die Veranstalter wollen von mir vor allem russisches Repertoire hören. Das ist wie bei Riccardo Muti und Verdi. Außerdem liegt mir einfach viel an den vier größten russischen Opern, die insgesamt gesehen zu den zehn besten überhaupt gehören. Ich meine damit „Lady Macbeth von Mzensk“ von Schostakowitsch, „Pique Dame“ und „Eugen Onegin“ von Tschaikowsky sowie Mussorgskis „Boris Godunow“, der sicher noch kommen wird.

Während einer Aufführung von Puccinis „La bohème“ erlitten Sie 1996 in Oslo einen schweren Herzinfarkt. Scheuen Sie dieses Stück nun?

Jansons:

Nein, ich möchte es unbedingt wieder dirigieren. Meine Frau ist allerdings dagegen, obwohl sie das Stück sehr liebt. Ich kämpfe da ein bisschen. Natürlich sind damit schreckliche Erinnerungen verknüpft. Ich verstehe sie. Diese Unglücksvorstellung liegt nun sehr lange zurück. Ich hätte „La bohème“ ein Jahr nach dem Infarkt wieder dirigieren können. Aber die starken Emotionen, die Erinnerungen, damals wäre das vielleicht nicht gut gewesen...

Wenn Sie an die „Lady Macbeth“ denken: Ist Schostakowitsch eine gefährliche Musik? Weil man sich zu einer Hyperemotionalität verführen lassen könnte, zum Kontrollverlust?

Jansons:

Wissen Sie, es geht beim Thema Kontrolle für einen Dirigenten weniger darum, wie hoch der Blutdruck oder der Puls ist. Man muss musikalisch kontrollieren. Emotion ist wichtig. Aber um die zu dosieren, das habe ich gelernt, sollte man nicht zu große Bewegungen machen und nicht ständig Crescendi oder ein Forte herausfordern. Auf der anderen Seite darf man einem Dirigenten die Absicht nicht anmerken, dass er dauernd dämpfen möchte und vorsichtig ist. Eine Balance in der Körpersprache zu finden, ist hier sehr schwer. Die Ausstrahlung eines Dirigenten ist daher sehr wichtig. In der Oper geht es außerdem darum, die Solisten zu inspirieren. Deshalb sitze ich in allen szenischen Proben. Dabei lerne ich, wie sich die Sänger ihre Partien einteilen. Ich erfahre, wo man loslassen kann oder wo man vielleicht helfen muss. Ein wahnsinnig interessanter Prozess.

Schostakowitsch galt als schüchtern. Wie kann man dann so eine Musik schreiben?

Jansons:

Das ist kein Widerspruch. Ich glaube, dass sich in vielen Fällen die äußerliche Wirkung eines Menschen von seinem Inneren unterscheidet – aus vielerlei Gründen. Schostakowitsch hatte ein sehr großes Herz, war voller Liebe und Leid, konnte dies aber schlecht zeigen. Seine Verschlossenheit hängt auch mit der politischen Situation zusammen. Er hatte ständig wahnsinnige Angst. Aber er liebte Frauen, trank auch ganz gern. Und wenn er in einer kleinen Gesellschaft war, ging er schon aus sich heraus. Ich bin absolut davon überzeugt, dass seine Musik ihm total entspricht, die ist nicht künstlich hergestellt.

Nikolaus Harnoncourt meinte, um Schubert oder Bruckner ganz zu verstehen, müsse man auch spüren, wo diese Komponisten aufgewachsen sind. Man muss ihre Wurzeln erfühlt, die Berge und Täler geschaut haben. Kann ein Amerikaner Schostakowitsch genauso gut dirigieren wie ein Russe?

Jansons:

Mit Nationalität hat das nichts zu tun, sondern mit der Atmosphäre, mit dem Umfeld, in dem man aufgewachsen ist. Ich bin kein gebürtiger Russe, lebe aber dort seit meiner Kindheit. Vielleicht ist es daher für mich leichter, manches zu verstehen. Trotzdem glaube ich auch an einen abstrakten Charakter von Musik. Daher spielen Fantasie und Instinkt eine sehr große Rolle. Wenn also ein Dirigent aus Chile oder Ecuador talentiert ist und eine starke musikalische Intuition hat, kann er sich auch bei Schostakowitsch wunderbar ausdrücken. Gerade deshalb gehört zu den Aufgaben eines Dirigenten nicht nur das Partiturstudium. Er muss sich auch informieren über den Komponisten, seine Herkunft, seine Stellung, seine Eigenheiten und über sein Umfeld. Manche meinen ja, französische Musik können nur Franzosen gut interpretieren. Das ist total falsch. Und als ich einmal Tschaikowskys Fünfte mit meinem BR-Symphonieorchester aufgeführt habe, fand ich das unglaublich. Die Musik saß so tief in ihnen drin, fast wie eine Beethoven-Symphonie. Ich habe die Probe unterbrochen und gesagt: „Ich bin so unglaublich glücklich, ich habe das nicht erwartet. Wir müssen nach Russland fahren und dort zeigen, wie wir Tschaikowsky spielen.“

Wenn Ihnen als Dirigent die Balance so wichtig ist – mussten Sie das erst lernen?

Jansons:

Ich wollte nie krampfhaft etwas anderes machen. Ich bin irgendwann zu der Einstellung gekommen: Ich mache es so, wie ich bin. Und wenn man Schwächen hat, dann steht man eben dazu. Schon zu Beginn meiner Laufbahn habe ich mit jungen Kollegen darüber diskutiert, was das Wichtigste einer Aufführung ist. Es ist der sehr große, ehrliche Ausdruck.

Aber der Musikmarkt treibt doch mit der Wiederholung des immer gleichen Repertoires zur Extravaganz.

Jansons:

Das mag stimmen. Ich will nicht über Kollegen sprechen und ihre Motivation. Darüber, ob Inspiration oder nur die Lust am Beeindrucken dahintersteht. Aber nehmen Sie den so extremen Glenn Gould. Bei ihm fühlt man sofort: Er war ein Genie.

Sie sind auch durch teilweise diktatorische Dirigenten geprägt worden. Haben Sie sich, typisch Jugendlicher, einmal gesagt: So wie diese Vätergeneration will ich nicht werden?

Jansons:

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