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"Madama Butterfly" als  Geschichte eines Traumas

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Gefangen in der Erinnerung: Celine Byrne (Cio-Cio-San, links) und Jessica Kirstein (ihre Seele).
Gefangen in der Erinnerung: Celine Byrne (Cio-Cio-San, links) und Jessica Kirstein (ihre Seele). © N. Klinger

Giacomo Puccinis berühmte Oper wurde in Kassel von Jan-Richard Kehl neu inszeniert. Die musikalische Leitung hat Joakim Unander.

 Privates ist niemals nur privat. Schon gar nicht die traurige Geschichte von Cio-Cio-San, genannt Butterfly, in Giacomo Puccinis berühmter Oper „Madama Butterfly“. Die Tragödie der jungen Geisha, die glaubt, mit dem amerikanischen Leutnant Pinkerton eine „amerikanische“ Ehe geschlossen zu haben und nicht eine in Japan um 1900 übliche Verbindung auf Zeit, wird zum persönlichen Drama erst vor dem Hintergrund des Aufeinanderprallens zweier Kulturen.

Bei der Kasseler Neuinszenirung, die am Samstag im ausverkauften Opernhaus Premiere hatte, wird Puccinis realistisch erzählte Geschichte dekonstruiert. Regisseur Jan-Richard Kehl macht daraus einen Opernabend über Traumatisierungen. Diesem Konzept fällt zwar die Handlungslogik zum Opfer, dafür ergeben sich aber spannende Einsichten. Kehl spaltet die Figur der Cio-Cio-San auf. Eine älter gewordene, ab dem zweiten Akt sogar greisenhafte Frau fantasiert die Geschichte ihrer Beziehung erneut (zum wievielten Mal?), während ihre Seele als junge Frau pantomimisch agiert.

Diese Konstellation wurde bei der Premiere noch komplizierter durch den Umstand, dass die erkrankte Protagonistin, Celine Byrne, ebenfalls nur stumm spielen konnte, während vom Bühnenrand aus die kurzfristig eingesprungene Sopranistin Soojin Moon sang.

Sang die Titelrolle vom Bühnenrand ein: Soojin Moon
Sang die Titelrolle vom Bühnenrand ein: Soojin Moon © privat

Doch halt: Hat sich Cio-Cio-San nicht das Leben genommen, als sie nach Jahren erfährt, dass Pinkerton eine neue Frau hat und das gemeinsame Kind von ihr fordert? Oder fantasiert hier etwa eine alte Frau, was sie besser getan hätte? Das bleibt ebenso offen wie die Art der Beziehung zwischen Cio-Cio-San und ihrer (ebenfalls gealterten) Dienerin Suzuki.

Immer durchlässiger werden die Grenzen zwischen Traum und imaginierter Realität. Doch gerade dabei gelingen Kehl eindringliche Bilder für Cio-Cio-Sans Zerrissenheit im Niemandsland zwischen den Kulturen, ihre Einsamkeit – und ihren Realitätsverlust: Denn sie hat gar kein Kind, sondern nur eine glubschäugige Puppe, auf die die verlassene Frau ihre Sehnsüchte projiziert.

Dass auch Pinkerton, der anfangs im Kampfanzug auftritt (Kostüme: Annette Braun), ein (Kriegs-)Traumatisierter ist, kann man ahnen. Doch seinen Charakter wie auch den des Konsuls Sharpless zeichnet die Regie zu wenig klar und verzettellt sich stattdessen in Nebensächlichkeiten, etwa in ein Spiel mit Luftballon-Fischen. Auch eine Videoprojektion in das leicht schäbige Haus Cio-Cio-Sans (Bühne: Ralf Käselau), eigentlich Realitätsanker der Inszenierung, befremdet.

In keiner seiner Opern hat Puccini eine solche Perfektion der Charakterzeichnung und Nuancierung gefunden wie in „Madama Butterfly“ – und dabei exotische Klänge integriert. Joakim Unanders war als Dirigent besonders bemüht, die filigrane Farbigkeit der Musik wirken zu lassen, Sänger und Orchester gut auszubalancieren. Im ersten Akt geriet das jedoch zu statisch, auch fehlte es an Dringlichkeit. Allerdings nahm die Spannung nach der Pause zu.

An Emotion und Ausdruckskraft mangelte es Gastsängerin Soojin Moon in keiner Sekunde. Vortrefflich verband sie Intensität und Wohlklang – und erhielt spontane Bravos für die Arie „Un bel dì, vedremo“. Mit den beiden Akteurinnen ergab sich ein toller Dreiklang. Ebenfalls stimmstark, jedoch nicht so variabel präsentierte sich Merunas Vitulskis als Pinkerton, während Hansung Yoo mit wunderbar ausdrucksvollem Bariton den Konsul Sharpless gab. Sie ragten aus dem guten Ensemble samt Opernchor heraus. Das Premierenpublikum spendete freundlichen Beifall – mit einzelnen Buhs für die Regie.

Ensemble: Cio-Cio-San: Celine Byrne (Aktion), Jessica Kirstein (Seele), Soojin Moon (Gesang), Suzuki: Marta Herman, Pinkerton: Merunas Vitulskis, Kate Pinkerton: Maren Engelhardt, Sharpless: Hansung Yoo, Goro: Bassem Alkhouri, Yamadori: Dong-Kun Kim, Onkel Bonzo: Dieter Hönig, Yakusidé: Hakan Ciftcioglu, Kaiserl. Kommissar: Hee Saup Yoon, Mutter Cio-Cio-Sans: Lona Culmer-Schellbach, die Cousine: Karola Sophia Schmid, die Tante: Tae Ozaki.

Wieder am 12., 22. und 30.12., Karten: 0561 / 1094-222.

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