Oper Frankfurt: Händels „Rodelinda“ – …. verzweifelt, aber nicht mutlos

Oper Frankfurt/RODELINDA/ Andreas Scholl (Bertarido) und Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio)/ Foto @ Monika Rittershaus

Premiere von Georg Friedrich Händels Oper Rodelinda an der Oper Frankfurt am 12. Mai 2019 unter der musikalischen Leitung von Andrea Marcon und in der Inszenierung von Klaus Guth.

Für diese Oper lohnt ein Blick in die Geschichte. (Rezension der Premiere v. 12.5.19

 

Bei Rodelinda handelt es sich um ein Dramma per musica in drei Akten, Text von Nicola Francesco Haym, basierend auf dem Libretto von Antonio Salvi (1710) nach der Tragödie „Pertharide, roi des Lombards“ (1652) von Pierre Corneille. Uraufführung am 13. Februar 1725 am King`s Theatre am Haymarket in London.

Als „Rodelinda, Königin in der Lombardey“ gelangte die Oper erstmals am 29. November 1734 auf den Spielplan der Hamburger Oper am Gänsemarkt – dort mit deutschsprachigen Rezitativen von Christoph Gottlieb Wend, der bereits 1729 einen ähnlichen Stoff, Stefano Ghigis Libretto „Flavio Bertarido, Re de’ Longobardi“ (Venedig 1706, Musik von Carlo Francesco Pollarolo) für Georg Philipp Telemann eingerichtet hatte. Unter Leitung Telemanns wurde diese Inszenierung bis 1736 noch viermal wiederholt.

Porträt Georg Friedrich Händel (1685-1759) v.Balthasar Denner (@ Wikipedia/gemeinfrei) 

In einer Hamburger Zeitung vom 26. November 1734 wurde die Premiere wie folgt angezeigt:

Denen Liebhabern Musicalischer Schauspiele wird hiemit zu dienstlicher Nachricht vermeldet, daß nächstkünfftigen Montag, den 29. Nov., auf dem hiesigen Schauplatze eine neue Opera, Rodelinda betitult, zum erstenmahl aufgeführet werden soll: Sie ist von der Composition des so berühmten Hrn. Hendell, und sonst an Intriguen und übriger Beschaffenheit ein so fürtreffliches Stück, daß solche auch den allerschönsten jemahls präsentirten, mit Recht den Wettstreit anbieten kan“. (Hamburger Relations Couriers)

In der Neuzeit kam Rodelinda erstmals in deutscher Sprache am 26. Juni 1920 bei den Göttinger Händel-Festspielen auf den Spielplan. Es war die erste Aufführung einer Händel-Oper im zwanzigsten Jahrhundert. Die erste Aufführung des Stückes in historischer Aufführungspraxis fand am 23. Juni 1988 bei den Bruchsaler Barocktage mit La Stagione Frankfurt unter der Leitung von Michael Schneider statt.

Vorgeschichte der Handlung

Ariberto, König der Langobarden, hat vor seinem Tod sein Reich zwischen seinen beiden Söhnen aufgeteilt, Gundeberto soll in Pavia herrschen, Bertarido in Mailand. Die Tochter Eduige wird nicht berücksichtigt, wir schreiben das Jahr 665. Streit bricht aus, Gundeberto ruft Grimoaldo, den Herzog von Benevento zu Hilfe, diesem wird dafür die Hand von Eduige versprochen. Noch vor dem Eintreffen Grimoaldos tötet Bertarido seinen Bruder. Er muss fliehen und lässt seine Frau Rodelinda und seinen Sohn Flavio zurück. Von seinem Zufluchtsort aus lässt er die Nachricht von seinem Tod verbreiten, macht sich aber inkognito auf den Weg zurück nach Mailand, um Frau und Sohn zu retten. Unterdessen besteigt Grimoaldo den Langobardenthron.

Zitat von Nicola Francesco Haym im Vorbericht zum Libretto: „Alles ist aus der Geschichte der Langobarden des Paulus Diaconus entlehnt bis zur Ankunft Bertaridos in Mailand, mit der die Handlung beginnt; was dann folgt, ist erfunden.“

Oper Frankfurt/RODELINDA/Lucy Crowe (Rodelinda) und Andreas Scholl (Bertarido)/Foto @ Monika Rittershaus

Die Handlung

Grimoaldo, ursprünglich mit Bertaridos Schwester Eduige verlobt, wirbt um Rodelinda, die Königin der Lombarden, nachdem sich die Nachricht vom Tod ihres Mannes Bertarido verbreitet hat. Doch Rodelinda will ihrem Mann über dessen Tod hinaus die Treue halten. Grimoaldos Verbündeter Garibaldo schreckt nicht davor zurück, Rodelindas Sohn Flavio als Geisel zu nehmen, um sie zu einer Heirat zu zwingen. Sein Freund Garibaldo unterstützt ihn dabei, wiederum mit massiven eigenen Interessen: Er will durch eine Verbindung mit der dann freiwerdenden Eduige, der Schwester des Königs, seinerseits in die reiche Familie einheiraten. Als der für tot gehaltene Bertarido inkognito nach Mailand zurückkehrt, um Frau und Kind zu retten, muss er mit ansehen, wie Rodelinda auf Grimoaldos Antrag eingeht – jedoch nur zum Schein. Der eifersüchtige Bertarido gibt sich Rodelinda zu erkennen, Grimoaldo ertappt die Beiden und lässt Bertarido in den Kerker werfen. Rodelinda und Eduige befreien Bertarido, der kann einen heimtückischen Anschlag Garibaldos auf Grimoaldo verhindern und tötet dabei Garibaldo. Aus Dankbarkeit überlässt Grimoaldo Bertarido den Thron in Mailand, heiratet Eduige und begnügt sich mit der Herrschaft in Pavia.

Die Inszenierung

Die Koproduktion, die 2017 in Madrid Premiere hatte, kam nach Barcelona und Lyon jetzt an die Oper Frankfurt und geht 2020 an die Oper Amsterdam. Eine schöne und sinnvolle europäische Zusammenarbeit, die es den einzelnen Häusern ermöglicht, trotz eines umfangreichen Spielplans Einsparungen zu generieren.

Oper Frankfurt/RODELINDA/unten Jakub Józef Orliński (Unulfo) sowie oben Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio) mit Maskenfiguren/Foto @ Monika Rittershaus

Die heimliche Hauptrolle in dieser Händel-Oper spielt eine Figur, die nicht einen Ton zu singen hat. Klaus Guth inszeniert aus der Sicht des Kindes Flavio. Dieser spielt eine sehr prekäre Rolle, wird benutzt, er ist eine Schlüsselfigur. Es ist Rodelindas kleiner Sohn, der in der Inszenierung nicht nur auf der Bühne omnipräsent ist. Denn die kindlichen Bilder, die der Knabe malt, werden zudem immer wieder auf den weißen klassizistischen Palazzo projiziert, den Christian Schmidt ersonnen hat und den wir dank der Drehbühne von gleich drei Seiten bewundern können: Da sind die zwei übereinander liegenden Zimmer des großbürgerlichen Heims, das Treppenhaus und die Vorderansicht, alles in Weiß. Ganz im Gegensatz zur Kleidung der Figuren. Diese sind fast ausschließlich in Schwarz gekleidet, sehr elegant. Lediglich Rodelinda bewegt sich später in einem weißen Kleid. Die Geister der Ahnen spuken immer wieder durch die Szene.

Die Geister der Ahnen, jedem einzelnen der Protagonisten zugeordnet, sind ausgestattet mit Schwellköpfen, die optisch den Kinderzeichnungen gleichen. Sie scheinen nur dem Kind in dessen Phantasie sichtbar zu sein. Man denkt es ist ein Kind, aber Claus Guth hat für diese Produktion einen kleinwüchsigen Darsteller gefunden, und er hat diesen Darsteller eigentlich die ganze Zeit auf der Bühne sein lassen. Er hat es geschafft, alles Geschehen aus seiner Sicht zu spiegeln. Flavio, der stumme Beobachter der Machenschaften, spricht in seinen vollkommen ehrlichen Kinderbildern und den darin zum Ausdruck kommenden Sehnsüchten und Wahrheiten all die Zusammenhänge aus, von denen die politisch korrekten wie korrupten Erwachsenen schweigen müssen.

Der Mann der Königin der Longobarden, seiner Mutter, gilt als tot, und der nächste Tyrann, Grimoaldo, steht schon vor ihrer Tür und möchte Rodelinda heiraten, weil er den Thron haben möchte. Und Rodelinda steckt in einem Dilemma. Sie will diesen Mann nicht haben, weil sie Bertarido treu bleiben möchte und weil sie ja auch die Mutter des rechtmäßigen Thronfolgers Flavio ist. Und darum sagt sie: Wenn du mich heiraten möchtest, dann bring meinen Sohn um, dann weiß jeder, wer du bist. Kein Wunder, dass dieser autistisch-psychotische Junge, welcher sich bald in Schockstarre befindet, bald in beinahe zirkusartistische Aktionen verfällt am Ende sich als derjenige erweist, der während der Handlung einen unübersehbaren inneren Schaden erlitten hat.

Die einzelnen Bilder sind greifbar aus der Handlung heraus entwickelt, es entsteht eine groteske Familiensituation während des Essens. Bertarido sieht in seiner Phantasie die neue harmonische Familie am Frühstückstisch, Grimoaldo, Rodelinda und Flavio. Er scheint sich unsichtbar zwischen ihnen bewegen zu können. Immer wieder erstarren die drei in ihren Bewegungen, so, als würde ein Film angehalten, das Brot in Mundhöhe schwebend. Eine faszinierende Szene.

Nach allerhand Verwicklungen, während der Bertarido, der Totgeglaubte, in die Familie zurückkehrt, gibt es natürlich ein Happy End aller überlebenden Protagonisten. Die angebrachten Zweifel, ob denn nun aber wirklich alles gut ist, inszeniert Claus Guth wiederum galant und aus der Perspektive Flavios. Denn während die Sänger sich dem Lieto fine hingeben, tauchen erneut die mit übergroßen Köpfen – so „sieht“ der malende Flavio seine erwachsene Umwelt – ausgestatteten Doppelgänger der Hauptfiguren auf: Die Großköpfigen gehen bereits wieder munter mit Messern aufeinander los begleitet vom Schlusschor Dopo la notte oscura – Wie leuchtend hell und lieblich.

Und die Zuschauerin erinnert sich daran, dass es Bertarido war, der zunächst seinen Bruder Gundeberto ermordete und später dann Garibaldo.

Oper Frankfurt/RODELINDA/Lucy Crowe (Rodelinda), Maskenfigur (Tänzer) und Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio; kniend)/ Foto @ Monika Rittershaus

Die Musik

Der Musik lässt Claus Guth in seiner ungemein geradlinigen, schnörkellos klaren und mätzchenfreien, dabei aber auch wirklich kunstvollen, subtil humorigen und imaginativen Regiearbeit den ihr gebührenden Raum.

Gespielt wird auf historischen Instrumenten, es gab Blockflöte, Traversflöte und natürlich wird so gespielt, wie es die historisch informierte Aufführungspraxis derzeit sagt. Das 28-köpfige Orchester ergänzt um eine Continuo-Gruppe aus Cembalo, Laute, Barockgitarre und Violoncello, alle Musiker des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters, spielt im hochgefahrenen Orchestergraben. Andrea Marcon selbst spielt ein Cembalo.

Die Sängerinnen und Sänger

Die größte Ausdrucksvielfalt behält Händel der Titelheldin selbst vor. Die Musik unterstreicht Rodelindas (Lucy Crowe) außerordentliches moralisches und dramatisches Format, von den Abgründen tiefster Trauer bis zu den Ausbrüchen größter Wut: In Morrai sì, l’empia tua testa si, einer Schimpfkanonade gegen Garibaldo, lässt allein schon die Fülle musikalischer Ideen, die aus sechs verschiedenen Motiven besteht, die alle schon im Vorspiel miteinander verknüpft sind, darauf schließen, dass sie ihren Peinigern mehr als nur gewachsen ist. Lucy Crowe, eine lyrische Sopranistin, hat eine in der Höhe sehr große Stimme, wirklich beeindruckend auch als Darstellerin.

Die Musik zu Bertaridos (Countertenor Andreas Scholl) erstem Auftritt ist die wohl heute bekannteste der Oper. Sein Accompagnato Pompe vane di morte! und die Arie Dove sei? amato bene! sind zu einem Paradestück heutiger Countertenöre in Solo-Konzerten. Es war ein wunderbarer Abend mit und für Andreas Scholl, dessen schöner Alt und seine Bühnenpräsenz wirklich überzeugend sind.

Oper Frankfurt/RODELINDA/v.l.n.r. Martin Mitterrutzner (Grimoaldo) und Božidar Smiljanić (Garibaldo)/Foto @ Monika Rittershaus

Händel charakterisiert seine beiden Bösewichter sehr deutlich, sie heben sich jedoch klar voneinander ab. Garibaldo (Bassbariton Božidar Smiljanić) ist ein unverbesserlicher Zyniker und unreflektierter Schurke. Seine beiden Arien Di Cupido impiego i vani und Tirannia gli diede il regno stellen Ausbrüche düsterer Grobheit dar, voll finsterer Bravour, mit zahlreichen Unisono-Passagen, wenig Harmonie und großen Intervallsprüngen. Seine oberflächliche Natur wird auf diese Weise anschaulich dargestellt.

Grimoaldo (Tenor Martin Mitterrutzer) indes ist eine weitaus komplexere Figur, ein geistig gestörter Tyrann, den Gewissensbisse quälen. Seine ersten beiden Arien, Io già t’amai und Se per te giungo a godere lassen ihn noch als selbstbewussten Herrscher erscheinen, sie stehen in Dur. Doch als sich im zweiten Akt herausstellt, dass Bertarido am Leben ist, gehen ihm die Nerven durch und seine Musik wendet sich den Molltonarten zu. Sein Aufbrausen in Tuo drudo e mio rivale hat obendrein den Effekt, die tiefe Schmerzlichkeit des Abschiedsduetts Io t’abbraccio von Rodelinda und Bertarido, welches nach einem kurzen Rezitativ direkt darauf folgt und den zweiten Akt beschließt, zu intensivieren. Martin Mitterutzer singt seine erste Händel-Rolle und er tut das, als hätte er nie etwas anderes als wundervolle Koloraturen gesungen. Großartig, mein Favorit an diesem Abend.

Auch der Unulfo (Jakub Józef Orliński) ist besetzt mit einem Counter-Tenor. Es ist eine relativ kleine Rolle, die er hier zu singen hat als langobardischer Edelmann, Grimoaldos Ratgeber und heimlicher Freund Bertaridos. Er macht das stimmlich zweifelsfrei sehr gut, aber leider hat er mir als Darsteller überhaupt nicht gefallen. Ich fühlte mich immer an Charlie Chaplin oder auch Buster Keaton erinnert. Wieviel davon der Inszenierung geschuldet war, vermag ich nicht zu sagen. Auf jeden Fall überflüssig waren seine artistischen Einlagen, er ist ja als Breakdancer bekannt.

Katharina Magiera singt die Eduige mit ihrer wundervollen Altstimme, samtweich, rund, perfekt. Sie ist eine sehr elegante Darstellerin und trug, ich muss es erwähnen, mit ihren roten Handschuhen zum einzigen (optischen) Farbklecks der Inszenierung bei.

Last but not least der Star und Publikumsliebling des Abends: Flavio, gespielt von Fabián Augusto Gómez Bohórquez. Überzeugender als er kann man diese Rolle nicht spielen. Während von Spielort zu Spielort unterschiedliche Sänger auf der Bühne stehen, reist er mit der Produktion durch Europa. Und das ist gut so.

Erwähnen möchte ich noch die, ohne die eine solche Produktion nicht möglich wäre: Szenische Einstudierung – Axel Weidauer, Bühnenbild und Kostüme – Christian Schmidt, Licht – Joachim Klein, Video – Andi A. Müller, Choreografie – Ramses Sigl, Dramaturgie – Konrad Kuhn.

Die Maskenfiguren wurden dargestellt von Gal Fefferman, Evie Poaros, Manuel Gaubatz, Volodymyr Mykhatskyi, Michael Schmieder und Markus Gläser.

 

  • Rezension von Angelika Matthäus/Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Weitere Infos, Termine und Kartenvorverkauf unter DIESEM LINK
  • Titelfoto: Oper Frankfurt/RODELINDA/Lucy Crowe (Rodelinda), Maskenfigur (Tänzer) und Fabián Augusto Gómez Bohórquez (Flavio; kniend)/ Foto @ Monika Rittershaus
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Ein Gedanke zu „Oper Frankfurt: Händels „Rodelinda“ – …. verzweifelt, aber nicht mutlos

  1. Barockopern sind nicht unbedingt meine Favoriten, aber seit ich die Rezension von Angelika Matthäus gelesen habe, packt mich doch die Neugier. Die Facetten der Handlung und der handelnden Personen in dieser Oper scheinen höchst sehens- und hörenswert. Habe die Rezension mit wachsendem Interesse und Vergnügen gelesen…

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