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Oper Frankfurt: Der Gott und die Zaubertricks

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Dionysos trickst, der Kinderchor schaut zu.
Dionysos trickst, der Kinderchor schaut zu. © Monika Rittershaus

Sylvain Cambreling und Johannes Erath bringen Karol Szymanowskis Oper „Król Roger“ zur fesselnden Frankfurter Erstaufführung.

In den herbeigesehnten Gefilden der Verzauberung und Verführung gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Das ist leichter getan als gesagt, wenn eine Oper wie Karol Szymanowskis „Król Roger“ auf eine Überwältigung zielt, die stumm macht, zugleich aber kompliziert ist, weit entfernt von bequemen Angeboten, ein mysteriöses Mysterium. Der Titelheld folgt ihm ja auch nicht, dem Zauber, und wird es nicht betreten, das „Land der Ekstase“, und der Regisseur erst recht nicht, und dies keineswegs in einem verunglückten Widerspruch zur Musik. Vielmehr wird so der Weg für den wahren Zauberer und Verführer frei, der im Orchestergraben hockt. Johannes Erath macht in seiner Inszenierung nicht ansatzweise den Versuch, mit dem Komponisten Szymanowski und dem Dirigenten Sylvain Cambreling zu konkurrieren.

Zum ersten Mal an der Oper Frankfurt

„Król Roger“, 1926 uraufgeführt, insgesamt selten inszeniert und an der Oper Frankfurt nun zum ersten Mal gezeigt, ist die einzige Oper Szymanowskis und so geartet, dass sich auch der Komponist selbst beim Anhören überwältigt zeigte. Er gewinn den – für einen Schöpfer dennoch traurigen – Eindruck, er habe so etwas nur dieses eine Mal schaffen können. Einem einfachen, aber imposanten (ost-)kirchlichen Beginn mit A-cappella-Chor folgt eine völlige Auflösung dieser verlässlichen Strukturen – sie kehren auch an keiner Stelle mehr wieder. Das Thema christliche Kirche ist in dieser polnischen Oper ein paar Minuten restlos abgehandelt. Nun geht es hin zu freien, mäandernden, teils orientalisierenden Formen. Die Form ist die Formlosigkeit, alles steht für sich, wie auch alle Figuren nun ihre eigenen Erlebnisse haben, und Erlebnisse ist ein Euphemismus, wenn man bedenkt, dass die Auflösung von dem, was bisher war – außer dem ewig jungen Gott sind das gestandene Leute –, absolut ist und sich auch nicht mehr umkehrt.

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Der verblüffende Schluss ist Verklärung und Aufklärung zugleich. Nicht umsonst geht es zurück zum großen C-Dur. Man kann das kaum hören, ohne mitzudenken, dass an dieser Stelle auch der Librettist – Szymanowskis junger Verwandter Jaroslaw Iwaszkiewicz – befremdet war, denn der Komponist (und Literat) schrieb sich hier entgegen der ursprünglichen Pläne sein ganz eigenes Happyend. Roger bleibt nicht unentschlossen oder ambivalent zurück, vielleicht im Begriff, der forttanzenden Schar doch noch zu folgen. Nein, er geht stattdessen dem Sonnenlicht entgegen, in dem sich bei einem Nietzsche-Leser wie Szymanowski unschwer der Künstlergott Phoebus Apollon erkennen lässt. Vorbei die Zeit der Kirche, die zu diesem Zeitpunkt wirklich völlig aus dem Blick geraten ist, vorbei aber auch die dionysische Ausgeflipptheit.

„Król Roger“ Euripides’ „Bakchen“ verwandt

Denn dies ist geschehen, in der unfassbar kurzen Zeit von kaum 90 Minuten, in denen in drei Akten nicht einmal 24 Stunden vergehen: Am Hof des normannischen Königs Roger II. von Sizilien – im 12. Jahrhundert, die Zeit der arabischen Vorherrschaft und der Rechristianisierung liegt noch nicht lange zurück, Rogers sympathischer Berater ist selbst Araber – taucht ein junger, schöner Hirte auf. Er predigt einen neuen Gott. Nachher zeigt sich, dass er selbst es ist, Dionysos, der nicht nur Rogers Frau Roxane, sondern auch den gesamten Chor in die freie Wildbahn lockt. Fast alle werden ihm folgen.

Hier ist „Król Roger“ Euripides’ „Bakchen“ verwandt, wobei Szymanowski, Cambreling, Erath und der Tenor Gerard Schneider dafür sorgen, dass dem Hirten wirklich nicht zu widerstehen ist. Die Aggressivität seiner Jüngerinnen (hier: Jüngerinnen und Jünger) hält sich hingegen anders als bei Euripides in Grenzen – im Werk wie in der Inszenierung, die mit einigem Elan zwei, nein, drei Ziele zu verfolgen scheint: Erstens unter keinen Umständen auf eine Aktualisierung zu setzen, die in einer Gegenwart vielfältigster Verführungen und Verblödungen – verführt zu werden, macht vielleicht glücklich, aber klug macht es nie – zu nahe läge und eine arge Horizontverengung bedeuten würde. Zumal sich die Ambivalenz von Zauberkünsten, die immer auch Zaubertricks sind, ohne weiteres erschließt, hier erst recht. Der gelähmte Berater Edrisi kann wieder gehen, es werden aber auch Blümchen beigezaubert (der Gott am Ende nicht mehr als ein charmanter Taschenspieler), und ein geheimnisvoller Karton geht von Hand zu Hand.

Zweitens nämlich soll dem Rausch der Musik offenbar ein nüchterner Konterpart gegeben würde. Der Chor stürzt sich nicht in wilde Tänze und der Eindruck, man würde sich jetzt gleich frei machen, bleibt doch mehr ein Zuppeln und ein Zappelig-Werden. Mancher zündet sich eine Fluppe an, viele frischen das Achselspray auf. Mögen Roger und die Musik der Sonne entgegen schreiten, das Bühnenlicht (Joachim Klein) denkt gar nicht daran, es uns auch sehen zu lassen. Wir hören es ja, stimmt.

Denn drittens soll die Musik auf der Bühne offenbar nur notfalls gedoppelt werden.

Oper Frankfurt: 6., 9., 15., 19., 22., 27., 29. Juni. www.oper-frankfurt.de

Zur anfänglichen Kirchenszene ist – ungewöhnlich – noch gar kein Bild zu sehen. Ein Vorhang, durch den bloß vage etwas Licht quillt, verdeckt sogar das Orchester. Als er sich öffnet, schaut man auf eine schneeweiße, leicht schräge Spielfläche von Johannes Leiacker, die ebenso schneeweiße Rückwand steht im spitzen Winkel dazu – das Ganze könnte sich fatal zuklappen, das geschieht aber nicht. In der Mitte ein sinnfälliger schwarzer Spalt für Auftritte und Abgänge. Die Fortsetzung, die sich an der Rückseite hochzieht, dient nachher dazu, den Gott Dionysos gewissermaßen aufsteigen, also hochklettern zu lassen (auch dies nüchtern, gleichwohl kann keiner ihm dorthin folgen). An der Rückwand gelegentlich auch dezente und ganz selten aufdringliche Videobilder (Bibi Abel), dann erscheint im Meeressaum ein Frauenkopf, man glaubt es kaum. Ein vielseitig verwendbarer großer Tisch ist zugleich ein Spiegel. Ein wesentliches Oberthema der Inszenierung: indirektes sehen.

Flankierend ist Alfred Reiter der sonore Erzbischof

Im pechschwarzen Dunkel drumherum – mit temporär aufleuchtenden Neonstäben – tauchen Chor und Kinderchor auf und ab, zaudernd, forschend und hier in einer schon eigenartigen Verweigerung jeder Art von Prozession. Jorge Jara hat alle in Schwarz gekleidet, die Kinder werden zu etwas gespenstischen Miniaturerwachsenen. Die Männer im Anzug, die Frauen dezent festlich, aber es könnte auch eine Trauergemeinde sein. Man trägt Sonnenbrille, obwohl es nicht besonders hell ist.

Auch äußerlich hat man die Protagonisten in der Menge rasch erkannt: Edrisi (wie Roger lose an eine historische Figur angelehnt, den Forscher al-Idrisi), AJ Glueckert mit markantem Tenor, wird im lässigen hellen Anzug dezent als Außenseiter gekennzeichnet. Er sitzt vorerst im Rollstuhl, eine Schleiereule als Zeichen der Weisheit an einer Seite.

Roxane und Roger, Sydney Mancasola und Lukasz Golinski, zeigen sich zunächst ganz angepasst, die Kleidung der offenbar schon länger unfrohen Königin wird dann von Szene zu Szene extravaganter. Mancasolas leichter, mühelos wirkender Sopran ist ideal für die schönste, jedenfalls schwebendste, eigenartigste Partie dieser Oper. Ihr gehört der Hit im zweiten Akt, die nächtliche, traumartige Arie, die sich als Konzertstück verselbstständigt hat. Der Pole Golinski, die einzige von außerhalb des Hauses kommende Kraft und die einzige mit Rollenerfahrung, überzeugt bei seinem Deutschlanddebüt mit einem großen, aber beweglichen, ausreichend empfindlich wirkenden Bassbariton. Schneiders Hirtengott, höchst ansehnlich, fundamental respektlos, mit blondem Zauselhaar (an mehr als einen Star lässt sich denken) und mystisch aufgehellten Augen, ist eher das stabile, lichte Tenorpendant zu Roxane, die sich weiß Gott nicht zufällig zu ihm hingezogen fühlt. Eine ungemein umgarnende Triokombination, dazu wird glänzend, immer eine Spur somnambul gespielt.

Flankierend ist Alfred Reiter der sonore Erzbischof und Judita Nagyová die kühle Diakonissin, beiden wird hier eine größere Rolle als nötig zuteil, indem sie im Hintergrund immer noch irgendwie die alten Dinge zusammenzuhalten versuchen. Unheimlich hängen sie (nein, hängen ausstaffierte Statisten) später als gehäutete Menschenopfer (?) im Halbdunkel. Die brachiale Gewalt, auch die sexuelle Übergriffigkeit, läuft am Rande mit. Auch die Chöre (die Erwachsenen einstudiert von Tilman Michael, die Kinder von Markus Ehmann) singen und spielen Hauptrollen und machen die Akribie, die bei der Vorbereitung geherrscht haben muss, sogar besonders deutlich. Dass auf Polnisch gesungen wird, ist ein unerhörter Zusatzreiz.

Die unter Cambreling angeleitete musikalische Leistung zeigt sich sofort, die Stärken der Inszenierung erst beim Nachdenken. Einhellig aber der Premierenjubel.

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