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Allzumenschliches: Brigitte Fassbaender inszeniert das „Rheingold“ in Erl

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Ian Koziara, Craig Colclough, Simon Bailey
Männer, bei denen das Ego alles und Liebe nur Nebensache ist: Loge (Ian Koziara, li.), Alberich (Craig Colclough, Mi.) und Wotan (Simon Bailey). © Xiomara bender

Wagners „Rheingold“ war 1998 das Gründungsstück der Tiroler Festspiele in Erl. Brigitte Fassbaender glückte nun eine hintersinnige, lebensweise Neuproduktion.

Schon als Erda erscheint, im streng geschnittenen Kostüm und dabei kühle Erotik verströmend, dämmert es Fricka: Das wird die nächste Flamme von Gatte Wotan. Und sie wie das Publikum begreifen in dieser Sekunde: Auch daran wird man ihn nicht hindern können, ebenso wie zuvor am Bau von Walhall, für den sich der Midlife-Mann in Unkosten und Unglück stürzt.

Es ist weniger die Geschichte eines fallenden Göttervaters, die man hier verfolgt, sondern eine jener Kerle, die für ein neues Angebot und damit für eine angeblich so wichtige Chance Familiäres und letztlich das Wichtigste opfern, nämlich ihre Lebensliebe. Nicht nur um einen Umzug an einen neuen Ort geht es also, wie die halb eingepackten Möbel und Koffer am rechten Bühnenrand suggerieren. Es geht um den Aufbruch ins Neue, von dem wieder mal nur der Mann profitiert.

Ein Ensemble nur aus Rollendebütanten

Richard Wagners „Rheingold“, den ersten Teil des monumentalen „Ring des Nibelungen“, als Analyse einer auseinanderbrechenden Sippe und weniger als Auftakt zu einem Weltentwurf zu inszenieren, das haben schon andere getan. Doch so dicht dran wie im Passionsspielhaus Erl wähnt man sich an den Wotans selten. Und dies liegt weniger daran, dass das Orchester wie immer auf der Hinterbühne und das Personal auf einer breiten Fläche vor dem Publikum spielt. Nichts hat das alles zu tun mit einer Soap, mit einer germanischen Variation des Denver Clans. Es ist die große Kunst der inszenierenden Opernlegende Brigitte Fassbaender, dass nichts verkleinert, bagatellisiert oder dem schnellen Gag geopfert wird.

Humor und Hintersinn ja. Aber es ist Lebensweisheit, die sich manifestiert, nie Pointendruck. Und dies geht bis zur Textbehandlung dieses wunderbaren Ensembles, das nur aus Rollendebütanten besteht: Als Alberich anfangs fürs Rheingold, das hier Tafelgold einer Upper Class ist, die Liebe verflucht, nimmt er das entscheidende L-Wort ins Piano zurück. Da erschrickt einer vor sich selbst und der alles auslösenden Untat.

Für die Tiroler Festspiele ist dies eine historische Premiere. Das „Rheingold“ war 1998 das Gründungsstück, dem sich ein legendärer, oft wiederholter „Ring“ anschloss. Gustav Kuhn, der später geschasste Intendant, dirigierte und inszenierte. Seine handgestrickten Regie-Hilflosigkeiten vermisst man nicht. Wohl aber, wie er das Festspielorchester in der verblüffenden Akustik des Passionsspielhauses durch die Partituren steuerte und es befeuerte. Dass dies und andere Chef-Taten mit cholerischem Gehabe und Übergriffigkeiten einhergingen, wissen wir heute.

2023 ist der Erler „Ring“ abgeschlossen

Bei Erik Nielsen, dem aktuellen „Rheingold“-Dirigenten, wird musikalisch auf kleinerer Flamme gekocht. Nielsen ist eher Typ freundlicher Sachwalter. Der verlässt sich auf die sämige, weiche Klangqualität des Orchesters und ist heißer Kandidat für den „Rheingold“-Langsamkeitsrekord. Erstaunlich, dass die Lungen der Sängerinnen und Sänger das hergeben. Es ist eine Besetzung ohne Ausfälle. Man erlebe dazu den ungewohnt hell timbrierten, schlank und direkt gestaltenden Wotan von Simon Bailey. Den heldischen, nie überdrehten Nuancenkünstler Ian Koziara (Loge), Thomas Faulkner als herb-empfindsamen Fasolt und Anthony Robin Schneider mit seiner warmen Fafner-Fülle. Oder Craig Colclough, der mit viel Wortbewusstein und noch mehr Bariton-Potenz einen Alberich von tragischer (Über-) Größe zeichnet. Manuel Walser entdeckt beim Donner überraschend Liedhaftes, Dshamilja Kaiser (Fricka) und Judita Nagyová (Erda) lassen ihre Charaktere auch vokal dreidimensional schillern.

Man merkt der Aufführung an, dass Brigitte Fassbaender und ihr Ausstatter Kaspar Glarner nicht aus Überfülle schöpfen durften. Im Passionsspielhaus mit fehlender Seitenbühne und rudimentärer Obermaschinerie bleibt Theater ein Kompromiss. Aufgewogen wird das durch die Wasser-, Berg- und schwefelgelb verschwimmenden Schlieren-Videos von Bibi Abel, besonders aber durch die Analyse- und Motivationskunst der Fassbaender.

Dass ohne szenischen Tand das Allzumenschliche zum Wichtigsten wird, spielt ihr ohnehin in die Hände. Jeder Figur gilt ihre Sympathie. Alle sind nachvollziehbar in Handlungen und Reaktionen. Es gibt schier unzählige kleine Gesten und Blicke, auch hintersinnige, sich nie aufdrängende Einfälle wie Wotans Speer-Sortiment oder den titelgebenden Reif als Schlagring, die das stützen. Nur das prachtvolle Regenbogenbrücken-Finale bleibt etwas blass. Als man das Haus nach der Premiere verlässt, leuchtet wie als Ersatz der Himmel hinter Tirols Bergen in gewittergiftigem Rot. Im nächsten Jahr macht sich Brigitte Fassbaender an die „Walküre“, 2023 gibt es „Siegfried“ und „Götterdämmerung“, bevor 2024 mindestens zwei komplette Zyklen gezeigt werden. Wagner-Freunde wissen, was sie künftig im Juli zu tun haben.

Weitere Vorstellungen
am 16. und 18. Juli, Tel. 0043/5373/810 00 20.

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