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Opern-Kritik: Semperoper Dresden – Attila

Merkwürdig unfertig

(Dresden, 4.2.2023) Trotz der sehr differenzierten Lesart des Verdi-Spezialisten Jordi Bernàcer am Pult der Staatskapelle Dresden bringt die konzertante Premiere von „Attila“ die Schlagkraft des Frühwerks nur wenig adäquat zum Ausdruck.

vonChristian Schmidt,

Irgendwie scheint Peter Theiler einen Narren an „Attila“ gefressen zu haben, denn überall, wo der Dresdner Intendant bisher die Geschicke diverser Opernbühnen leiten durfte, fand sich das selten gespielte Frühwerk Giuseppe Verdis irgendwann auf den Spielplänen. Nun war das „Dramma lirico“ auch an der Semperoper fällig, wenn auch nur konzertant.

Oper ohne „Oper“

Nun ist diese Art der Aufführung von vornherein eine heikle Angelegenheit, weil das Gesamtkunstwerk ohne szenische Ausdeutung auf maximal zwei Drittel seiner interpretatorischen Belebung reduziert wird. Eine Oper in der Oper ohne „Oper“ – wenn man das macht, sollte man sich schon der musikalischen Qualität des ausgewählten Stücks sehr sicher sein. Denn die muss für sich selbst stehen können, obwohl sie von ihren Schöpfern a priori ja gar nicht so gemeint ist. In jüngster Zeit traute sich diese fragwürdige Verknappung jedenfalls in Dresden nur Marek Janowski, der – in unverhohlener Abneigung dem Regietheater gegenüber – seit vielen Jahren ausschließlich konzertante Opern aufführt, vor einigen Monaten in seiner Abschiedssaison bei der Dresdner Philharmonie im benachbarten Kulturpalast sogar den kompletten „Ring“, den es an der Semperoper in diesen Tagen übrigens komplett szenisch zu erleben gibt.

Anna Smirnova als Odabella in Verdis „Attila“ an der Semperoper
Anna Smirnova als Odabella in Verdis „Attila“ an der Semperoper

Ein Generalverdacht

Die bange Frage ist daher: Hält „Attila“ der Anforderung stand, nur musikalisch zu funktionieren? Man muss es klar vorweg sagen: nein. Stolze 26 Opern hat Verdi hinterlassen, und viele Jahrzehnte lang stand gerade das Frühwerk des italienischen Autodidakten unter dem Verdacht, die Qualität seiner späten Meisterwerke noch nicht erreicht oder die langen Schatten der künstlerischen Erblasser Rossini, Bellini und Donizetti noch nicht hinter sich gelassen zu haben. Sowohl dem frühen wie auch dem reifen Werk wird das Urteil in seiner Pauschalität nicht gerecht.

Tilmann Rönnebeck als Leone in Verdis „Attila“ an der Semperoper
Tilmann Rönnebeck als Leone in Verdis „Attila“ an der Semperoper

Subtext „Risorgimento“

Die Geschichte um den Hunnenkönig Attila, der sich die halbe Welt unterwirft, Rom jedoch auslässt und in der Kriegerin Odabella seine Meisterin findet, die ihm Liebe vorgaukelt, um ihn dann zu erdolchen und damit ihren ermordeten Vater zu rächen, ist stark vom sensationellen Erfolg des vier Jahre zuvor uraufgeführten „Nabucco“ inspiriert, dessen revolutionärer Subtext vom Publikum erkannt und in der Mitte des 19. Jahrhunderts als Initial der Befreiung von der ungeliebten Fremdherrschaft gedeutet wurde. Nicht umsonst galt Verdi mit diesem und den zeitlich benachbarten Schwesterwerken als Wegbereiter der „Risorgimento“-Bewegung und seither als Nationalheld.

Andrzej Dobber gibt den römischen Widersacher Ezio in Verdis „Attila“ an der Semperoper
Andrzej Dobber gibt den römischen Widersacher Ezio in Verdis „Attila“ an der Semperoper

Starres Nummernmuster

Das im 5. Jahrhundert angesiedelte Nachfolgedrama „Attila“ ist vor diesem applausträchtigen Hintergrund zu lesen, bleibt aber dramaturgisch mit einem doch recht schlichten Gut-Böse-Schema deutlich hinter der Qualität des „Nabucco“ zurück. Zudem fehlen der Oper weitgehend die Finessen der Orchestrierkunst, die Verdi in seinen späten Jahren zur Charakterisierung seiner Hauptfiguren zur Meisterschaft brachte und die das Nebeneinander von kammermusikalisch-psychologisierenden Betrachtungen und volkskunstnahen Massenszenen erst recht adelte. In „Attila“ herrscht dagegen noch das alte starre Nummernmuster der „solita forma“, also der „geläufigen Form“ vor, in dem wenig Platz bleibt für allzu viele Ausdifferenzierungen. In konzertantem Gewand verliert das nicht umsonst selten gespielte Stück dadurch um so mehr von seiner Schlagkraft, bleiben zeitlose Interpretationsansätze zum ungebremsten Machtstreben oder zur emanzipatorischen Stärke der Odabella, die mutig den Eroberern entgegentritt, unerzählt.

Jordi Bernàcer betont die seltenen Lyrismen in „Attila“
Jordi Bernàcer betont die seltenen Lyrismen in „Attila“

Dynamisch filigran

Nichtsdestoweniger ist solch eine Wiederaufführung immer von Interesse, zumal wenn ein Verdi-Spezialist wie Jordi Bernàcer am Pult der Staatskapelle steht. Hier darf man wenigstens musikalisch eine adäquate Ausdeutung erhoffen, und zumindest diese Erwartung löst der spanische Dirigent ein. Das Hausorchester, auf Verdi nicht eben spezialisiert, trägt die Premiere bravourös mit einer auffallend gut ausbalancierten Vitalität. Allen Einladungen zum auftrumpfenden Pomp geht Bernàcer konsequent aus dem Weg, betont dagegen die seltenen Lyrismen, nimmt die bei Verdi omnipräsenten Orchesternachschläge dynamisch filigran zurück.

Sächsischer Staatsopernchor in der konzertanten Aufführung von Verdis „Attila“ an der Semperoper
Sächsischer Staatsopernchor in der konzertanten Aufführung von Verdis „Attila“ an der Semperoper

Klavierauszug als Requisitenersatz

Diese sehr differenzierte Lesart befördert die Strahlkraft des Staatsopernchores, der vom hinteren Bereich der Bühne aus sehr solide die großen Szenen bewältigt, teilweise auch – und das ist die erste Inkonsequenz der konzertanten Aufführung – hinter der Bühne kommentiert. Die zweite Inkonsequenz zeigt sich, wenn die befrackten Solisten zu ihren an der Rampe positionierten Pulten auf- und abtreten und dabei nicht ganz von ihren theatralen Gesten lassen können, die sie von szenischen Aufführungen gewöhnt sind. Emotional aufgebürstete Kriegshelden nutzen dann schon mal ihren Klavierauszug als Requisitenersatz, was durchaus nicht ohne unfreiwillige Komik abgeht.

Tomislav Mužek (rechts) gibt sein Rollendebüt als Foresto in Verdis „Attila“ an der Semperoper
Tomislav Mužek (rechts) gibt sein Rollendebüt als Foresto in Verdis „Attila“ an der Semperoper

Ensemblestar Georg Zeppenfeld in der Titelrolle

Trotz alledem überzeugt allen Solisten voran Ensemblestar Georg Zeppenfeld in der Titelrolle mit seinem weltweit gefeierten, extrem wandelbaren Bass. Grandios füllt er seine würdevolle Partie im ambivalenten Spannungsfeld zwischen Kriegslüsternheit und Machtstreben, Liebe und Grausamkeit aus. Andrzej Dobber als römischer Widersacher Ezio (in der überlieferten Historie der Flavius Aetius) steht dieser Größe in nichts nach, vermag der inneren Widersprüchlichkeit seiner Figur auch stimmlich Ausdruck zu verleihen. Dagegen bleiben Rollendebütant Tomislav Mužek als aquileischer Ritter Foresto und Anna Smirnova als Odabella eher blass: Während Mužek die letztgültige tenorale Strahlkraft vermissen lässt und in der Höhe immer enger wird, kann Smirnova umgekehrt ihre stimmliche Wucht auch in Sotto-voce-Passagen nur schwer zügeln. In der Gesamtschau hinterlässt die Aufführung damit leider einen unfertigen Eindruck und kann trotz aller bravobekränzten musikalischen Mühen nicht wirklich befriedigen.

Semperoper Dresden
Verdi: Attlia

Jordi Bernàcer (Leitung), Georg Zeppenfeld, Andrzej Dobber, Anna Smirnova, Tomislav Mužek, Timothy Oliver, Tilmann Rönnebeck, Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Sächsische Staatskapelle Dresden

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