Gegen die Wand: Tschaikowskys „Pique Dame“ an der Semperoper

Semperoper/PIQUE DAME/Vida Miknevičiūtė (Lisa), Christoph Pohl (Fürst Jelezkij)/Foto
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Große Chorszenen, kleines Kammerspiel – Piotr Tschaikowskys Oper „Pique Dame“ hat so ziemlich alles, was ein großer Opernabend braucht. In Dresden feierte im Sommer die Neuinszenierung des Film- und Theaterregisseurs Andreas Dresen Premiere. Am Ende bleibt man jedoch etwas ratlos zurück, denn die Inszenierung wirkt ebenso unaufgeregt wie aussagelos. Dafür wird das Orchester zum Star. (Besuchte Vorstellung am 1. Oktober 2023)

 

 

Drei, Sieben, Ass: Drei Karten sind es, die den Offizier Hermann zum Glück führen sollen und letztlich ins Unglück stürzen. Am Kampf gegen die gesellschaftlichen Umstände, auf der Jagd nach Reichtum und Anerkennung wird er verzweifeln und zerbrechen – und die junge Lisa gleich mit ins Unheil reißen. Tschaikowskys „Pique Dame“ ist zugleich großes Gesellschaftsportrait und psychologische Charakterstudie, doch wenig davon übersetzt sich davon auf die Bühne. Dresens ist eine Inszenierung, die nicht schlecht ist, nicht anstößt, aber auch wenig neue gedankliche Aspekte liefert. So ist die Musik, die aus dem Orchestergraben verströmt, ausdrucksstärker als die Bühnenidee.

Semperoper/PIQUE DAME/Sergey Polyakov (Hermann), Damen des Sächsischen Staatsopernchors Dresden, Kinderchor der Semperoper Dresden/Foto 
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Dabei ist die Ausgangslage keine schlechte: Mathias Fischer-Dieskau schafft ein labyrinth-artiges Bühnenbild aus rund angeordneten Wänden in drei Ebenen. Ihr Öffnen und Schließen wirkt wie das einer Blume in Zeitraffer. Räume erscheinen, Räume verschwinden. So ist nicht nur ein schneller Wechsel zwischen Szenen möglich, sondern auch ein spannendes Spiel mit Licht und Schatten. Das Labyrinth, aus dem es scheinbar kein Entkommen gibt, ist der Hintergrund für eine total militarisierte Gesellschaft. Kostümbildnerin Judith Adam hüllt von Beginn an alle Charaktere in Uniformen: Die Jungen als kleine Kadetten, die Mädchen und Frauen als Rotkreuzschwestern, die Männer als Soldaten verschiedener Ränge. Auch Lisa ist Teil der Streitkräfte. Die Farben sind dabei klar verteilt: Tragen alle anderen Männer blau-grau-schattierte Kleidung, ist Hermann mit seiner oliv-beigen Uniform der klare Außenseiter.

Sind die Uniformen (absichtlich, so erfährt man im Programmheft) zeitlich-örtlich unbestimmt, so ist es leider auch der Umgang damit. Keine Kommentierung, kein erkennbarer Zweck: Die (über-)militarisierte Gesellschaft wird von Dresen einfach so hingenommen, ohne zu hinterfragen oder der Handlung weitere Erzählebenen hinzuzufügen. Dabei geht diese Kostümierung weit über Tschaikowskys Vorlage – das Libretto stammt von Piotrs Bruder Modest basierend auf Alexander Puschkins gleichnamiger Erzählung – hinaus, die zweifelsohne ebenfalls die starke Verankerung des Militarismus in der Gesellschaft zeigt. So exerzieren gleich zu Beginn Kinder, angetrieben von ihren Gouvernanten, durch die Parks von Sankt Petersburg. Doch in dieser Inszenierung verlieren die Kostüme alsbald ihre Bedeutung, weil sie so aussagelos allgegenwärtig sind.

Semperoper/PIQUE DAME/Vida Miknevičiūtė (Lisa), Sergey Polyakov (Hermann)/Foto
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Dabei zeigt Andreas Dresen immer wieder interessante Ansätze. Lisa (Vida Miknevičiūtė) ist in dieser Inszenierung eine sich emanzipierende Frau, die aus gesellschaftlichen Normen ausbrechen will und letztlich dem Tod in der Neva entgeht. Auch die Rolle der Gräfin (Evelyn Herlitzius) ist ein herrlich überzeichneter Charakter. Doch zeigt die Inszenierung auch, wie fein die Linie zwischen Überzeichnung und gaghaften Kalauern ist. Mal tritt der Chor sonnenbebrillt und regenbeschirmt im Park, mal in mittlerweile überholter BDSM-Manier als Lämmer und Wölfe beim Maskenball, und schließlich Hermann mit scheinbar rosa-roter Brille auf. Auch aus Fischer-Dieskaus Bühne macht er am Ende recht wenig, sodass die Sänger:innen ein ums andere Mal von der Rampe aus ins Publikum singen. Das alles mag negativer klingen, als die tatsächliche Summe der Inszenierung, die am Ende aber dennoch seltsam aussagelos blieb.

So lenkt mal als Zuhörer:in seine volle Aufmerksamkeit gerne immer wieder gen dem orchestralen Klangrausch der Staatskapelle Dresden. Mikail Tatarnikov bietet ein vollmundiges Dirigat, das Tschaikowsky in seiner Klangschönheit immer wieder voll auszukosten weiß. Dabei heraus kommt ein detailreicher, schmerzlich-melancholischer Klang, der auch vor krachenden aber niemals lärmenden Höhepunkten nicht zurückschreckt. Während Tatarnikov und die Staatskapelle dabei zu Beginn immer wieder riskieren, die Sänger:innen zu überdecken, stimmt die Feinabstimmung im Laufe des Abends immer besser. Stimmgewaltig setzen sich dabei der Sächsische Staatsopernchor und der Kinderchor der Semperoper Dresden immer wieder in Szene.

Semperoper/PIQUE DAME/John Lundgren (Graf Tomskij), Evelyn Herlitzius (Gräfin), Aaron Pegram (Čekalinskij)/Foto
© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Mit eher leisen Tönen ragt Evelyn Herlitzius als alternde Gräfin aus dem „Pique Dame“-Ensemble heraus. Zwischen Lebensfreude und Gebrochenheit zeigt sie die „Venus von Moskau“ in ihrer ganzen Einsamkeit, die das Geheimnis der drei Karten mit sich bringt. Seltsam entkoppelt wirkt hingegen das Zusammenspiel von Vida Miknevičiūtė als Lisa und Sergey Polyakov als Hermann. Das mag zu einem an der Inszenierung gelegen haben, aber scheinen Miknevičiūtės metallisch-glänzender gen dramatisches Fach strebender Sopran und Polyakovs warm-italienisches Timbre auch nie eine wirkliche Einheit zu bilden. So bieten beide auf sich allein gestellt interessantere Gesangsleistungen. John Lundgren gibt einen gesanglich und darstellerisch überzeugenden Graf Tomskij, mit einem zutiefst menschlichen Antlitz. Christoph Pohl als klangschön-berührender Fürst Jelezkij komplettiert die Hauptdarstellerriege.

 

  • Rezension von Svenja Koch / Red. DAS OPERNMAGAZIN
  • Semperoper / Stückeseite
  • Titelfoto: Semperoper/PIQUE DAME/Vida Miknevičiūtė (Lisa)/Foto © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
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