1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

Barockoper „Nebucadnezar“ in Schwetzingen: Gute Zeiten, schlechte Zeiten

KommentareDrucken

„Nebucadnezar“ in Schwetzingen: Shira Patchornik als Adina. Foto: Susanne Reichardt
„Nebucadnezar“ in Schwetzingen: Shira Patchornik als Adina. Foto: Susanne Reichardt © Susanne Reichardt

Reinhard Keisers kreuzfideler „Nebucadnezar“ in Rokokotheater beim Barockfestival „Winter in Schwetzingen“.

Vieles ist verschwunden, einiges aber taucht dann doch wieder aus den Archiven der ungespielten Musik auf. Ein kolossaler Fund: die Komplettfassung der Oper „Nebucadnezar“ von Reinhard Keiser (1674-1739), vor fast genau 320 Jahren in Hamburg uraufgeführt, später vergessen, noch später war auch der Komponist vorläufig weitgehend vergessen, aber da gibt es tragischere Beispiele. Und wer 2006 den „Croesus“ am Staatstheater Wiesbaden sah, wird seitdem die Ohren spitzen, wenn der Name Keiser fällt.

Schon im vergangenen Jahr widmete das Barockfestival „Winter in Schwetzingen“, vom Theater Heidelberg organisiert und bespielt, einem Keiserwerk die zentrale Neuproduktion, einem fragmentarischen „Ulysse“. „Nebucadnezar“ setzt nun die Reihe barocker Ausgrabungen fort – den Anfang macht 2019 eine Oper von Caspar Schürmann, noch viel mehr aus dem Blick geraten als Keiser –, und wieder zeigt sich mit sanfter Wucht, wie originell und freisinnig Keisers Musik ist. Barockmusik vor ihrer Einkästelung und Standardisierung, statt Affektarien mit Wiederholungsverpflichtung gibt es Turbulenzen und Ensembleaction. Das kleine Orchester, nach der Premiere mit der berühmten Blockflötistin Dorothee Oberlinger von Gerd Amelung geleitet, bietet eine große Farbpalette, schlägt kräftig auf Tamburin und Trommel, schlägt auch die Klampfe, ist leise genug für die Blockflöten und laut genug, dem hochdramatischen biblischen Teil des Dramas Raum zu geben. Selbstverständlich geht das auf Kosten der Innigkeit, aber die wird von einer dollen Geschichte ohnehin weitgehend weggeschwemmt.

Der König von Babylon lässt sich vom Propheten Daniel seine schlechten Träume erklären und zeigt sich teilgeläutert. Um die fromme Handlung herum baut Keisers Librettist Christian Friedrich Hunold eine krause Liebesgeschichte, ein langes Hin und Her zwischen Nebucadnezars Frau Adina, seinem Sohn Beltsazer, seiner Tochter Barsine sowie weiteren jungen hübschen Leutchen. Die Liebeleien werden durch Adina, die aparte Shira Patchornik, torpediert, die es auf Darius abgesehen hat und vor einem Mordversuch gegen die eigene Tochter nicht zurückschreckt. Darius ist der fabelhafte Countertenor Dennis Orellana, dessen Sopran so licht, leicht und voll ist, dass man – ohne Witz – überrascht sein kann, unterm flott glamourösen Goldjäckchen eine Männerbrust vorzufinden. Eine Männerbrust so verlockend, dass eine Frau „I was here“ draufschreiben möchte.

Regisseur Felix Schrödinger spricht im Programmheft völlig zu Recht von einer Telenovela, schade, dass er das beim Inszenieren nicht so stark beherzigt und in moderner Ausstattung von Pascal Seibicke eher verhalten erzählt. Und ambitioniert in eine sinistre Richtung: Daniel, der extrastabile Tenor João Terleira, ist ein smarter Menschenfänger, der unter Überspringung der Zeiten direkt das Christentum einführt. Er setzt dem König zudem mit Injektionen zu, der bei Florian Götz an sich ein Bariton in den besten Jahren ist, aber nachher nur mehr ein Schatten seiner selbst.

Das Schwetzinger Schlosstheater ist für das virtuos geforderte Ensemble wieder perfekt. Der Schlusschoral aus dem Off geht an Bach. „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ – gefährlich für Keiser, trotzdem überwältigend.

Rokokotheater Schwetzingen: 7., 16., 18., 26. Dezember, 12. Januar. theaterheidelberg.de

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!