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Im Anfang war die Gier: Peter Konwitschnys „Rheingold“ in Dortmund

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Rheingold in Dortmund
Neulich im Neandertal: Götter, Riesen und Zwerge befinden sich in diesem „Rheingold“ am Anfang der Zivilisation. Die Sache wird für den Homo sapiens übel enden. © Thomas M. Jauk

Zwischen Steinzeit und Endspiel: Peter Konwitschny setzt seinen Dortmunder „Ring“ mit dem „Rheingold“ fort. Das ist amüsant, unplugged, trifft aber auf ein lähmendes Dirigat.

Schnell geht das mit den Göttern, genauer gesagt zweieinhalb Wagner-Stunden. Eben noch in Felle gehüllt mit anfechtbaren Tischmanieren (beidhändiges Schaufeln) und hausend in Jurten aus Tierresten, sitzen sie nun alle im Rollstuhl. Die schicken Klamotten von heute nützen nichts, so sagt das Schlussbild, wenn lebensbedrohliche Zipperleins Familie Walhall plagen. Fricka braucht das Hör-Rohr, Wotan sein Asthma-Spray. Die Klinikschwestern sind genervt, sie haben es ja kommen sehen: Es sind die Rheintöchter, die sehr laut, sehr vorwurfsvoll noch einmal in Moll nach dem geraubten Rheingold rufen. Zurück zur Natur? Zu spät, die Götter rollen nach hinten ins Nichts. Ein Endspiel.

Eigentlich könnte hier schon Schluss sein mit dem ganzen „Ring des Nibelungen“, es ist ja alles gesagt in dieser Premiere des ersten Teils. Über des Menschen Unnatur, die üble Entwicklung der Zivilisation, die Ausbeutung und die Lieblosigkeit, über all die Themen, die Richard Wagner in 15 Stunden ausbreitet. So gesehen ist dieses „Rheingold“ am Theater Dortmund ein Mini-„Ring“ im „Ring“. Und verantwortlich für diese lustvolle, burleske, satirische, augenzwinkernde Eindampfung ist Altmeister und Ex-Berserker Peter Konwitschny, dem man im Ruhrgebiet alle „Ring“-Fesseln abgenommen hat.

2025 ist der Dortmunder „Ring“ fertig

Denn: Der Dortmunder „Ring“ will nicht rund sein. Gearbeitet wird gerade nicht mit Zitaten und Zeichen, die alle vier Opern überwölben. Es gibt keine durchgehende Entwicklung. Einzige szenische Klammer sind je drei Harfen rechts und links im Proszenium, die an entsprechenden Partiturstellen aufrauschen. Außerdem stimmt ja die Reihenfolge nicht: Zuerst brachte Konwitschny die „Walküre“ heraus, im vergangenen Jahr „Siegfried“, heuer „Rheingold“. Und 2025 holt er seine dann 25 Jahre alte, legendäre Stuttgarter „Götterdämmerung“ ins Ruhrgebiet, die er mutmaßlich überarbeiten wird. Jedes Mal wird dabei mit anderen Ausstattern gearbeitet, im „Rheingold“ ist es Jens Kilian.

Der verpflanzt mit Konwitschny alles ins Neandertal, eine Opernversion des Kinohits „Im Anfang war das Feuer“. Doch nicht Letzteres markiert den Aufstieg des Homo sapiens, sondern die Gier. Und einer, Alberich, ein zum Vorspiel im Orchestergraben angelnder Zwerg à la „Herr der Ringe“, überholt die Götter in der Zivilisationsentwicklung auf der Standspur. Schon bald ist er Boss mit Büro-Ausblick auf eine Megacity, während Wotan noch mit Riesenknochen (statt Speer) bei ihm vorbeischaut.

Konwitschnys Weltekel und Kapitalismuskritik gibt es wie immer mit Humor. Das von Alberich umgeschmiedete Rheingold ist eine Batterie von Atombomben, am Ende regnet es Flugblätter vom Rang mit dem Textzitat „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut“ – Agitprop aus guter alter Regiesteinzeit. Und das Publikum reagiert erfreulicherweise für den Regisseur wie damals: Es buht. So gesehen bleibt Konwitschny Traditionalist. Er bekennt sich zur leeren Bühne, aus der er sein Theater entwickelt. Das ist unplugged, echt und ungeschminkt, ohne szenische Krücken und nie überladen. Ein, zwei Thesen werden logisch durchgespielt. Und statt Figurenschablonen lässt es Konwitschny menscheln. Vom schwer verliebten Riesen Fasolt bis zur Erda, einer Obdachlosen, die mit fast 20 Kindern auftritt. Die drei jungen Nornen mit dem Schicksalsseil sind schon dabei, vielleicht auch Walküren und anderer Nachwuchs, den irgendwelche Götter außer Wotan zeugten – Stoff gewissermaßen für ein „Ring“-Sequel.

Auf der Bühne keine vokalen Ringer

Das Problem an diesem Abend passiert im Graben. Dortmunds Generalmusikdirektor Gabriel Feltz weiß enorm viel übers „Rheingold“. Es gibt ungewohnte Detailschärfungen und ungehörte Mittelstimmen im harmonischen Verlauf. Doch Konwitschnys burleske Regie hätte eine hochtourige Beantwortung von der musikalischen Seite benötigt. Vieles tritt auf der Stelle, ist zu verliebt in den Augenblick, überhört, dass es sich beim „Rheingold“ um ein am Sprechtempo orientiertes Konversationsstück handelt.

Die Besetzung hätte gepasst. Auf der Bühne sind keine vokalen Ringer unterwegs, dafür wird mit Florett gefochten, an der Spitze Joachim Goltz als Alberich. Auch Tommi Hakala (Wotan), Ursula Hesse von den Steinen (Fricka) oder Matthias Wohlbrecht (Loge) sind Singschauspieler, die nicht in Wagner-Würde erstarren. Sympathieträger ist Denis Velev als linkisch verknallter Fasolt – wie gern hätte man ihm Freia gegönnt.

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