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Netrebko setzt ihren Fans Extravagantes vor

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Anna Netrebko empfing Huldigungen von Plácido Domingo und erlebte Ärger mit Francesco Meli (r.).
Anna Netrebko empfing Huldigungen von Plácido Domingo und erlebte Ärger mit Francesco Meli (r.). © Neumayr/ dpa

Salzburg - Konzertante Oper: Anna Netrebko sang Verdis „Giovanna d’Arco“. Es war ein Festspiel-Erlebnis, das man nicht so schnell vergißt.

Einmal schaut sie giftig. Das könnte an der Rolle liegen, schließlich ist Johanna gerade dabei, ihren königlichen Liebhaber zu verraten. Oder es liegt doch an der Musik. Langes Duett, die Ziellinie naht, und Francesco Meli feuert den exakt gleichen Spitzenton ab wie Anna Netrebko, hält diesen, oh Todsünde, sogar Sekundenbruchteile länger. Diven-Düpierung, so etwas geht natürlich nicht.

Festspiele ohne Netrebko, das ist wie Salzburg ohne geliftete Gesichter. Sie, die hier einst ihren Durchbruch feierte, kann es sich nun leisten, den Fans Extravagantes inklusive einer Sängerlegende vorzusetzen: „Giovanna d’Arco“, Verdis frühe Oper, wird dank Primadonna und Plácido zum Renner. Aber eigentlich, Netrebko hin, Domingo her, war der Dienstag ein bayerischer Tag. Nachmittags das Münchner Rundfunkorchester als Verdi-Begleittruppe, abends das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons mit Mahler. Zwei Ensembles, ein Sender – das hat schon etwas, wenn die Weißblauen zeigen, wo der Kulturhammer hängt.

Als „konzertante Oper“ ist Netrebkos heilige Johanna annonciert. Aber so, wie Jansons Mahlers Zweite inszeniert, passt das Abendkonzert perfekt dazu. Die BR-Musiker machen in Salzburg Station auf ihrer Festivaltournee. Saarbrücken und Hamburg liegen hinter ihnen, nun folgen noch London und Edinburgh. Mahler als großes symphonisches Welttheater mit einem zu allem entschlossenen Dirigenten und einem bestechend präzisen Riesenorchester: Wollen doch mal sehen, wer hier die Platzhirsche ausstechen kann, das hört man aus jedem Takt heraus.

Jansons gibt den Maximalisten. Seine „Auferstehungssymphonie“ erzählt ohne Umschweife, ohne Beschönigung von den letzten Dingen und dem, was danach kommt. Der Kopfsatz ist eine vollsaftige Offensive, straff und hart, in der zart die Utopie aufglimmt. Die Reminiszenzen ans Volkstum werden aus lässiger Distanz betrachtet. Das Scherzo kreiselt in den Irrwitz. Die Energie, der Klangkulissenzauber des Finales mit den Chören von BR und WDR rauben einem den Atem (und testen das Trommelfell). Sopranistin Genia Kühmeier hat’s schwer gegen Mezzo-Kollegin Gerhild Romberger: Kaum zu entscheiden, wann das „Urlicht“ jemals so innig, mit solch kluger Souveränität gesungen wurde. Standing Ovations.

Ebenso natürlich dreieinhalb Stunden zuvor. Salzburgs Gala-Gemeinde wird Zeuge, wie sich Anna Netrebko im dramatischen Fach neu erfindet. Verdis Johanna endet nicht auf dem Scheiterhaufen, sondern auf dem Schlachtfeld. Weniger zwischen Mission und Zweifel bewegt sich diese Frau, sondern zwischen Pflicht und Liebe – zum französischen König Carlo. „Bösewicht“ im Opern-Dreieck ist ihr Vater: Plácido Domingo, der einst selbst den Carlo sang, ist nun eine Stimmetage tiefer der Giacomo.

Charme, Verführungskraft, dramatischer Instinkt, alles das spricht auch in Baritonlage aus dem Gesang des Veteranen. Oft wünscht man sich sogar, Domingo möge sich wieder in Tenorhöhen aufschwingen. Doch dort ist an diesem Nachmittag Francesco Meli unterwegs. Eher schmal, wie fest verschnürt, aber durchsetzungsstark tönt seine Stimme, das Zärteln nimmt man Meli kaum ab.

Verdi mag sich seine Giovanna als Ruhepol gedacht haben, die Netrebko singt sie anders. Mit Aplomb, großem, manchmal herrischem Gestus, entschlossen auch im Leisen. Nicht alles ist exakt auf Ton, was sich im heldischen Getümmel verwischt. Die gereifte Stimme scheint sich (endlich) im vorbestimmten Repertoire zu bewegen.

Paolo Carignani treibt das Münchner Rundfunkorchester zum nervigen, staubtrockenen Spiel, rhythmischer Impuls ist wichtiger als die klangliche Substanz. Berührender als Johannas Liebesleid ist aber anderes: die Begegnung zweier Star-Generationen. Domingo und Netrebko im Duett, das vergisst man nicht so schnell, das hat etwas von Vermächtnis. Und braucht folglich keine übergehaltenen Trompetentöne.

Markus Thiel

Weitere Aufführungen

von „Giovanna d’Arco“: 10. und 13. August (ausverkauft), Restkarten eventuell unter Telefon 0043/ 662/ 80 45 500.

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