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Bühne und Konzert Salzburger Festspiele

Hier verstört nicht mal das Horst-Wessel-Lied

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Gleich brät das doppelte Charlottchen ein Veronal-Omelette: Marianne Crebassa als Charlotte Kann und Johanna Wokalek als Charlotte Salomon in Marc-André Dalbavies Oper Gleich brät das doppelte Charlottchen ein Veronal-Omelette: Marianne Crebassa als Charlotte Kann und Johanna Wokalek als Charlotte Salomon in Marc-André Dalbavies Oper
Gleich brät das doppelte Charlottchen ein Veronal-Omelette: Marianne Crebassa als Charlotte Kann und Johanna Wokalek als Charlotte Salomon in Marc-André Dalbavies Oper
Quelle: AFP
Eine Oper über das Leben der in Auschwitz ermordeten jüdischen Malerin Charlotte Salomon müsste berühren. Marc-André Dalbavie und Luc Bondy machen daraus in Salzburg nur zwei Volkshochschulstunden.

Was für ein Leben! Was für eine Geschichte!

Eine künstlerisch begabte, 1917 geborene Frau aus gutem, liberal jüdischem Hause muss 1937 ihre Berliner Kunsthochschule verlassen. 1939 emigriert sie nach Südfrankreich, wo sich bereits ihre Großeltern aufhalten. Unter dem Vichy-Regime wird sie mit ihrem Opa interniert, dann wieder freigelassen. Die Oma ist aus dem Fenster gesprungen, wie auch länger vorher schon die Mutter; auch diverse Anverwandte haben den Freitod gewählt.

Die Frau heiratet und beginnt, um sich Todesangst und -trieb vom Leib zu halten, wie manisch zu zeichnen und zu schreiben. Aus 800 von 1300 expressiv-bunten Gouachen, in denen sie comicstripartig und nur leicht verfremdet ihr Schicksal erzählt, entsteht ein Buch als Bilder-Autobiografie.

„Leben? Oder Theater?“ nennt Charlotte Salomon, so ihr Name, dieses „Singespiel“ zum Blättern. 1943 wird sie verraten und verhaftet, nach Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie wohl noch am selben Tag ins Gas muss – im fünften Monat schwanger. Die Bilder gehören heute dem Jüdischen Museum Amsterdam, waren die Vorlage für Bücher und Filme, bald sollen sie auch in ein Ballett verwandelt werden. 2012 wurden sie sogar bei der Kasseler Documenta ausgestellt.

Ja, man kann Auschwitz komponieren

Was für ein Leben! Was für eine Geschichte! Aber ist das auch eine Oper?

Ja, man kann Auschwitz komponieren, so wie man auch Gedichte darüber geschrieben hat, das haben 2010 die Bregenzer Festspiele eindrücklich unter Beweis gestellt, die dort Mieczysław Weinbergs tief berührende „Die Passagierin“ nach den autobiografischen Erinnerungen der heute 90-jährigen Zofia Posmysz szenisch uraufgeführt und den Siegeszug dieses Werks eingeleitet haben, das eben erst in New York gezeigt wurde.

Bei den Salzburger Festspielen, wo jetzt „Charlotte Salomon“ vom französischen Spektralisten Marc-André Dalbavie uraufgeführt wurde, als erster von drei Opern-Aufträgen, die der scheidende Intendant Alexander Pereira zudem bei György Kurtág und Thomas Adès in Auftrag gegeben hat, bleibt es jetzt leider bei der guten Absicht. Fast zweieinhalb mehr und mehr ermüdende Stunden lang hört und sieht man viel Lauteres, wenig wirklich Kreatives, kaum musikdramatisches Eigenleben.

Das veroperte Leben und Werk der Charlotte Salomon kommt hier, das deutet der banale Titel schon an, über einen erbaulich audiovisuellen Volkshochschulvortrag nicht hinaus. Was mit freundlich gutmenschlich gemeintem Applaus im schütter besetzten Auditorium bedacht wurde.

Der Librettist wurde spät ausgetauscht

Die Produktion stand unter keinem guten Stern. Der Regisseur Luc Bondy ließ den ursprünglichen Librettisten austauschen, die Schriftstellerin Barbara Honigmann kompilierte in aller Eile aus den trockenen, meist unsanglichen Salomon-Sätzen samt ein paar Brecht- und Kant-Einsprengseln ein allzu planes, didaktisches Libretto.

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Der offenbar ganz und gar unehrgeizige Dalbavie, der auch am Pult des schmiegsamen, nicht wirklich geforderten Mozarteumorchesters steht und bereits 2010 an Pereiras Zürcher Opernhaus mit der großzügig Fremdzitate einspeisenden Komponistenoper „Gesualdo“ einen Achtungserfolg erzielt hatte, macht sich musikalisch klein, dauerbuckelt in dienender Funktion. Er folgt sklavisch der stationendramahaften, statischen Buchvorlage mit Vorspiel, zwei Akten und Epilog.

So wie Charlotte immer wieder ihr Heil in der Musik suchte, so gibt es in dieser Partitur enervierend viele Schnipsel aus Carmens „Habanera“, die die Stiefmutter sang, Schubert- und Kirchenlieder, Webers „Jungfernkranz“, dem letzten Song der Comedian Harmonists, jiddischer Folklore. Aber nicht einmal das von einer Braunhemden-Horde intonierte Horst-Wessel-Lied verstört in diesem brav geklebten und aneinandergereihten, nie wild collagierten Allerlei zwischen Rilke-Zitaten, Mahler-Anspielungen und „Stürmer“-Schmähreden.

Das bleibt leider auch im zweiten Teil nur stoisches Dokumentartheater mit Musik. Hier eine liegend flirrende Streicherfläche, da ein Blechcluster, ein dazwischenfahrender Klavierakkord, Spannung vortäuschende Crescendi, meist aggressionslos harmonisch, sich mit einer bescheidenen Untermalungsrolle begnügend. Nie bäumt sich diese Partitur auf, wird gar emotional.

Die eine Charlotte spricht, die andere singt

Die Aufteilung der Titelrolle in eine schauspielernd deutsch sprechende auktoriale Charlotte Salomon vor der Szene im weißen Korbsessel und ihr semibiografisches, zart surreal lasiertes, französisch singendes Mezzosopran-Alter-Ego Charlotte kann in dem Stück, in dem sie sich von der Acht- zur 26-Jährigen entwickelt, auch keine echte Spannkraft schaffen. Obwohl sich die kratzig durchscheinende Johanna Wokalek und die wundervoll feine, vokal quecksilbrig schimmernde Marianne Crebassa sehr mühen und großartig ergänzen. Immer wieder stehen sie im Partnerlook mit braunem Bubikopf, blau-schwarzem Pullover und kurzem Rock einander gegenüber und sehen sich doch nicht, kochen gemeinsam als doppeltes Charlottchen Veronal-Omelette und singen sogar zusammen verschwebendes Liedgut.

Dieses problematische Konstrukt, das immerzu alles erzählen will, statt sich auf signifikante Schlaglichter und Schlüsselmomente zu beschränken und dessen Protagonisten neben der gespaltenen Hautfigur seltsam blasse Schemen bleiben, ereignet sich zudem im völlig falschen Raum. In der Cinemascope-monströsen Felsenreitschule zerfließt dieses intime Werk – statt fokussiert und konzentriert zu werden.

Luc Bondy hat das natürlich gemerkt und sich von Johannes Schütz eine superflache, durch bewegliche Trennwände in zwölf Zimmerchen aufteilbare weiße Einheitskiste bauen und vor den tiefen Bühnenabgrund samt Arkaden stellen lassen. Da fädelt er nun simultan und sich überlagernd über die ganze Breite, aber eng gedrängt großbürgerliches Leben am Flügel im Musiksalon, Rückzüge im Schlafzimmer, Fluchtbewegungen auf Stühlen als Zugandeutung auf.

Über die Wände wandern Charlottes Bilder

Moidele Bickel hat nuanciert zeitgenössische Kostüme entworfen. Statisten und der kleine, nur einmal beschäftigte Chor suggerieren Tableaus, wo keine sind. Die als Videos über die Wände wandernden Bilder der Charlotte Salomon bringen Farben und Bewegung, aber keine Spannung. Sie steigern nur noch mit ihrer zeigefingernden Authentizität den pädagogischen Ansatz, der sich nie zur wirklich bannenden Bühnenexistenz verlebendigt.

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So bleibt selbst ein Regieprofi wie Luc Bondy nur unscheinbar dienend. Immer weiter fließt Dalbavies Spektralmusik dahin. Ewig zieht sich die Prosodie des sachlich-holzigen Textes darüber.

Trotzdem: Was für ein Leben! Was für eine Geschichte! Und was für eine vertane Chance ...

Termine: 2., 7., 10., 14. August

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