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Nachtkritik zum "Rosenkavalier": Die Welt von gestern

Die Premiere der Strauss-Oper hatte Glanz und Glamour. Vor allem: Sie wird in Erinnerung bleiben als kluge Rückbesinnung.

Nachtkritik zum "Rosenkavalier": Die Welt von gestern
Nachtkritik zum "Rosenkavalier": Die Welt von gestern
Richard Strauss wollte seine Oper "Ochs auf Lerchenau" nennen. Sein Textdichter Hugo von Hofmannsthal und vor allem seine Gattin Pauline überzeugten ihn, und "Der Rosenkavalier" war geboren. Nach der glamourösen Festspielpremiere am Freitag tendiert man wieder zu Strauss. Denn eine kleine Änderung, die strichlose Fassung, und vor allem ein völlig anderer Darstellertyp bieten ein ungewohntes Bild vom lustgetriebenen überheblichen Landadeligen, der eine superreiche Erbin zur Beute erkor und sich der Hilfe seiner gesellschaftlich an der Spitze stehenden Verwandten, der Marschallin, bedienen will. Spätestens seit 1960, da Herbert von Karajan mit dem "Rosenkavalier" in der Regie von Rudolf Hartmann das neue Große Festspielhaus eröffnete, gibt es Legenden. Abweichungen bei späteren Produktionen wurden weniger goutiert. An der Wiener Staatsoper wird Otto Schenks Regie aus dem 1968er Jahr wie ein Heiligtum abgespielt.

Der Salzburger Festspielintendant Alexander Pereira setzt vielfach auf die Erfahrung von Senioren, nun inszenierte Harry Kupfer, Jahrgang 1935, nach rund 200 Regiearbeiten einen neuen "Rosenkavalier". Im Orchestergraben sitzen die Wiener Philharmoniker, wer sonst, und der Dirigent Franz Welser-Möst zog das Ass im Spiel. Den Da-Ponte-Zyklus der Mozartopern, die Sven-Eric Bechtolf inszeniert, hat er wegen widriger Umstände abgesagt, nun ersetzte er den vorgesehenen Zubin Mehta ausgerechnet in seiner Lebensoper, mit der er auch schon in Zürich debütierte. Die Wiener und der wienerische Strauss, was soll da schief gehen? Nach vierdreiviertel Stunden herrschte Eintracht im Festspielhaus: das war wieder einmal ein "Rosenkavalier", der als festspielwürdig gilt. Auf der Bühne rollten zuletzt im dicken Auto die Marschallin und der Emporkömmling Faninal davon, in der Hofstallgasse warteten modernere Limousinen ähnlicher Dimension auf geladene Gäste. Frohe Begeisterung allerseits.

Es gibt in der Oper ein paar SchlüsselsstellenGlanz und Glamour in Salzburg, und wer wollte, konnte auch nachsinnen. Denn so ohne weiteres wurde der Publikumserfolg nicht erzielt. Es gibt in der Oper ein paar Schlüsselstellen, die über das Schicksal entscheiden können. Franz Welser-Möst hatte den Orchestergraben in Karajanhöhe geschraubt, also ziemlich hoch, und ab dem ersten Moment stand zu befürchten, er habe sich verspekuliert. Zu laut. Die Balance besserte sich zunehmend. In der Bettszene zu Beginn, da die wohlbestallte Marschallin sich mit ihrem Lustknaben Octavian vergnügt, gerieten die Frauenstimmen von Krassimira Stoyanova und Sophie Koch akustisch unter die Räder im orchestralen Überschwang. Auch der Cousin vom Land, Ochs auf Lerchenau, der unverfroren in die heimliche Zweisamkeit platzt, steigerte höchstens die Turbulenzen. In jeder Beziehung. Octavian verkleidet sich als Dienstmädchen und zieht die Aufmerksamkeit des selbsternannten Womanizers auf sich. Günther Groissböck als Ochs war einer der Trümpfe des Abends, bis zuletzt bestens bei Stimme. Wie selbstverständlich nahm er die sängerische Herausforderung der sonst gestrichenen pikanten Prahlerei mit seinen - billigen - Weibereroberungen hin, er ist überhaupt ein "neuer" Ochs. Quasi idealtypisch im Sinne der Erfinder, kein derber fetter Trottel, sondern im Dunstkreis des Kaiserhofs tätig, aber "verbauert". Und verschlagen, wie sich später herausstellt. Könnte sein, dass dies ein Klischee außer Kraft setzt, das seit Richard Mayr, dem beleibten Salzburger, der zur Legende wurde, jahrzehntelang von rundlichen Komikern gepflegt wurde.

Philosophische Betrachtungen über das Verrinnen der ZeitDrunter und drüber geht es ohnehin, wenn Lakaien, Selbstdarsteller und Schnorrer die Marschallin umschwärmen und Menschenmassen in die Intimität der Hausherrin eindringen. Sie werden abgefertigt. Dann verstummt kurz das Orchester. Die Reflexion der alternden Frau, die sich schon in den ersten Takten im Spiegel gemustert hatte, geriet im Angesicht des Toyboys zu einer Sternstunde an sängerischer Intensität und damit - in der Retrospektive - zum frühen Höhepunkt des Abends. Weltklasse, wie Krassimira Stoyanova mit diesen philosophischen Betrachtungen über das Verrinnen der Zeit das Publikum schlicht am Herz packte. Und im Hintergrund verstärkte eine kahle Baumallee die Melancholie ins Monumentale.

Hans Schavernoch hat die bestaunte Bühne entworfen. Wien vor dem Ersten Weltkrieg, imperiale Prachtbauten der Ringstraßenzeit, imposant und auch schräg projiziert, fantastische Räume, die durch Überblendung wechselten. Faninals Palais stammte wohl von Theophil Hansen. Bei der Rosenüberreichung finden sich Mojca Erdmann als mädchenhafte Sophie und Sophie Koch als Octavian sofort als bildhübsches Paar im ätherischen Klangbild des Orchesters. Ochs stört als Macho und Psychotrampel samt seinem tölpelhaften Personal Faninals - und seine eigenen - Pläne, er wird im "Kampf" verwundet, kurz darauf läuft er in die Falle. Für die "Verführungsszene" steht ein Pratergasthaus zur Verfügung, wo eine inszenierte Gespensterstunde das ultimative Schäferstündchen zwischen Ochs und dem "Dienstmädchen" der Marschallin alias Octavian in Frauenkleidern zur endgültigen Demütigung des Schürzenjägers führt. Sehr einfallsreich hält Harry Kupfer diese Szenerie in Dauerbewegung, bis der Bruch folgt. Die eingeschrittene Marschallin, Octavian und Sophie finden sich nach dem Tobuwabohu zum Erkennen der neuen Zeit, und wieder vereinen sich die Stimmen, zum ätherischen Trio, von dem ein junges Duo übrigbleibt. Die Marschallin zieht sich zurück, lässt die Liebenden allein. "Sind halt aso, die jungen Leut!", erkennt auch Faninal (Adrian Eröd).

Die Breitwandbühne füllte sich zum Verneigungsritual zur Gänze. Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Kinderchor, eine Unzahl von Mitwirkenden, Statisten, die Haupt- und Nebendarsteller, auch das Leading Team konnte sich im einhelligen Beifall sonnen. Sonderjubel ernteten Günther Groissböck, Krassimira Stoyanova, Sophie Koch und Mojca Erdmann. Sind halt aso, die "Rosenkavaliere", wenn sie so gelingen, wie dieser gelungen ist.



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