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Bühne und Konzert Salzburger Festspiele

Der Rüpel im Ringstraßenpalais

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Fast wie daheim beim Herrn Baron auf Lerchenau: Harry Kupfers Salzburger Inszenierung des Strauss’schen „Rosenkavalier“ mag konventionell scheinen, ist aber delikat und schön und gut Fast wie daheim beim Herrn Baron auf Lerchenau: Harry Kupfers Salzburger Inszenierung des Strauss’schen „Rosenkavalier“ mag konventionell scheinen, ist aber delikat und schön und gut
Fast wie daheim beim Herrn Baron auf Lerchenau: Harry Kupfers Salzburger Inszenierung des Strauss’schen „Rosenkavalier“ mag konventionell scheinen, ist aber delikat und schön und g...ut
Quelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus
Gekonnte Konvention: Harry Kupfer und Franz Welser-Möst gehen im neuen Salzburger „Rosenkavalier“ auf vertrauten Strauss-Opernpfaden. Aber Günther Groissböcks Ochs ist ein niederösterreichischer Faun.

Und in dem „Für“ da liegt der ganzen Unterschied. Was? Singt die „Rosenkavalier“-Marschallin nicht vom „Wie“ man den Lauf der Welt erträgt? Natürlich. Aber Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss haben ihre 1911 schon so aus der Zeit gefallen anmutende und doch bis heute geliebte Oper eben „Komödie für Musik“ genannt. Nicht „mit“ und nicht „musikalische Komödie“.

„Für“ also, will meinen: das Komödiantische, der feine Witz dieser Sprache, die so künstlich und doch so harmonisch, so ausgefeilt und doch so natürlich anmutend ist wie in keinem anderen Musiktheaterstück des ganzen, riesigen Repertoires, er muss unbedingt die Balance halten mit diesen sämigen, funkelnden, anachronistisch walzerverliebten, bisweilen melancholischen, oft zärtlichen, aber auch robust losrumpelnden, schlagobersfetten Klängen, die ein ziemlich großes Orchester dazu erzeugt.

„Rosenkavalier“ in Salzburg seit 85 Jahren

Worte oder Töne also? Darüber hat Richard Strauss dann später, 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg, eigens die Oper „Capriccio“ komponiert. Der „Rosenkavalier“, schönstes, nicht modernstes, nicht spektakulärstes Stück zweier ihrer Gründer, begleitete die Salzburger Festspiele seit 1929.

Aber spätestens seit 1960 damit Herbert von Karajan sein hypertrophes Großes Festspielhaus eröffnete, wurde diese „Wienerische Maskerad“ sogar zu einer Art Salzburger Signaturstück. Obwohl gerade diese Spielstätte dafür zu groß ist, auf der Breitwandbühne alle menschlichen Dimensionen verloren zugehen drohen, Intimität nur mühsam herzustellen ist, vor allem aber diese heikle Balance zwischen Sprache und Musik eine unmögliche bleiben muss.

Franz Welser-Möst, der jetzt die Wiener Philharmoniker, die, wenn sie wollen, das beste Opernorchester der Welt sind, in dieser zum 150. Strauss-Geburtstag offenbar unvermeidlichen „Rosenkavalier“-Premiere leitete, hat sich sehr bemüht. Und er hat mehr Erfolg als die Dezibel-Weltmeister Lorin Maazel und Semyon Bychkov hier vor ihm.

Er hat einerseits den Graben hochgefahren, um den Glanzfaktor und gleichzeitig die seidig-weiche Struktur dieser schmiegsamen Musik zu steigern, andererseits aber die Musiker dynamisch gedimmt, so gut wie möglich. Es klingt stets reflektiert, Welser-Möst ist kein Interpret des Loslassens, der Ekstase, schwungvoll, abwechslungsreich, sehr, sehr vornehm, durchsichtig kristallin, nie sentimental. Aber eben bisweilen auch: zu laut – leider.

Lauter lyrische Stimmen

Denn auf der von Hans Schavernoch geschickt großflächig und fließend Raumfluchten ineinandergleiten lassenden, optisch opulent gehaltenen, doch akustisch kastengünstigen, gar nicht so tiefen Bühne finden sich lauter lyrische Stimmen. Darunter zwei bedeutende Rollendebütanten. Krassimira Stoyanovas Marschallin, optisch Karajans ebenfalls bulgarischer Marschallin Anna Tomowa-Sintow ähnlich, ist hier eine alterslos-reife Frau in makellos weißem Morgenmantel mit Pelzmanschetten.

Die weiß vom postkoitalen, hier gänzlich jugendfrei inszenierten Anfang an, dass sie das außereheliche Glück mit dem 17-jährigen Octavian nicht wird halten könnten. Deswegen will sie aber lieber selbst einfädeln, an welche Jüngere der Bub dann prompt sein Herz verliert.

Die Stoyanova singt nobel, ein wenig distanziert. Doch ihre, die letzten 25 Reflexionsminuten des ersten Aktes gelingen traumschön als Schlichtheit des Herzens im vorausgeahnten Verzicht.

Der Ochs als Dreh- und Angelpunkt

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Eigentlich sollte die Oper einmal „Ochs auf Lerchenau“ heißen. Und wenn man den saftigkräftigen Günther Groissböck nun erstmals hört, eine grandiosstimmige Mischung aus charmierendem Don Juan, sich plusterndem Provinzgockel und Testosteron ausatmendem Faun aus Niederösterreich, dann weiß man auch, wieso.

Er ist der schlanke, immer nach den Röcken grabschende Dreh- und Angelpunkt, um den hier alles kreiselt. Und selbst in der größten Demütigung behält er eine trotzig-natürliche Würde, die der seitenspringenden Marschallin durchaus gefährlich werden könnte.

Der Kommissar ist exzellent

Stimmlich fehlt ihm ein Gran an Bassschwärze. Man hört das beim Verhör mit dem exzellenten Polizeikommissar des jungen Tobias Kehrer (der vielleicht mal zum Ochs reift?), doch Groissböck kompensiert das mit Intelligenz, Reaktionsschnelligkeit und einer unaufdringlich raumfüllenden Präsenz.

Auch ihm haben die Autoren wunderbar gustiöse Minuten am Ende des zweiten Aktes gegönnt. Wenn dieser Ochs als wilder, halb nackter Stier sein Leiblied aus der Kehle in die Luft und aus der Hüfte in die Kissen des Ringstraßenpalais stößt, dann ist das ein wohliger, luxuriös festspielsinnlicher Brunftschrei.

Trotzköpfchen auf Emanzipationstrip

Während Mojca Erdmann im Reformkleid ein sopransilbriges Sophie-Trotzköpfchen auf Emanzipationstrip gibt, das trotz kleinen Stimmchens und teilweise verrutschenden Vibratos zielsicher seinen Rosenkavalier als Ochs-Alternative checkt und kirre macht, liefert die Octavian-erfahrene Sophie Koch die reifste Sängerinnenleistung.

Die ist junger Herr und verkichert verkleidetes Mariandel, hat die großen Bögen, die Wortdeutlichkeit, aber auch einen wissend-herben, widerspenstigen Bitterstoff auf den Lippen. Und auch ihre Wagner-Ausflüge haben die konzentrierte Stimme im Fokus belassen. Von den vielen, plastisch skizzierten Nebenfiguren sei noch der ambitiös-geblähte Faninal des treffsicheren Adrian Eröd erwähnt.

Der Himmel geht musikalisch endlich auf

Musikalisch tut sich hier also endlich der sonnig durchglühte Festspielhimmel auf, welchen man in diesem auch klimatisch wechselhaften Salzburg-Sommer bisher nur herbeisehnte. Dieser „Rosenkavalier“, es wurden zudem einige Striche geöffnet, die den Ochs noch weiter aufwerten, ist aber bei aller Kulinarik auch ein wissend-moderner, einer, der all die hier ausgebreitete Harmonie als ein verletzliches, stets gefährdetes Gut vorführt. Das ist das klanglich Zukunftsweisende der Aufführung.

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Optisch freilich bleibt bei dieser Premiere alles beim Alten. Der bald 79-jährige Harry Kupfer, agil und unverändert beim fülligen Applaus, hat an keiner Tradition gerührt, belässt das Werk als eines der bewusst zelebrierten, nur ganz unterschwellig spürbaren Restauration. Die erlesen-monochromen Bilder und die zurückhaltenden Kostüme von Yan Tax siedeln das Geschehen in der Entstehungszeit an.

Das Finale findet im Beisl statt

Man wohnt in großflächigen Lofts, die wie auf Wiener Werbetafeln auf die Michaelerkuppel der Hofburg blicken, Gewächshäuser zeigen, sich im Prunktreppenhaus des Naturhistorischen Museums drehen (wo sich der neureich geadelte Herr von Faninal freilich bereits mit Wiener Werkstätte-Jugendstil eingerichtet hat); schließlich im kürzlich abgerissenen Prater-Etablissement „Zum Walfisch“ als zur Kenntlichkeit entstelltem Beisl ein grünes Finale ansteuern.

Zwei sprechende Naturveduten sind den großen kontemplativen Momenten vorbehalten – kahle Schönbrunner Alleebäume, die den Marschallin-Monolog vom „halten und nehmen, halten und lassen ...“ illustrieren, ein grüner Park, wo sich auf zwei Bänken das magisch klare Schlussterzett und -duett ereignen.

Die Marschallin strebt schon weg, fährt (wie gleich Teile des vermögenden Auditoriums) mit einem weißen Edelauto davon. Auch ihrem offenbar indischen Chauffeur Mohammed wird nur ihr wiedergefundenes Taschentuch bleiben.

Keine Spur von Sozialismus bei Harry Kupfer

Kupfer, der das Werk einmal, am Anfang seiner langen Karriere in Weimar, inszeniert hat, lässt ausgerechnet im reichen Salzburg seine sozialistische Sozialisation außen vor, wendet seine ganze Aufmerksamkeit nicht überraschenden, sondern schlüssigen Personenkonstellationen zu.

Souverän behält er, auch wenn Hundertschaften von Domestiken zu wuseln scheinen, die Figurenfäden in der Hand. Mit Liebe zum zwischentongefärbten Detail ist das eine bei aller Bewegungsnervosität ruhige, konventionell konservative, aber genaue, locker präzise Inszenierung geworden.

Es muss nicht immer alles anders sein, wenn es gut ist. Und dieser delikate Salzburger „Rosenkavalier“ ist gut, manchmal sogar sehr gut. Weil er so wahr und ehrlich ist, szenisch wie musikalisch.

Termine: 5., 8., 11., 14., 17., 20., 23. August; TV-Aufzeichnung am 18. im ORF 2 und am 21. im BR

Auch wenn es akustisch heikel war, sie eroberten sich die Große Salzburger Festspielbühne: Sophie Koch als Oktavian und Mojca Erdmann als Sophie im „Rosenkavalier“
Auch wenn es akustisch heikel war, sie eroberten sich die Große Salzburger Festspielbühne: Sophie Koch als Oktavian und Mojca Erdmann als Sophie im „Rosenkavalier“
Quelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

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