Vor dem grossen Einschnitt

Mit dem «Rosenkavalier», ihrer dritten Premiere, haben die Salzburger Festspiele dieses Sommers nun doch begonnen, Festspiele zu sein. Eine in jeder Hinsicht beispielhafte Produktion.

Peter Hagmann
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Morgendämmerung an den Salzburger Festspielen: Harry Kupfer inszeniert den «Rosenkavalier» und sorgt für den ersten Höhepunkt. (Bild: Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus)

Morgendämmerung an den Salzburger Festspielen: Harry Kupfer inszeniert den «Rosenkavalier» und sorgt für den ersten Höhepunkt. (Bild: Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus)

Eigenartige Gestirne dominierten die Salzburger Festspiele 2014. Erst verkrachten sich der Intendant Alexander Pereira und der Dirigent Franz Welser-Möst über dem Projekt einer Da-Ponte-Trilogie, weshalb Christoph Eschenbach zum Handkuss kam. Dann fiel Zubin Mehta als Dirigent im neuen «Rosenkavalier» aus, worauf Franz Welser-Möst wieder ins Boot kam. Schliesslich stürzte Matthias Hartmann vom Thron des Wiener Burgtheaters, so dass für «Die letzten Tage der Menschheit» kurzfristig Ersatz gefunden werden musste. Und dazu dann der miserable Einstieg mit dem hinter dem Stand der Dinge zurückgebliebenen «Don Giovanni» und der musikalisch belanglosen Opern-Novität von Marc-André Dalbavie. So blieb nur die Hoffnung – worauf? Auf den «Rosenkavalier»? Den Inbegriff des bürgerlichen Repräsentationstheaters? Das Must im Jahr des 150. Geburtstags von Richard Strauss? Tatsächlich liess just dieser Abend erkennen, was Festivals, was insbesondere die Salzburger Festspiele sein können.

Neue Beleuchtung

Nur in Salzburg gibt es ein Hausorchester wie die Wiener Philharmoniker. Einen Chefdirigenten kennen sie nicht, das widerspräche ihrer langjährigen Tradition der Selbstbestimmung. Aber wie weiland Karl Böhm wirkt Franz Welser-Möst als eine Art Hauptdirigent. Als aktiver Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper arbeitet er regelmässig mit dem Orchester, es gibt da eine ganz eigene Vertrautheit der Beziehung – davon lebt der neue Salzburger «Rosenkavalier». Das klangliche Raffinement der Partitur, die Duftigkeit ihrer Diktion und die Beweglichkeit in ihrem Inneren – das lässt sich von einem Dirigenten bloss anstreben, niemals aber durch Zeichengebung erzeugen, das muss das Orchester, vom Dirigenten angeregt und zugleich frei gelassen, aus sich selbst heraus verwirklichen. Genau das geschieht hier. Weshalb die Musik in diesem «Rosenkavalier» wie ein feines Stück Stoff im Winde weht und ein sanftes Mitschwingen auslöst, aber in keinem Augenblick, selbst nicht im terzenseligen Schlussduett von Sophie und Octavian, an die Tränendrüse rührt.

Das Stück wird ungekürzt gespielt, anders als gewohnt. Was vom rein zeitlichen Ablauf her keine enorme Erweiterung bedeutet, im Dramaturgischen aber doch zu veränderten Beleuchtungen führt. Nicht mehr der Rosenkavalier, der junge Graf Rofrano, der zwischen zwei Frauen steht, zwischen der eher seiner Mutter gleichenden Feldmarschallin und der gleichaltrigen, allerdings nicht wirklich standesgemässen Sophie Faninal, von der für den jungen Mann die erotische Initialzündung ausgeht – nicht mehr dieser Octavian bildet das Zentrum. Und das, obwohl die «ménage à trois» ausgezeichnet besetzt ist. Krassimira Stoyanova ist stimmlich wie darstellerisch eine Fürstin Werdenberg, die noch ganz Frau ist, wenn auch – wie man zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch dachte – ein letztes Mal. Während Sophie Koch mit ihrem warmen Timbre geradezu körperlich fassbar macht, in welche Zwickmühle Octavian gerät und wie lustvoll er sich daraus befreit, und Mojca Erdmann mit ihrem hellen Sopran eine so entschlossene wie naive Sophie gibt. Die Übergabe der silbernen Rose gerät jedenfalls zu dem magischen Moment, zu dem sie im besten Fall werden kann.

Nein, in dieser Fassung und dieser Produktion müsste die Oper von Richard Strauss einen anderen Titel tragen. Denn in hellstes Licht gerät hier der Baron Ochs auf Lerchenau, der einiges mehr zu singen hat – und der von Günther Groissböck mit seinem herrlichen Bass vortrefflich verkörpert wird. Gewiss kommt dieser Vertreter alten Adels vom Land und führt er sich so auf wie zu Haus, doch erscheint er nicht als etwas verkommener, etwas bäuerischer Hinterwäldler, er hat sich – das zeigt nicht zuletzt der feine Stoff, der ihm der Kostümbildner Yan Tax zugedacht hat – vielmehr recht fein gemacht für die Stadt und erfüllt dort, abgesehen von seiner dialektal gefärbten Aussprache, alle Anforderungen an die gepflegte Form. Allein, in dieser wunderbaren Stadt Wien stolpert er von Fettnapf zu Fettnapf und wird er im dritten Akt so arg zugerichtet, dass er einem, wenn ihm gar noch der blonde Haarschopf vom kahlen Schädel fällt, echt Leid zu tun beginnt. Er ist doch bloss von gestern und hat noch nicht gemerkt, dass bereits ein Morgen aufzudämmern begonnen hat.

Scharfer Silberstift

Die Morgendämmerung, sie bildet das Nervenzentrum des Stücks. Nicht um den nostalgischen Blick zurück auf die Welt von gestern geht es im «Rosenkavalier» – mit der Wiedereinsetzung der Tonalität und dem Akzent auf dem Walzer führt uns Richard Strauss da geflissentlich auf Abwege. Das Libretto bietet vielmehr eine ätzende Abrechnung mit der im Untergang befindlichen feudalen Gesellschaft – selbst ein Vertreter niedrigen Adels, wusste Hugo von Hofmannsthal sehr genau, was da Sache war. In der zu Unrecht geschmähten Inszenierung, die Christoph Waltz Anfang Jahr in Antwerpen und Gent dem «Rosenkavalier» angedeihen liess, wurde das so deutlich wie kaum je.

Harry Kupfer denkt in eine ähnliche Richtung, er verwirklicht den Ansatz aber eher im Atmosphärischen. Hans Schavernoch hat ihm ein grossartiges Bild auf die Bühne im Salzburger Grossen Festspielhaus gestellt. Es lebt von Prospekten, die auf Fotografien zurückgehen, von unmerklich bewegten Ansichten auf die im Umbruch befindliche Kaiserstadt Wien. Wenige Bauteile markieren die Differenz zwischen dem Barock des untergehenden Adels und dem Jugendstil des aufsteigenden Bürgertums, wie es Herr von Faninal (Adrian Eröd) verkörpert. Was sich aber in der Gesellschaft abspielt, zwischen den Menschen nämlich, was sich da an Spannung aufbaut, das stellt Kupfer mit der ihm eigenen Meisterschaft heraus. In aller Schärfe, auch wenn er es mit dem Silberstift tut.