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"Csárdásfürstin" in Semperoper: Netrebko mal anders

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"Csárdásfürstin" in Semperoper
Wildern im fremden Fach: Anna Netrebko und Juan Diego Flórez geben das Operetten-Traumpaar. © Creutziger

Dresden - Das Kálmán-Konzert „Csárdásfürstin“ in der Semperoper Dresden führt vor, wie man Operette missverstehen und zu Tode lieben kann.

Die Dresdner Semperoper hat mit Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“ Pech. 1999 wurde Peter Konwitschnys Sicht auf das Stück angefeindet, weil die Regie das 1915 entstandene Werk (eigentlich naheliegend) im Ersten Weltkrieg ansiedelte. Konwitschny verbat sich Änderungen, ein Urheberrechtsstreit folgte. Nun, 14 Jahre später, wieder Semperoper, wieder „Csárdásfürstin“, allerdings konzertant im Rahmen des ZDF-Silvesterkonzerts, 1,63 Millionen schalteten ein. Christian Thielemann nimmt sich höchstselbst einmal mehr der Operette an. Die Besetzung: wie von den großen Plattenfirmen zusammengewürfelt. Anna Netrebko gibt ihr Rollendebüt als Sylva Varescu, Belcanto-Spezialist Juan Diego Flórez leiht seinen kostbaren Tenor ihrem Geliebten Edwin.

Für beide ist es auch das Debüt in einer deutschsprachigen Partie – was bei der Netrebko besonders unter die Lupe genommen wird, da sie 2016 in Dresden als Elsa in Wagners „Lohengrin“ einen Vorgeschmack geben soll auf den Bayreuth-Einsatz in derselben Rolle. Das Dresdner Publikum freut sich wund, die Nachrichtenagenturen jubeln. Das zeigt noch mehr als die verquaste konzertante Aufführung, wie weit sich das Genre Operette von seiner ursprünglichen Gestalt entfernt hat. Was Thielemann da (mit heftigen Wacklern, als wohne man einer frühen Probe bei) mit einem der besten deutschen Orchester und einigen der teuersten Stimmen der Welt zelebriert, ist nurmehr eine Karikatur dessen, was die Operette einmal sein wollte. Thielemann liebt die „Csárdásfürstin“ zu Tode. Doppelbödigkeiten, Anzüglichkeiten, die Vorahnung des nahen Endes der Adelsstände, die Kritik an gesellschaftlichen Verwerfungen – das hört man dieser zur „Csardasdämmerung“ aufgepumpten Monumentalisierung nicht mehr an.

Ganz zu schweigen davon, dass die Stars mit der bei der Operette so überaus wichtigen Sprache sehr lax umspringen. Stimmlich könnte die Netrebko eine große Operettendiva abgeben, wenn sie sich mit viel Fleiß auf das Genre einlassen würde – wofür in ihrer Preisklasse aber nicht genügend Nachfrage besteht, um einen solchen Einsatz zu lohnen. Noch befremdlicher und fehlbesetzt ist Flórez, der an ihrer Seite wie ein verschüchterter Jüngling wirkt und eher wie ein Operettenbuffo auf Abwegen klingt.

All das macht wieder einmal klar: Für die Operette braucht es ganz spezielle Sänger. Es dürfen wohl, müssen aber keineswegs die edelsten sein, sondern solche, die sich auf die Sprache, den Witz, die Mehrdeutigkeit der Charaktere einlassen wollen und können. CD und DVD (man darf auf die Schneide- und Frisierkunst der Tontechniker gespannt sein) des Ereignisses werden unweigerlich in diesen Tagen im Laden landen.

Geht die Operette also glanzvoll und seelenlos zugrunde? So pessimistisch braucht man gegenüber der oft totgesagten Kunstform nicht sein. Thielemanns Weg ist eine Sackgasse: Er schließt nahtlos an die egalisierende Wohlfühl-Patina der Fünfziger- und Sechzigerjahre an, die den Operetten im Dienste der Bürgerseligkeit fast alle Zähne gezogen hatte. Doch es gibt sie ja immer wieder, die Regisseure, Dirigenten und Sänger, die der totgewalzerten Hülle neues Leben einhauchen.

Die Achse der Gutgelaunten läuft derzeit von der Komischen Oper Berlin (wo gerade Nico Dostals „Clivia“ eine aufsehenerregende Wiederauferstehung feierte) zum Münchner Gärtnerplatztheater, das etwa Kálmáns „Zirkusprinzessin“ als vitales Theatervergnügen kredenzte. Und diese Achse streift Orte, von denen man es nicht erwarten würde, etwa mit der sensationellen Aufwertung der abgeschriebenen Paul-Abraham-Operette „Victoria und ihr Husar“ in Gießen. Ein Erfolg auch deshalb, weil sich diese Spezialisten zum Teil daran machen, die Urfassungen zu rekonstruieren – wie es eben die Exegeten der Alten Musik für ihre Epoche seit langem tun. Soße drübergießen wie in Dresden lässt sich leicht. Besseres verdient hat die verflixt schwierige, so viele verschiedene Talente fordernde Kunstform Operette allemal.

Silvesterkonzert

der Konkurrenz von den Berliner Philharmonikern am 31. Dezember, 17.25 Uhr, in der ARD.

Claus Ambrosius

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