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Musiktheater
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La Bohème

Szenen aus Henri Murgers La Vie de Bohème in vier Bildern
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Musik von Giacomo Puccini


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 25. September 2016


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Theater Bonn
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Liebesszenen sind peinlich

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Der Besetzungszettel hilft weiter: Der schlecht gekleidete alte Herr, der hier in einer Fabrikhalle zwischen allerlei Sperrmüll in der Mülltonne wühlt, das ist "Rodolfo als alter Mann". Die Jacke in schmuddeligem Schimanski-Grau, die er da ausgräbt, die hat er als junger Rodolfo getragen, und alsbald werden wir Teilhaber seiner Erinnerung an bewegte Studentenzeiten in den 1970ern, als man Che-Guevara-Poster an den Wänden und Anarcho-Sticker auf der Gitarre kleben hatte. Jens-Daniel Herzog erzählt die Oper aus der Rückblende. Der alte Rodolfo bleibt allgegenwärtig, und das hat den großen Vorteil, dass man nicht jedes Detail beim Librettowort nehmen muss - die Erinnerung ist nun einmal selektiv und verfälschend.

Szenenfoto

Rodolfo als alter Mann am Ort seiner studentenbewegten Jugend. (Aber wohnte man damals nicht in besetzten Häusern?)

Nun geht es Herzog ganz und gar nicht um ein wehmütiges "ach, damals", ganz im Gegenteil. Wenn man etwas in diese ziemlich holprige Inszenierung hineindeuten möchte, dann eher die Desillusionierung der jungen Männer, die angesichts Mimís Tod am Ende einfach davonlaufen. Allerdings bleibt da vieles unklar. Guevara und Mao-Bibel deuten eine Politisierung an, die am Ende des zweiten Bildes im Café Momus, das hier als mobiler Imbiss-Wagen mit Stehtischen herein rollt (auf die blasiert vornehmen Kellner, die in diesem Ambiente grotesk falsch sind, verzichtet Herzog trotzdem nicht). Zunächst bestehlen und piesacken die anwesenden Kinder unter den Augen der Mütter den blinden Spielzeughändler Parpignol (Gesellschaftskritik!), dann plündern Rodolfo und Konsorten in Robin-Hood-Manier die Cafékasse und werfen das Geld unters Volk (Revolution!), und schließlich prügelt die Gendarmerie den Aufstand zusammen (Staatskritik!). Weil das alles erkennbar in Frankreich angesiedelt ist (und nicht, obwohl doch irgendwie nahe liegend, in der seinerzeitigen Bundeshauptstadt Bonn), tut das in seinem sehr maßvoll provokativen Gestus dem Bonner Publikum nicht wirklich weh. Ärgerlicher ist da schon, dass die Rollen der Hauptfiguren so vage bleiben - sind das nun Möchtegern-Revoluzzer? Da müsste die Regie deutlich präziser sein.

Szenenfoto

Das Café Momus erinnert doch stark an Frank Castorfs Würstchenbude in der Bayreuther Götterdämmerung. Oben tanzt Musetta.

Letztendlich gravierender ist aber, dass die für Puccini fundamentale Liebesgeschichte in diesem Kontext ziemlich überflüssig wird. Die erste Begegnung von Rodolfo und Mimí, nun wirklich (und mit Recht) eine der populärsten Liebesszenen der Operngeschichte, handelt Herzog ab, als sei ihm jegliches Sentiment peinlich und nur mit Ironie zu ertragen. Das Paar möchte hier schnell zum Sex kommen, nur die lange Musik stört. Damit wäre die Beziehung ja eigentlich auch schon vorbei in einem Milieu, das der Gesellschaft Weisheiten ins Stammbuch geschrieben hat wie "wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment". Entsprechend lieblos geht es zwischen den beiden weiter. Herzog bricht dabei den von Puccini vorgegebenen und in Musik und Libretto sehr genau gezeichneten Realismus immer wieder auf, lässt beispielsweise oft Personen auf der Bühne, auch wenn die längst abgegangen sein müssten. Das muss ja nicht falsch sein, aber Herzog kann kein erkennbares schlüssiges Konzept dagegen setzen. So wirkt vieles arg bemüht. Im Schlussbild lässt er es gar schneien (in der Fabrikhalle!), eine ja doch ziemlich romantische Metapher, was in diesem Kontext am ehesten als Zugeständnis an den konservativeren Teil des Publikums zu verstehen ist. Und mag die tote Mimí auf dem Boden der leeren Halle auch ein eindrucksvolles Bild sein: Nach dem Abdunkeln schallen Herzog ein paar ziemlich aggressive Buh-Rufe entgegen.

Szenenfoto

Rotlichtmilieu statt Zollschranke: Mimí und Rodolfo finden nicht mehr so recht zueinander.

Auf der musikalischen Seite durfte man auf Bonns neuen Chefdirigenten Jacques Lacombe gespannt sein. Der hat dem Beethoven Orchester, das unter Lacombes Vorgänger Stefan Blunier oft ein ruppig lautes Espressivo gepflegt hat, eine aparte Piano-Kultur verordnet, und da gelingen eine Reihe sehr schöner Stellen, die sich allerdings auch in Kleinteiligkeit verlieren. Im Gegensatz dazu lässt Lacombe die Sänger durchgängig viel zu laut singen - und die Abstimmung zwischen Orchestergraben und Bühne ist insbesondere im zweiten Bild verbesserungswürdig, wo der klangvolle (aber auch sehr laute) Chor zu oft nicht mit dem Orchester zusammen ist. Ganz klar werden Lacombes Vorstellungen in dieser Premiere noch nicht, wobei die subtile Orchesterbehandlung es nicht leicht hat gegen die grobschlächtige, oft der Musik entgegengesetzte Regie.

Szenenfoto

Mimí tot, Rodolfo läuft davon.

Wer sich dem Hang zum Dauerforte widersetzt, dass sind die Damen. Im Fall der Musetta liegt das auch an der unglücklichen Besetzung, denn Marie Heeschen hat einen hübschen, aber für die Partie allzu leichten Koloratursopran, der kaum zu der lebens- und liebestollen Dame, die hier im dritten Bild ihr Geld im Rotlichtmilieu verdient und im vierten das Emblem der italienischen Terrororganisation "Rote Brigaden" trägt. Anders Sumi Hwang, die für die Mimí berückend schöne leise Töne findet, wenn es darauf ankommt, aber eben auch kraftvoll zulegen kann, ein wenig metallisch vielleicht für diese femme fragile, aber sehr schön gestaltet. Der Rodolfo von Felipe Rojas Velozo hat viel tenorale Kraft, im Grunde auch ein ganz ordentliches, manchmal wackliges Piano, aber dem traut der Sänger nicht. Zu offensichtlich legt er die Partie auf die vermeintlichen Höhepunkte und deren Wirkung an. Und so hat man im ersten Akt den Eindruck, dass sie von Frühling, Blumen und der Schönheit träumt, er vom hohen C. Zudem ist Velozo nicht gerade ein begnadeter Darsteller, und so gerät die Figur trotz imposanter Spitzentöne recht eindimensional. Stimmlich in guter Form sind die Herren Giorgios Kanaris als ungemein kraftvoller Marcello, Martin Tzonev als Colline und Ivan Krutikov als Schaunard, die prachtvoll pittoreske Studenten abgeben. Nur dürften sich alle drei stimmlich ein wenig mehr zurücknehmen.


FAZIT

Auch wenn musikalisch der Feinschliff fehlt, kann sich die Produktion hören lassen - aber sehen muss man die mittelmäßig bis unsinnige Regie nicht.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jacques Lacombe

Inszenierung
Jens-Daniel Herzog

Bühne
Mathis Neidhart

Kostüme
Sibylle Gädeke

Licht
Bernd Winterscheid

Chor
Marco Medved

Kinderchor
Ekaterina Klewitz

Dramaturgie
Hans-Peter Frings


Chor des Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der Premiere

Rodolfo
* Felipe Rojas Velozo /
Christian Georg /
Adorján Pataki

Mimi
Sumi Hwang

Marcello
* Giorgos Kanaris /
Mark Morouse

Musetta
Marie Heeschen

Schaunard
* Ivan Krutikov /
Giorgos Kanaris

Colline
* Martin Tzonev /
Daniel Pannermayr

Benoît
Aldo Tiziani

Alcindoro
Sven Bakin

Parpignol
Soonwook Ka

Sergeant der Zollwache
Egbert Herold

Ein Zöllner
Nicholas Probst

Rodolfo als alter Mann
Volker K. Bauer



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