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Foto: Iko Freese, drama-berlin.de
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Jaulendes aus dem alten Rom: „Die Krönung der Poppea“ – neu gefasst an der Komischen Oper Berlin

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Wiederaufnahmen an Stadttheatern sind in der Regel nicht unproblematisch, geraten eher wie ein zweiter Aufguss mit deutlichen Abstrichen gegenüber der Premieren-Version. Anders nur an Häusern, die sich das Prinzip „Werkstatt“ zum Ziel gesetzt haben, wie es von Neu-Bayreuth geprägt wurde. Dort arbeitet der Hausherr der Komischen Oper demnächst – und die Wiederaufnahme seiner zunächst im Rahmen des Monteverdi-Marathons vorgestellten letzten Oper des Urvaters der Opernbühne, „Die Krönung der Poppea“ war 2012 – so Regisseur Barrie Kosky – „noch nicht fertig für meinen Geschmack“.

Nun also in fast komplett neuer Besetzung und – als Luxus – auch in einer neuen Instrumentation von Elena Kats-Chernin. Allerdings folgte der „director's cut“ möglicherweise auch betriebsnotwendigen Überlegungen des Intendanten, denn nun ist diese Opernproduktion chorlos, was an einigen Stellen, etwa der nun fehlenden Auseinandersetzung zwischen Seneca und seinen realpolitisch orientierten Jüngern (dem fugierten Herrenchor „Non morir Seneca!“) bedauerlich ist. 

Als Gesellschaft gibt es im alten Rom nun nur noch die halbnackten Hetären und die nackten Lustknaben rund um den Kaiser Nero. Der stößt seinem alten Lehrer einen Pfeil tief in den Anus und verlustiert sich mit dem androgynen Double der Kurtisane Poppea. Wie so häufig in Inszenierungen an der Komischen Oper ist auch in dieser Interpretation die schwule Komponente stark betont. Die gibt es bereits in der Spielvorlage durch die groteske Besetzung der Ammen mit Bassisten (Thomas Michael Allen und Tom Erik Lee); aber auch der Knabe Amor ist in Koskys Inszenierung ein alter Crossdresser (wie gewohnt souverän: Peter Renz), während das in der Anlage durchaus als schwul deutbare Duett der Wachen Neros gestrichen ist. Und die einzige quere Szene, das Duett Neros mit seinem Freund, wird hier von Nero und Poppea ausgeführt. Dabei malträtieren sie zunächst die Zunge des Poppea-Doubles und stechen ihm dann die Augen aus. 

Hinreißend inszeniert ist das Liebesspiel zwischen der jungen und quirligen, zielgerichtet agierenden Poppea (großartig in Gesang und Darstellung Alma Sadé) und dem erotisch getriebenen, über die Spielvorlage hinaus, wohl der Historie folgend, als brutalem Mörder gezeichneten Nero (als stark erkältet angekündigt, gleichwohl überzeugend: Dominik Köninger).

Dem im Gegensatz zur ansonsten ausgefeilten Personenführung statischen Schlussduett wird die bezwingende Wirkung des für 300 Jahre wohl schönsten Liebesduetts der Operngeschichte auch musikalisch entzogen: es fehlt die vorherige Steigerung mit Barock-Trompeten zum Gesang der Senatoren (thematisch in der Neubearbeitung zum Teil übernommen von der Arnalta und Amor), und parallel zum Versinken des Paares im Wasserbassin versickert die Melodie in einem angefügten Nachspiel.

Ansonsten regt Katz-Chernins Bearbeitung aus dem Jahre 2017 mit ungewöhnlichen Wendungen immer wieder zum Neu-Hören an. Sie verblüfft mit jazzigen Elementen durch Akzente auf unbetonte Zählzeiten, mit fernöstlichen, jaulenden Klängen von Elektrogitarre, Banjos und Mandoline und dem wie selbstverständlich eingefügten Saxophon und E-Piano inmitten des klassischen Orchesters. Das ungewöhnliche Mixtum wird von Matthew Toogood beschwingt und sicher geleitet.

Schwer sich einfügende Fremdzellen in der Neufassung sind elektroakustische Text-Einblendungen von Nero („Freu' dich aufs Ende!“). Trotz der Kürzungen hat der zweite Teil gewisse Längen.

Zur Pause gellte ein Buhruf aus dem Rang in die Stille, ausgelöst vermutlich durch den seine gesamte Todesszene splitternackt trefflich singenden Bassisten Jens Larsen als Seneca.

Am Ende dann gemäßigter Applaus für alle Beteiligten; allerdings fehlten in der Applausordnung die im Theater anwesende Komponistin Kats-Chernin und der Regisseur.

  • Weitere Aufführungen: 6., 9., 26. Mai und 3. Juni 2017.

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