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Musikalische Machtspiele: Mozarts Jugendoper "Lucio Silla“ in Kassel

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Ein „Saturnring“ als Mozartbühne: Im Hintergrund Maren Engelhardt (links) als Cecilio und Elizabeth Bailey als Giunia. Vorn links Dirigent Jörg Halubek und das Staatsorchester Kassel. Fotos: Klinger
Ein „Saturnring“ als Mozartbühne: Im Hintergrund Maren Engelhardt (links) als Cecilio und Elizabeth Bailey als Giunia. Vorn links Dirigent Jörg Halubek und das Staatsorchester Kassel. © Klinger

Kassel. Natürlich ist das Alter hier ein Thema: Erst 16 Jahre war Wolfgang Amadeus Mozart alt, als er die Oper „Lucio Silla“ komponierte, die 1772 in Mailand uraufgeführt wurde.

Ein außergewöhnliches Jugendwerk, bei dem zwar nicht auszuschließen ist, dass auch fremdes Material verwendet wurde, das aber Mozarts Genialität mehr als nur ahnen lässt.

Am Samstag hatte „Lucio Silla“ im nicht ganz voll besetzten Kasseler Opernhaus Premiere. Und so außergewöhnlich dieses frühe Mozart-Werk im Stile der Opera seria auch ist, so schwer ist es doch dramaturgisch zu bewältigen. Nicht nur, dass das Stück über den römischen Diktator Lucio Silla und die sich um ihn rankenden Liebes- und Machtintrigen kaum äußere Handlung aufweist (Libretto: Giovanni di Gamerra). Auch in ihrer musikalischen Struktur ist die Oper insofern problematisch, als Mozart die Form der mehrteiligen (Da-capo-)Arie mit teils langen Orchestervorspielen und koloraturreichen Kadenzen recht schematisch verwendet, was auf die Dauer etwas ermüdet.

Maren Engelhardt als Cecilio
Maren Engelhardt als Cecilio © Klinger

Regisseur Stephan Müller und sein Team mit Siegfried E. Mayer (Bühne) und Carla Caminati (Kostüme) haben der auf gut drei Stunden gekürzten (!) Oper allerdings eine beeindruckende inszenatorische Form gegeben. Wie ein Saturnring schließt sich die Bühne um das emporgehobene Orchester. Im Bühnenhintergrund, Projektionsfläche für Videoeinspielungen, die das psychische Geschehen illustrieren, tun sich hin und wieder weitere Räume auf.

So ergibt sich eine Spielsituation, in der die intensive Gefühlswelt der Figuren in verschiedensten Konstellationen ausgelebt werden kann. Durch eine stilisierte Gestik werden die emotionalen Eruptionen der um Liebe und um ihre Existenz ringenden Figuren gebändigt. Eine stumme Kampfsportgruppe, teils in Interaktion mit den Figuren, verkörpert das Bedrohliche der Situation – ein starker Effekt, der sich gegen Ende jedoch etwas abnutzt.

Ein Showtyp und Spieler ist der Tyrann Lucio Silla, der in seinem Machtwahn Giunia, die Tochter eines ermordeten Widersachers, zur Ehe zwingen will. Tobias Hächler gibt dem Diktator mit seinem baritonal gefärbten Tenor eine starke Präsenz und deutet seine Sprunghaftigkeit an, die ihn am Ende – ungläubiges Erstauen bei allen anderen Figuren – sich unvermittelt zurückziehen lässt und so den um ihre Liebe und ihr Leben bangenden Paaren zu ihrem Glück verhilft.

Giunias sorgen- und sehnsuchtsvolle Gesangslinien, aber auch ihre irrwitzigen Wut-Koloraturen sind bei Elizabeth Bailey mit ihrer perfekt geführten, betörend reinen Sopranstimme bestens aufgehoben. Ihr steht Lin Lin Fan als Sillas Schwester Celia mit agiler, reich timbrierter Stimme nicht nach.

Einst waren es Kastratenrollen, heute werden Cecilio und Cinna, die beiden Freunde – und Widersacher Sillas – natürlich von Sängerinnen verkörpert. Vor allem Bénédicte Tauran überzeugt als stimmlich virtuoser, mit Männlichkeitsgesten spielender Cinna, während bei Maren Engelhardts bühnenpräsentem Cecilio, dem verbannten Liebhaber Giunias, in Sachen Flexibilität ein paar Abstriche zu machen sind. Mit kerniger Tenorstimme, nicht immer ganz koloratursicher, gibt Younggi Moses Do Sillas intriganten Berater Aufidio, dem in dieser Inszenierung am Ende überraschend die Macht zufällt.

Als sehr gelungen erweist sich die – an historischen Vorbildern orientierte – Platzierung des Orchesters im Zentrum des Geschehens. Jörg Halubek, in Kassel seit Langem geschätzter Spezialist für historische Musik, animiert das mit Barockbögen und Holzflöten spielende Staatsorchester zu einer äußerst flexiblen, sprechenden Spielweise. Mozarts konzertanter Orchesterstil kommt so bestens zum Tragen. Und dann gibt es die Momente zum Genießen, in denen das Genie des Sechzehnjährigen aufblitzt, dunkle, bläsergesättigte Passagen und ausdrucksstarke vom Orchester begleitete Rezitative ...

Viel Beifall für alle Akteure.

Wieder am 13., 16. und 29.12., Karten: 0561 / 1094-222.

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