Gruselkomödie und Klamotte: Stefan Herheim zeigt Offenbachs Operette „Blaubart“ an der Komischen Oper. Die Premiere zündet nicht.

Mit seinen bildmächtigen Inszenierungen gilt Stefan Herheim als Bühnenmagier. An der Deutschen Oper bereitet der Norweger die nächste große „Ring des Nibelungen“-Inszenierung vor, die den „Jahrhundert-Ring“ von Götz Friedrich ablösen soll. Neben Richard Wagner stand jetzt Jacques Offenbach auf seinem Terminplan. An der Komischen Oper debütierte Herheim als Operettenregisseur und stellte sich damit in die Tradition von Hausgott Walter Felsenstein. Dessen „Ritter Blaubart“-Inszenierung erlebte von 1963 bis 1992 insgesamt 369 Vorstellungen. Herheim hat liebevoll einige Anspielungen auf Felsensteins Longseller gemacht. Überhaupt hat er auf den ersten Blick alles erfüllt, was Operette ausmacht. Und dennoch wollte die Premiere von „Blaubart“ nicht zünden.

Das Publikum wird mit Anspielungen überschüttet

Der Regisseur hat die Operette zu ernst genommen, mit ihr gehadert und die musikalische Leichtigkeit in einer konstruierten Schwere erstickt. Das Publikum wird mit Anspielungen überschüttet. Bereits das Eröffnungsbild ist staunenerregend und abtörnend zugleich. Es hat die Fallhöhe von Faust und Mephisto bei Goethe oder von Thanatos und Eros als Urtriebe bei Freud. Ein riesiger Theaterkarren wird auf die Bühne gezogen. Gevatter Tod, der eindimensional gruselig von Wolfgang Häntsch verkörpert wird, schwingt die Peitsche, im Joch leidet Cupido, den wir eher als frechen Jungen Amor kennen. Sein Darsteller Rüdiger Frank ist die Entdeckung dieser Produktion. Der nur 1,34 Meter große Schauspieler kann die ganze Zerbrechlichkeit und Lebenslust herüber bringen, die der Komödie den Rahmen gibt. Franks Auftritte haben auch die nötige sprachliche Größe.

Ansonsten setzen Herheim und sein Team auf eine Mischung aus Gruselkomödie und Klamotte. Viele Details sind komisch, etwa wenn Ritter Blaubarts Landsknechte ihren Kaffee aus kleinen Tässchen trinken oder das Pferd plötzlich auseinander bricht und die Teile eigene Wege gehen. Die Grimassen sitzen, die Personenführung ist hervorragend. Aber die neuen Texte sind grenzwertig in ihrer Derbheit. Mag sein, dass eine frivole Formulierung, wonach die Feder ins Tintenfass getaucht wird, heutzutage unfreiwillig komisch wirkt. Aber die Gesangs- und Dialogtexte an der Komischen Oper gehören teilweise ins Trash-TV. Etwas mehr eleganten Sprachwitz verdient die Operette allemal, selbst wenn Gevatter Tod zwischendurch diese Operette als „Scheißdreck“ beschimpft.

Auch ein Stück der DDR-Nationalhymne wird einmontiert

Man hat viel am „Blaubart“ herumgebastelt, etwa Offenbach-Nummern aus anderen Stücken eingebaut oder auch ein Stück DDR-Nationalhymne. Für die Fassung steht der Name des Dirigenten Clemens Flick im Programmheft. Stillschweigend ist er aber am Pult ausgetauscht worden, die Premiere leitete Stefan Soltesz. Offenbar wollte die Komische Oper im Vorfeld keine Öffentlichkeit haben wie kürzlich die Staatsoper, als sich Regisseur Hans Neuenfels und Dirigent Christoph von Dohnanyi wegen der „Salome“ überwarfen und ein junger Dirigent einsprang. Die Komische Oper hatte offiziell die Premiere wegen „technischer und sicherheitstechnischer Probleme“ am Bühnenbild um eine Woche verschoben. Jetzt ist zu lesen, dass die Partitur „einer anderen Art des musikalischen Zugriffs bedarf“. Der erfahrene Soltesz hat Orchester und Sänger fest im Griff. Und zu den Lichtblicken gehört der Chor, der operettenhafte Leichtigkeit und vor allem Spiellust einbringt.

Unter den Darstellern erfüllt Peter Renz als König Bobeche alle Erwartungen an diese komödiantische Rolle – und erinnert zugleich an Felsensteins Sicht, wonach mehr enthemmte Persönlichkeit als Stimme verlangt wird. Herheim hat bei der Königsrolle noch eins draufzusetzen, um die Zeitenwende zu markieren. Die Höflinge errichten ihm aus großen Würfeln ein Schloss: den Palast der Republik. Dann wird alles umgemodelt und das Humboldt-Forum aufgeschichtet. Bobeche fällt es schwer zu entscheiden, ob er Mondsichel, Davidstern oder Kreuz auf die Kuppel pflanzt. Die Höflinge sind jedes Mal entsetzt. Die Stadtschloss-Szene ist eine der köstlichsten aktuellen Anspielungen – von denen die Operette seit jeher lebt.

Das Frauenbild der Inszenierung ist aus dem 19. Jahrhundert

Das Frauenbild der Inszenierung ist im 19. Jahrhundert steckengeblieben und hält der MeToo-Debatte keinesfalls stand. Ritter Blaubart, der immer seine Ehefrauen ermorden lässt, um die nächste heiraten zu können, trägt den Penis vor sich her. Wolfgang Ablinger-Sperrhacke gibt dem Trotzkopf mit seinem Charakter-Tenor Format. Bejubelt sehen sich am Ende auch Vera-Lotte Böcker (Fleurette/Hermia), Johannes Dunz (Daphnis/ Prinz Saphir) und Christiane Oertel als Königin. Sarah Ferede spielt die Männer-verschlingende Boulotte und versucht, die Partie kontrolliert aussingen. Vielleicht kommt die Operette in den folgenden Vorstellungen noch in Schwung, wenn sich die Sänger aus dem Regiekorsett befreien und unbeschwert Operette spielen.