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Aus dem Krieg in den Krieg

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Die tragische Konstellation, vorne Yannick-Muriel Noah als Rosine.
Die tragische Konstellation, vorne Yannick-Muriel Noah als Rosine. © Thilo Beu

Das Theater Bonn macht sich mit Verve für Hermann Wolfgang von Waltershausens Oper „Oberst Chabert“ stark.

Spätheimkehrer aus Kriegen erzeugen Probleme. Sie selbst leiden unter dem, was die moderne Medizin eine „posttraumatische Belastungsstörung“ nennt, und die Gesellschaft, die sie aufnehmen muss, sieht sich widerwillig mit dem konfrontiert, was sie als kollektives Trauma gerne los wäre. In unseren Tagen nimmt das Phänomen der Kriegsheimkehr noch eine besondere Farbe an: Wer als IS-Kämpfer aus Syrien oder dem Irak nach Europa zurückkehrt, will hier die Schlacht womöglich auf private Rechnung fortsetzen.

„Tote sollen nicht mehr wiederkehren“ – auf diese Sentenz bringt die Titelfigur ihre bittere Erkenntnis in Hermann Wolfgang von Waltershausens 1912 in Frankfurt uraufgeführter Oper „Oberst Chabert“, die jetzt – wohl als erste szenische Produktion seit 1933 – an der Bonner Oper Premiere hatte. Das Haus setzt damit seine Entdeckungsreisen in unbekannte Gefilde des Musikdramas fort. Vor allem Operndirektor Andreas Meyer legt diesbezüglich eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit an den Tag: Weil eine von ihm initiierte halbszenische Produktion an der Deutschen Oper in Berlin vor acht Jahren trotz bester Resonanz keine Nachahmer fand, zündet er jetzt ein zweites Streichholz.

Zu wünschen wäre sehr wohl, dass dieser seinerzeit viel gespielte „Oberst Chabert“ wieder ins Repertoire kommt – es dürfte sich um eine der besten Opern aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg handeln. Sicher ist Waltershausens Musiksprache konservativ, vielleicht sogar retrospektiv. Aber die hochenergetische, (manchmal sogar zu) druck- und glutvolle, dabei sehr detailgenaue und immer wieder kammermusikalisch auffächernde Interpretation des Beethoven-Orchesters unter Jacques Lacombe vermittelte jetzt hinlänglich: Waltershausen ist ein mit allen Wassern der Fin-de-Siècle-Klangfarben, mit Richard Wagners Leitmotivtechnik und Richard Strauss’ schwülem Kontrapunkt gewaschener Komponist, der darüber hinaus trotz des tragischen Gegenstandes betörenden „Rosenkavalier“-Wohlklang zu entfesseln vermag.

Denn eine Tragödie ist es sehr wohl, die sich hier ereignet. Dazu aber hat Waltershausen als sein eigener Librettist die Vorlage – eine Balzac-Erzählung – erst gemacht. Während der französische Romancier ein Lehrstück über menschliche Schäbigkeit entwarf, gibt es in der Oper einen unauflösbaren Konflikt: Der 1807 für gefallen erklärte Oberst kehrt zehn Jahre später aus den Napoleonischen Kriegen in das wieder unter Bourbonenherrschaft stehende Frankreich zurück. Seine Frau, inzwischen verheiratet mit einem Grafen Ferraud, mit dem sie zwei Kinder hat, ist nicht mehr Balzacs berechnende Kokotte, sondern ein Mensch, der von in gleicher Weise legitimen, aber eben heillos konkurrierenden Ansprüchen zerrissen wird. Waltershausen kommt schnell zur Sache, seine dreiaktige Oper brennt in hundert (in Bonn pausenlosen) Minuten ab. Durchhänger gibt es keine.

Regisseur Roland Schwab lässt keinen Zweifel daran, dass „Oberst Chabert“ von ungebrochener Aktualität ist. Zu Beginn eines jeden Akts ertönt ein tiefes Dröhnen wie von sich nähernden Kampfflugzeugen. Geborstene, offensichtlich durch Bombeneinwirkung zerstörte Betonwände lassen im Hintergrund der Bühne (David Hohmann) ein riesiges Loch, durch das der Zuschauer Video-Ereignisse wahrnimmt, darunter Szenen aus dem zerstörten Homs oder Aleppo.

Das ist Chaberts Welt, aus der er auf Krücken herbeihinkt – und aus der er sich in einen Vordergrund begibt, der ebenfalls trümmerübersät ist. Chabert ist nach wie vor im Krieg – der Heimkehrer wird lebendig begraben.

Das alles ist schlüssig inszeniert und zeigt eine beachtliche Bildfantasie. Die Personenführung ist detailgenau und lässt die herausragenden Sängerleistungen adäquat zur Geltung kommen. Mark Morouse brachte, obwohl durch eine akute Halsentzündung behindert, die fordernde Titelpartie mehr als nur achtbar, vielmehr mit gut charakterisierender düsterer Kraft der Verbitterung herüber. Die Premierenpalme gebührte indes Yannick-Muriel Noah als Chaberts Frau Rosine. So viel leuchtende Verzweiflung in schwellender Höhe und satter Tiefe – besser kann man diese Rolle kaum singen. Peter Tantsits als Ferraud, Giorgos Kanaris als Advokat Derville und Martin Tzonev als ehemaliger Korporal Godeschal geben ebenfalls keinen Anlass zu Beschwerden. Ein eindringlicher Abend, der den verdienten einhelligen Beifall fand.

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