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Foto: Matthias Baus
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Hans Op de Beeck entführt in Stuttgart das Publikum an den See der Tränen in Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“

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Diesmal hat die Burg weder Mauern noch Türen. Den Raum begrenzen auch im wortwörtlichen Sinne nur Planen. Die Zuschauer sind allesamt in der imaginären Kammer mit dem See aus Tränen gelandet. Hinter der Tür mit dem vielleicht beklemmendsten, traurigsten Raum in Blaubarts Burg. Zumindest in einem Alptraum, dicht in dessen Nähe. Diesmal fließt zwar nirgends das Blut, von dem Judith redet und das sie hinter all den geheimnisvollen Türen in Blaubarts düsterer Behausung wahrnimmt. Aber wir können es mit den Ohren sehen, mit dem Herzen fühlen. Sind eingestimmt auf die Dunkelkammern der Seele, ahnen, dass die Begegnung dieses Mannes und dieser Frau, ihr Versuch, sich einander zu nähren, ihr Drängen, sein Abwehren nur die Oberfläche sind.

Die Musik Bartóks und der ungewöhnliche Ort, der die Zuschauer im Bühnenbild platziert und die Trennung von Beobachter und Akteur zumindest aufzuheben versucht, meinen etwas anders. Sie sprechen von den Seiten der menschlichen Natur, die einer vorbehaltlosen Verbindung von zwei Menschen entgegenstehen können. Machen alles zum (Selbsterfahrungs-)Raum, den die Musik und die Metaphorik der Geschichte imaginiert. 

Béla Bartók (1881-1945) hat seinen Seelenerforschungs-Solitär 1911 komponiert – uraufgeführt wurde er 1918. Das Geschick eines Intendanten bewährt sich in diesem Falle nicht nur bei der Auswahl der beiden Protagonisten und des Regieteams, sondern auch bei der Auswahl der Ergänzung des Einakters mit einem passenden oder konterkarierenden zweiten Stück, um daraus einen Opernabend zu machen. Wobei gerade das ziemlich heikel ist und nur selten wirklich aus sich heraus schlüssig gelingt. Die Staatsoper in Hamburg lieferte kürzlich ein gelungenes Beispiel: sie ließ Bartóks Landsmann Peter Eötvös ein komplementäres Stück neu dazu komponieren.

Der neue, auf Jossi Wieler folgende Stuttgarter Intendant Viktor Schoner hat die Blaubart-Neuinszenierung nicht nur dem renommierten bildenden Künstler Hans Op de Beeck anvertraut, sondern dem Belgier dazu auch noch einen besonderen Ort überlassen. Der hat nämlich nicht die Bühne des Opernhauses in eine seiner Installationen verwandelt, sondern (a la Ruhrtriennale) eine alte Industriehalle. So jedenfalls mutet das Alte Paketpostamt in der ziemlich verbauten Nähe des Stuttgarter Nordbahnhofes an. Es ist so ein Fall von zwei Fliegen, die mit einer Klatsche erwischt werden sollten. 

Die erste ist der eine Raum für einen Künstler, der alle Chance bietet, dass ihm das Gesamtkunstwerk hier vielleicht noch schlüssiger gelingt, als es in der Oper gelungen wäre. Die zweite ist der Versuchsballon in Sachen Ausweichspielstätte für die in fünf Jahren anstehende, auf weitere sieben Jahre geplante Sanierung des Großen Hauses. Im schlimmsten Fall also für eine Neuauflage von „Stuttgart 21“ als „Stuttgart 30“. Im günstigsten für ein Lehrbeispiel in Sachen Opernhaussanierung an dem sich dann Köln oder Frankfurt messen lassen müssen.

Ob diese zweite metaphorische Fliege getroffen wird, steht in den Sternen. Im ersten Falle kann man sagen: Treffer! Es funktioniert nämlich. 

Dunkel sind der See und die Seele 

Die gruppenweise Einweisung der Zuschauer in das Stück durch ins Gesamtgeschehen integrierte Platzanweiser, die Ausrüstung mit wasserdichten Überschuhen, das langsame Schreiten der Gruppen durch knöcheltiefes Wasser und durch ein Gemisch aus geheimnisvollem Wispern und Instrumenteneinstimmung bis zu den Plätzen mitten durch Op de Beecks Installation. Es ist eine nächtliche Seen- und Seelenlandschaft. Mit Inseln und Kähnen, Bäumen und Stegen. Das alles liefert sozusagen den Ergänzungsteil des Abends. Maßvoll interaktiv. Als Einstimmung für Geist und Körper auf das, was dann kommt, also die musikalische Imagination und die Ausstrahlung dieses Raumes. Das ist kein Fall von Effekthascherei, mit der berühmte Maler gelegentlich zu Ausflügen auf die Opernbühne verführt werden, sondern ein klug kalkulierter Glücksgriff. Ob es für den Zuschauer wirklich grundsätzlich mehr bringt, eine Oper aus einer quasi voyeuristischen Position, als Pseudoakteur, zu erleben, das bleibt zwar die Frage. Wird aber gegenwärtig in einem ausführlichen Feldversuch (in der Raumbühne in Halle, in Lübeck und jetzt eben auch in Stuttgart) überprüft. 

Die Türen zur Folter-, Waffen- und Schatzkammer, zum Garten, zum Blick übers weite Land, auf den See der Tränen und schließlich auf die drei Vorgängerinnen Judiths an der Seite Blaubarts, sind ja eh vor allem musikalisch und imaginär. Sie werden durch Titus Engel und das überraschend ausgewogen klingende Orchester beglaubigt. Der Clou ist jener Blick in die Weite, wenn die Bläser dem Orchester vom anderen Ufer des Sees aus antworten. Dazwischen gibt es die eher konventionell in Szene gesetzte Begegnung eines Mannes und einer Frau, die sich hier am Ende wieder trennen werden. Falk Struckmann und Claudia Mahnke machen das mit tadelloser Klarheit und aufleuchtender dunkler Leidenschaft, halten immer dem Orchester stand. Auch sie sorgen dafür, dass das beabsichtigte Gesamtkunstwerk tatsächlich eins wird.

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