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„Alles ist aus“ – György Kurtágs Oper „Fin de partie“ an der Mailänder Scala uraufgeführt

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Im Mutterland der Oper ticken die Uhren ein klein wenig anders. Wo einst Puccini und Verdi für ihre neuen Würfe gefeiert worden sind, hat es die Neue Musik heute deutlich schwerer. Das gilt insbesondere für das Teatro alla Scala, diesem so traditionsreichen Haus mitten in Mailand. Bevor Anfang Dezember die neue Spielzeit – wiederum mit Verdi – eingeläutet wird, gab es zur Krönung der laufenden Saison die Uraufführung von „Fin de partie“ nach dem gleichnamigen Drama von Samuel Beckett.

Komponiert hat dieses düstere Stück Musiktheater der ungarische Altmeister György Kurtág, den man vor allem als Schöpfer eher kleinteiliger, in sich geschlossener und mitunter verspielter Arbeiten kennt. Im Alter von 92 Jahren hat der seit langem auch in Frankreich lebende Künstler nun seine erste Oper vollendet. Den Auftrag dazu hatte er von Alexander Pereira erhalten, als der noch den Salzburger Festspielen vorstand, was bekanntlich nicht sehr lange währte.

Seit vier Jahren leitet Pereira die Mailänder Scala und ließ in dieser Zeit nicht locker, Kurtág zur Vollendung seines „Endspiels“ anzuhalten. Die Uraufführung von „Fin de partie“ kam damit schon einer kleinen Sensation gleich, entsprechend groß sind die Erwartungen gewesen.

György Kurtág hielt sich streng an die Beckettsche Vorlage und leistete doch wesentlich mehr, als das seinerzeit so verstörende Endzeit-Drama nur mit Musik zu garnieren. Er lässt sie eindringlich wirken, sie erzählt und berührt geradezu, wird somit ein Teil des Geschehens um Hamm, seine Eltern Nagg und Nell sowie den gemeinsamen Diener Clov.

Einem Kammerspiel gleich, sind die vier wie aneinander gefesselt, können sich und dem gemeinsamen Haus (bei Beckett ist es noch klaustrophobischer nur ein Zimmer) nicht entfliehen. Wie schon bei Beckett (und all den legendären Umsetzungen auf namhaften Bühnen) stecken Mutter und Vater in Mülltonnen, quasi ent-sorgt, nachdem sie bei einem Fahrradunfall ihre Beine verloren haben. Der blinde Sohn, selbst schon ein alter und gezeichneter Mann, sitzt im Rollstuhl, ist ein böser Wüterich und bleibt doch auf seinen schmierigen Diener angewiesen, weil er sich nicht selbst versorgen könnte. Doch die Vorräte gehen zur Neige, schon bald ist alles aus …

Ein Abend voller Allegorien

Endzeitstimmung macht sich breit, hier wird sie hörbar, geht unter die Haut. György Kurtág ist sich treu geblieben und liefert kein opulentes Werk des schicksalhaften Untergangs, sondern eine wiederum kleinteilige, griffige, Akzente setzende Musik. Hier mal ein düsterer Akkord, da ein paar wie getupft wirkende Bläsertöne, dort ein Streicherflirren, vielfarbig orchestriert mit Akkordeon und Klavier – und dann doch ein forscher, ein fordernder Bogenschlag. All das wird vom Scala-Orchester unter der sehr umsichtigen Leitung von Markus Stenz höchst wirkungsvoll geschichtet, gegliedert und präzise umgesetzt.

Zur Premiere dieser Uraufführung freilich trafen die inhaltliche und die klangliche Endzeit auf ein Publikum, das sich dem nur begrenzt aussetzen wollte. Hier und da erhoben sich erst einzelne Zuschauer, dann kleinere Gruppen, um auf das Ende des in 14 Szenen gegliederten Spiels zu verzichten. Die teils ermüdend langen Umbaupausen taten ein Übriges. Wer aber geblieben ist – und das war natürlich die überwältigende Mehrheit im Saal –, lieferte nach rund zwei Stunden Spieldauer lautstarken Beifall.

Angesichts der klanglichen und szenischen Dichte dieses voller Allegorien steckenden Abends gewiss keine Selbstverständlichkeit. Man stelle sich vor: Ein Mann im Rollstuhl, die Eltern in Mülltonnen, der Diener zieht ein Bein nach …, geht es noch untheatralischer? Doch hier entspringt die Faszination nicht der (verweigerten) Bewegung auf Bühne, sie wird durch die Bewegung der inneren Vorgänge geweckt und erzeugt auf diese Weise große Spannung.

Regisseur Pierre Audi hat das sehr stringent geformt; in der beklemmenden Ausstattung von Christof Hietzer, der zwiebelhäutig ein Haus im Haus im Haus geschaffen hat, metaphorisch Einblick in Binnenwelten gewährt, alles aber metallisch undurchdringlich wirken lässt, entsteht der Eindruck einer alptraumhaften Apokalypse. Die heftige Schatten erzeugende Lichtregie von Urs Schönebaum verstärkt dies sogar noch. Und mit einem Frode Olsen als Hamm, der seinen vollen Bassbariton herablassend bis gehässig wider die verhassten Eltern aufbrausen lassen kann, einem elegant geschmeidigen Leigh Melrose als Diener Clov, einer dem Wahn nahen Nell von Hilary Summers sowie einem durchtriebenen Nagg von Leonardo Cortellazzi ist das „Endspiel“ schon gewonnen.

Perplex stimmen könnte allenfalls der Umstand, wie heutig „Fin de partie“ auch mehr als ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung noch und wieder wirkt.

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