Freitag, 29. März 2024

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„La verità in cimento“
Zeitlose Vivaldi-Oper in Schwetzingen

In Antonio Vivaldis Oper „La verità in cimento“ wird ein Sultan mit den Spätfolgen seiner jugendlichen Liebesabenteuer konfrontiert. Das Werk wurde 1720 in Venedig uraufgeführt, ist aber bis heute aufgrund der erzählten Familiengeschichte zeitlos - wie das Barock-Theater in Schwetzingen beweist.

Von Elisabeth Richter | 03.12.2018
    Franziska Gottwald (Damira), Shahar Lavi (Rustena), im Hintergrund: Francesca Lombardi Mazzulli (Rosane)
    Szene aus Vivaldis "La Verità in Cimento" im Barock-Theater in Schwetzingen (Sebastian Bühler )
    Musik: Antonio Vivaldi, La verità in cimento, Sinfonia
    "Wir haben in Venedig zur Zeit der Uraufführung definitiv eine sehr disparate Gesellschaft, die vordergründig versucht einen Moralkodex aufrecht zu erhalten. Im Hintergrund floriert die Prostitution in der Stadt, Venedig gilt als Kulturmetropole und Reisemetropole aller Länder und als wirkliches Unterhaltungsmekka, um 1720, im Jahr der Uraufführung."
    Vivaldis Oper "La verità in cimento" (Die Wahrheit auf dem Prüfstand oder auch Die Wahrheit als Wagnis) spiele vor diesem Hintergrund, so Thomas Böckstiegel, Dramaturg und Operndirektor des Theaters Heidelberg. Um - zu Vivaldis Zeiten – Verwerflichkeiten und Bezüge nicht zu offensichtlich werden zu lassen, wurde die Handlung in das "Fantasie-Sultanat" Cambaja verlegt. Doch im Grunde haben wir es in Vivaldis Oper mit einer zeitlos aktuellen Konstellation zu tun.
    "Dieses Stück ist eine unfassbar spannende Geschichte über eine Familie, eine Patchworkfamilie würde man heute sagen, in der einfach Intrigen, tiefe Verletzungen und alle Emotionen, mit denen man als Mensch so aufwarten kann, praktiziert werden. Betrug und List stehen an der Tagesordnung, es ist einfach ganz spannendes Theater."
    Musik: Antonio Vivaldi, La verità in cimento, Quintett Anima mia
    Oper kreist um komplizierte Familienverhältnisse
    Sultan Mamud hat zwei Söhne, einen mit seiner Frau, den anderen mit der Geliebten. Um dem unehelichen Kind Macht und Erbe zu sichern und die fordernde Geliebte zu beruhigen, vertauschte er einst die Babys. Jetzt plagt Mamud das schlechte Gewissen. Er will die Wahrheit auf den Tisch bringen. Die Geliebte ist davon nicht begeistert und setzt intrigant alles in Bewegung um das zu verhindern. Es misslingt. Natürlich ist die Ehefrau auch nicht über ihren untreuen Gatten entzückt. Die Söhne geraten ob der verwirrenden Verhältnisse in Verunsicherung. Dramaturg Thomas Böckstiegel:
    "Der eine hat ganz lange Zeit damit gerechnet eben das Erbe anzutreten, und der andere ist eigentlich in dem Glauben groß geworden, der Sohn der Haushälterin zu sein."
    Kompliziert wird die Sache, als Melindo, der leibliche Sohn der Geliebten und falsche Thronfolger, die Erbprinzessin Rosane aus dem verfeindeten Sultanat Joghe heiraten will. Als die Wahrheit ans Licht kommt, hängt Rosane ihr Mäntelchen nach dem Wind und will auf einmal Zelim, den echten Thronfolger, heiraten. Was diesem auch zu gefallen scheint. Zumindest vordergründig gibt es ein Happy end. Zelim verzichtet auf Rosane, und Melindo wird wenigstens Herrscher des Sultanats Joghe.
    Musik: Antonio Vivaldi, La verità in cimento, Con cento baci (Rosane)
    "Das ist auch das Interessante an diesem Text und Libretto, dass das, was die Figuren vermitteln und sagen, ganz oft sehr kritisch hinterfragt werden muss, ob wir das für bare Münze nehmen, was da in dieser großbürgerlichen Familie an dieser Oberfläche wirklich verhandelt wird oder was da eigentlich hinter steckt."
    Fliegende Fetzen und poetische Momente
    Dramaturg Thomas Böckstiegel. Regisseurin Yona Kim seziert Vivaldis Oper um Wahrheit, Lug und Trug gnadenlos psychoanalytisch und heutig. In den virtuosen Wut- und Rachearien wird nicht in barocker, aristokratisch-artifizieller Distanz ein Gefühl betrachtet, sondern jede Figur lebt ihre Emotionen direkt aus. Da fallen zwecks Verführung schon mal ein paar Hüllen, oder es fliegen Fetzen und andere Gegenstände umher. Andererseits kreiert Yona Kim in den lyrisch, introvertierten Trauer- und Verzweiflungsarien poetische Momente, indem sie die Figuren Augenbinden tragen lässt und so ihre Verblendung, das Nicht-Wahrhaben-wollen zeigt.
    Musik: Antonio Vivaldi, La verità in cimento, Schlusschor "Doppo nembi"
    Jan Freeses Bühne spiegelt ebenfalls die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten bei dieser "Familientherapie". Freese hat ein luxuriöses Apartment kreiert, bei dem manchmal durchsichtige Vorhänge Wohn-, Schlaf- und Esszimmer voneinander trennen, aber so Verborgenes dennoch sichtbar wird. Verborgene Wünsche deutet Regisseurin Yona Kim auch plausibel beim obligatorischen "lieto fine" dieser Barockoper an. Zum scheinbar heiteren Schlusschor kleiden sich die beiden vom Sultan betrogenen Frauen, Gattin und Geliebte, schon einmal in Schwarz – in der Gewissheit seines baldigen Todes. Die eine steckt sich noch eine Pistole in die Tasche, die andere schüttet Gift in den Sekt des Sultans. Zum Schlussakkord wird es dunkel, was passiert, kann man sich leicht vorstellen.
    Musik: Antonio Vivaldi, La verità in cimento, Tu m'offendi (Zelim)
    Dem Countertenor Philipp Mathmann gelangen als Zelim mit seiner fein geführten Stimme berührende lyrische Momente, während sein Countertenor-Kollege David DQ Lee als Melindo zwar virtuos beeindruckte, aber ein wenig zum Forcieren neigte, wie auch passagenweise einige andere Sänger. Nicht so Francesca Lombardi-Mazzulli, sie zog als Erbprinzessin Rosane mit ihrem in allen Lagen ausgewogenen, virtuos-flexiblen Sopran sprichwörtlich alle Register, und sang sich gewissermaßen an die Spitze des Ensembles. Ein wenig überhitzt agierte Dirigent Davide Perniceni am Pult des durch einige Barockmusik-Spezialisten ergänzten Philharmonischen Orchesters Heidelberg. Gleichwohl war die Umsetzung von Vivaldis geschickt gestraffter Partitur stilkundig und ebenso spritzig wie sensibel.