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Theaterkritik Bremer Theater: Mission Reihenhaus

Das Bremer Theater zeigt eine neue Interpretation von Mozarts „Entführung aus dem Serail“. Alexander Riemenschneider führt die Inszenierung nicht experimentell, sondern als Original auf. Oder doch nicht?
02.12.2018, 22:50 Uhr
Lesedauer: 3 Min
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Bremer Theater: Mission Reihenhaus
Von Iris Hetscher

Als groß angelegtes Experimentierfeld konnte das Bremer Theaterpublikum Mozarts „Entführung aus dem Serail“ zum Ende der Spielzeit 2015/2016 erleben. „Les Robots ne conaissent pas le Blues“ war die überaus muntere, spartenübergreifende Culture-Clash-Produktion betitelt, die sich an der Oper wie an einem Steinbruch bediente. Was ist Liebe, wie wird Liebe verstanden in unterschiedlichen Kulturen? lautete eine der Fragen, die verhandelt wurden. Zweieinhalb Jahre später steht Mozarts Singspiel von 1782 erneut auf dem Spielplan, dieses Mal nicht als Experiment, sondern als Original. Oder doch nicht?

Auch Regisseur Alexander Riemenschneider, der zuletzt die Märchenoper „Hänsel und Gretel“ am Goetheplatz inszenierte, geht es um Paarbeziehungen, um Spielarten der Liebe, den männlichen und weiblichen Blick, das Begehren nach dem, was man nicht hat, den Stellenwert von Treue.

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Ein ähnlicher Ansatz ist bei fast allen besseren Inszenierungen des Singspiels in jüngster Zeit zu beobachten gewesen, den Sängerinnen und Sängern fordert das einiges an Schauspielkunst ab, den Regisseuren psychologisches Einfühlungsvermögen und einen Sinn für den feinen Witz, den die Oper auch durchweht. Doch darum geht es Riemenschneider nicht. Er möchte nicht zeigen, er möchte entlarven. Man merkt der Inszenierung an, dass sehr lange und intensiv nachgedacht wurde – was zunächst einmal nichts Schlimmes ist. Wenn das Ergebnis dann allerdings ein Konzept ist, dass den Charme und Schwung des Stücks durch Schwerfälligkeit und Blutleere ersetzt, ist das schade.

Partystimmung auf der Mini-Bühne

Riemenschneider stülpt der „Entführung“ also ein theoretisches Konstrukt über, er hat sich für ein Spiel im Spiel entschieden. Es schadet dabei nicht, die Geschichte zu kennen, um folgen zu können: Der Edelmann Belmonte will seine geliebte Konstanze, seinen Diener Pedrillo und Konstanzes Zofe Blonde aus dem Serail des Bassa Selim befreien. Der hatte die Frauen in seinen Harem verschleppt, in seinen Diensten steht der grobe Osmin. Die Entführung scheitert, doch Bassa Selim lässt Gnade walten und die Liebenden ziehen.

Schon während der Ouvertüre vergnügen sich Konstanze (Nerita Pokvytyté), Belmonte (Hyojong Kim), Osmin (Christoph Heinrich), Pedrillo (Joel Scott), Blonde (Martina Nawrath) und Bassa Selim (Alexander Swoboda) innerhalb einer Mini-Bühne auf der großen Bühne, die mit denselben sparsamen Zutaten ausgestattet ist wie sie an weiteren Stellen zu sehen sind: rotes Sofa, rote Sessel (Bühne: Jan Stepanek). Man hampelt ein bisschen herum, es herrscht Partystimmung.

Dann treten vor der Mini-Bühne Doppelgänger der Hauptpartien auf, besetzt mit Mitgliedern des Schauspielensembles, Stephanie Schadeweg als Konstanze, Anna-Lena Doll als Blonde, Ferdinand Lehmann als Belmonte, Parbet Chugh als Pedrillo. Sie übernehmen die Rezitative und einen Gutteil der Aktion, während die Sängerinnen und Sänger ihre Arien beinahe statisch vortragen. Nur Christoph Heinrich als Osmin macht hier eine Ausnahme. Diese Dopplung, die den Widerspruch zwischen der fröhlichen Musik und der rauen Wirklichkeit aufdecken soll, bedeutet für die Dynamik der Inszenierung regelmäßig eine Vollbremsung und gleichzeitig einen Bilder-Overkill. Während vorne gesungen wird, illustrieren die Schauspieler hinten das Gesungene als inhaltliche Kontrapunkte.

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Was man da zu sehen bekommt, sind die gängigen Klischees heutiger Beziehungen, „Szenen einer Ehe“, reloaded 2018,: Konstanze und Belmonte als gelangweiltes Paar, er geht zur Arbeit, sie verfällt zu Hause dem Alkohol. Pedrillo und Blonde als Couchpotatoes, genauso gelangweilt, Abwechslung verheißt das Bügelbrett. Ein bisschen Sado-Maso hier, erotische Fantasien vom Sex mit einem so richtig wilden Mann (Christoph Heinrich im Sartyr-Kostüm) dort. Um den weiblichen Blick ordnungsgemäß unterzubringen, muss Konstanze die „Traumnovelle“ von Arthur Schnitzler rezitieren, da wünscht man sich sofort ins Kino zu Kubricks klugem „Eyes wide shut“. Die Liebe, immer kompliziert und zum Scheitern verurteilt, ist eigentlich nur etwas für naive Spießer. „Segelt doch in euer Reihenhaus“, ruft Bassa Selim den Paaren hinterher.

Das soll witzig sein und ist in seiner Plattheit nur zynisch. Die Musik rettet den langen Abend. Die Bremer Philharmoniker unter dem Dirigat von Hartmut Keil liefern einen stürmischen, soliden Mozart ab, manchmal etwas zu überschwänglich für die Sänger. Hyojong Kim ist ein wunderbarer Belmonte, der viel Zweifel in seinen klaren Vortrag legt – da kann man die ihn umtosende Bilderflut getrost ignorieren. Das Gleiche gilt für Nerita Pokvytyté als Konstanze mit leuchtenden Koloraturen, Martina Nawrath ist eine vorwitzige lyrische Blonde, Joel Scott überzeugt als Pedrillo und Christoph Heinrich spielt seinen Stimmumfang als Osmin aus. Alexander Swoboda in der Sprechrolle des Bassa Selim changiert zwischen Sanftheit und schneidenden Tönen. Applaus fürs Ensemble, viele Buh-Rufe fürs Regie-Team bei der Premiere am Sonnabend.

Weitere Informationen

Die nächsten Termine: 11., 14. Dezember, 19.30 Uhr, 22. Dezember, 18 Uhr.

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