Auf dem Nebendach ihrer kleinen Mansarde sitzen der Dichter Rodolfo und sein Malerfreund Marcello. Im Hintergrund sieht man Paris auf einem gerafften Vorhang. Sie verbrennen Rodolfos Manuskripte, um es wärmer zu haben und freuen sich über die Ankunft von Colline, der die triste Stimmung mit etwas Geld und Essen aufheitert. Den plötzlich auftauchenden Vermieter wimmeln die drei geschickt ab und beschließen in ihr Stammcafé zu gehen. Doch Rodolfo bleibt zum Arbeiten zurück.

Da tritt die Nachbarin Mimì zu ihm auf die Dachterrasse und sofort ist er verliebt. Die jungen Sänger sind bezaubernd und Kwonsoon Joens zärtlicher Ausruf „Che bella bambina!“ erzeugte Gänsehaut. Vom lebhaft und leidenschaftlich spielenden Staatsorchester Braunschweig begleitet, entstanden mit dem jungen Ensemble viele innige Momente. Auch dank Ben Baur. Der Bühnenbildner und Regisseur inszeniert Puccinis La bohème am Staatstheater Braunschweig als das, was sie ist: ein intimes und emotionales Bühnenspiel. Auch die Kostüme (Julia Katharina Berndt) sind entsprechend zurückhaltend und werden von der erzählten Zeit um 1830 in die etwas weniger pompös wirkende Wendezeit zum 20. Jahrhundert, die Belle Époque, verschoben.

Joens offener und klar erklingende Tenor erweicht nicht nur Mimìs Herz. Mit unschuldig süßem Spiel bezauberten Ivi Karenzi und Kwansoon Joens das Publikum. Die Sopranistin Ivi Karenzis sang mit ruhigem Vibrato und ihre Interpretation der Mimì besaß eine liebevolle Wärme. Puccinis komponierte Liebe auf den ersten Blick endet hier mit der Andeutung körperlicher Nähe, als beide in der Mansarde verschwinden und sich, verdeckt von den Fensterläden, ihre Liebe gestehen.

Das zweite Bild zeigt das Stammcafé Momus mit auf der Bühne geordnetem Gewusel. Can-Can-Tänzer, Jonglierer und Kinder mit ihren Müttern sind in ein warmes Gold-Lila getaucht und herrlich detailliert mit Federn, Korsetts und übergroßen Hüten ausgestattet. Die Stimmung ist ausgelassen und auch Chor und Kinderchor des Staatstheaters Braunschweig trugen zur Freude an dem optischen und auditiven Spektakel bei. Es ist eine Premiere voller Rollendebüts. Auch Anat Edri sang ihre erste Musetta. Sie spielte eine vielseitige Frau, von zickig bis liebevoll kümmernd und singt mit klarer Stimmführung und besonders warm strahlenden Sopran in der hohen Lage.

Auch Vincenzo Neri (Marcello) war eine Wucht auf der Bühne. Er hat Bühnenpräsenz und eine schöne, natürlich fließende Stimme. Zusammen mit seiner Frau Anat Edri bildete er auch sängerisch ein Traumpaar. Julian Younjin Kim sang und spielte einen herzlichen Schaunard, und auch Jisang Ryus (Colline) warmer Bass trug zur Ernsthaftigkeit der Geschichte bei.

Einen Kontrast zu der Fülle bildet das dritte Bild. Unter einem großen Bogen, der von zwei warm leuchtenden Lampen eingerahmt ist, stehen nur Musetta und ein Wächter. Alle anderen singen zunächst aus dem Off. Während es im Hintergrund immerfort schneit, nimmt die Geschichte ihren Lauf. Mimì kann Rodolfos Eifersucht nicht mehr ertragen, Rodolfo gesteht seinem Freund Marcello, dass er gar nicht eifersüchtig ist, sondern seine Schuld an Mimìs Krankheit nicht aushält. Sie sollte ein wärmeres Zuhause haben als sein kaltes Zimmer. Kwonsoon Jeon sang hier den gequälten Liebenden geradezu herzzerreißend.

Zum traurigen Schluss kehren wir zurück in die Mansarde; diesmal sieht man das einfache Zimmer jedoch von innen. Rodolfo und Mimì sind lange getrennt, doch ihre Krankheit wird immer schlimmer. Sie wird sterben. Und zum Sterben kommt man nach Hause. Ivi Karnezi spielte unglaublich überzeugend und sang mit einer Innigkeit, die traf; leise und andächtig waren ihre letzten Töne. Schon der Inhalt dieser Oper bricht einem das Herz. Die Musik tut ihr übriges.

Der erst 28-jährige Iván López Reynoso dirigierte voller Leidenschaft und gestaltete eine kontrastreiche und mitreißende Klangwelt. Der ganze Abend war eine hervorragende Ensembleleistung, die zu Tränen rührte.

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