Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Marx in London

Eine Komödie
Libretto von Charles Hart nach einem Originalszenario von Jürgen R. Weber
Musik von Jonathan Dove
Auftragswerk des Theater Bonn


in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit der Scottish Opera
Uraufführung im Opernhaus Bonn am 9. Dezember 2018


Homepage

Theater Bonn
(Homepage)

Wenn das Schicksal seinen Vordenkern in den kommunistischen Hintern tritt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu


Eine Oper über Karl Marx - und noch dazu eine komische: Kurz vor Ende des (merkwürdig unauffällig verstrichenen) Marx-Jahres macht die Bonner Oper dem vor 200 Jahren geborenen Philosophen und Ökonomen ein formidables, gleichzeitig ambivalentes Geschenk zum 200. Geburtstag. Marx in London ist alles andere als eine Apologie des Marxismus, nicht einmal eine kritische Auseinandersetzung, sondern eine blitzsaubere musikalische Komödie über Ehekrisen und Finanznot, über revolutionäre Phantasie und bürgerliche Realität im Hause Marx.

Szenenfoto

Im Hause Marx droht jederzeit die Pfändung des Mobiliars - Marx-Büste aus Gips (in den Händen von Friedrich Engels) nicht ausgenommen

Die Idee und auch das wohl ziemlich detailliert ausgearbeitete Szenario stammen von Jürgen R. Weber, der auch diese Uraufführung inszeniert hat. Vordergründig geht es um einen Tag im Leben der Familie Marx im Londoner Exil, den 14. August 1871, aber geschickt sind verschiedene Handlungsfäden zusammengerafft: Marx' chronische Geldnot (aus der ihm einmal mehr der Freund und Kampfesgenosse Friedrich Engels heraushelfen muss), der ständige Streit mit Gattin Jenny (die ihm nicht verzeiht, dass er ihr Tafelsilber zwischenzeitlich zum Pfandhaus gebracht hat); das Erscheinen des unehelichen Sohnes Freddy (der, bei fremden Eltern aufgewachsen, sich erst nach und nach seiner prominenten Herkunft bewusst wird); die amourösen Eskapaden seiner ehelichen Tochter Jenny (die schnell ein Auge auf den rätselhaften Freddy, der sich schließlich als ihr Halbbruder entpuppt, wirft); die Observation durch den Geheimdienst; schließlich klassenkämpferische Reden und ein gescheitertes Attentat durch einen radikalisierten italienischen Anarchisten. Weber nennt Mozarts Figaro als Vorbild, näher scheint freilich Verdis Falstaff, dem dieser Marx in manchen Zügen ähnelt: Die Geldnot, die vermeintliche Überlegenheit allen anderen gegenüber, das sexuelle Verlangen (in diesem Fall nach der Haushälterin Helene, der Mutter Freddys).

Szenenfoto

Einmal mehr muss Friedrich Engels finanziell aushelfen - finden auch Jenny Marx (Mitte) und Haushälterin Helene

Die Musik dazu stammt von dem ziemlich erfolgreichen englischen Komponisten Jonathan Dove (es ist bereits seine 29. Oper), und der legte Wert auf ein Libretto in seiner Muttersprache - ein bisschen bedauerlich, weil so der unmittelbare Wortwitz für das deutsche Publikum verloren geht (und man angesichts des hohen Tempos mit dem Lesen der Übertitel oft nicht nachkommt); die Besucher an der koproduzierenden Scottish Opera haben es da wohl einfacher. Charles Hart hat das Textbuch in einer schnoddrigen, gerne auch frivolen Sprache verfasst, und Dove eine farbige, durch und durch tonale Musik dazu geschrieben, oft sehr eingängig, in den Chorszenen mit Mut zum Pathos (in einer Traumsequenz erscheinen Marx die aufständigen Arbeiter), manchmal allzu plakativ (im exzessiven Gebrauch der Celesta, wenn es um das Tafelsilber geht), und mit klarer musikalischer Zeichnung der Figuren, die dadurch hohen akustischen Wiedererkennungswert erlangen. In der durchkomponierten Form gibt es ganz klassische Arien und Ensembles, der spritzige Konversationston wechselt mit lyrischen Abschnitten. Das Beethoven-Orchester sowie der Chor (der Herrenchor hat dabei deutlich mehr zu tun als die Frauen) setzen das unter der Leitung von David Parry großartig um, ebenso das ausgezeichnete Ensemble: Mark Morouse ist ein souveräner Marx mit Rauschebart, Yannick Muriel-Noah eine intensiv-hysterische Gattin Jenny, Marie Heeschen bewältigt mit hinreißender Leichtigkeit Koloraturen wie Spitzentöne der Tochter Tussy, Christian Georg gibt dem unehelichen Sohn Freddy tenoralen Glanz, Ceri Williams ist eine warm tönende Haushälterin Helene und Johannes Mertes ein im Tenor strahlender Friedrich Engels.

Szenenfoto

Karl Marx träumt vom Aufstand der Arbeiterklasse

Die Inszenierung verleugnet keinen Moment, dass hier Theater gespielt wird, und zwar mit allen Mitteln. Die Bühne wird begrenzt durch hohe Wände, in denen man die Konturen von allerlei Gegenständen erahnt, aber nicht genau zuordnen kann; je nach Situation geben sie aber ebenso den Rahmen für die Innenräume von Marx' Wohnung wie auch einen Eindruck der Großstadt London (Ausstattung: Hank Irwin Kittel). Für die verschiedenen (oft und schnell wechselnden) Orte der Handlung werden Gefährte hereingerollt, die oft an die Eisenbahn- Symbol der Industrialisierung - erinnern, als Aufbauten etwa eine Plattform tragen, die Marx' Wohnung andeutet. Geschoben wird von schweißgebadeten, verschmutzten Statisten, ein Verweis auf die Arbeiter. Ab und zu stoßen die Wände Dampf aus wie gewaltige Maschinen. Der Spion vor Marx' Haus wird in einer Art Flugzeug von oben herabgelassen. Das alles ist ungeheuer phantasievoll gestaltet, ohne dabei in naive Niedlichkeit zu verfallen, nicht zuletzt, weil es mit einer gehörigen Portion Ironie unterlegt ist.

Szenenfoto

Agitationsrede in der Arbeiterkneipe - wobei man dort ("topless stuff") noch ganz andere Forderungen stellt.

Die großen Fragen werden dann doch aufgeworfen: Marx träumt von der Revolution, was vergleichsweise ernst inszeniert ist. Er liefert sich mit dem kämpferischen Anarchisten ein hitziges Rededuell - aber weniger der Sache wegen als des üppigen Geldpreises, den ein Industrieller für den Sieger der Debatte ausgelobt hat (und den er prompt mit "Cognac für alle" wieder hergibt). Die Diskrepanz zwischen hehren Idealen im Kampf für die Arbeiterklasse und die Sorge um den Verlust des eignen bürgerlichen Wohlstands ist allgegenwärtig - da entzaubert die Oper lust- und liebevoll die großen Ideen. Am Ende deutet Weber an, welchen unglücklichen Weg in den Stalinismus der Marxismus nahm. Ein bisschen Nachdenken darf also ruhig sein, aber ein Lehrstück will diese Produktion nicht sein und ist es auch nicht, sondern ungemein lebendiges, ziemlich unterhaltsames Theater. Ovationen für alle Beteiligten, am lautesten vielleicht für den Komponisten.


FAZIT

Eine Uraufführung als echter Publikumserfolg: Angst vor "moderner" Musik muss hier niemand haben, denn Marx in London ist eine flotte und musikalisch durchaus eingängige, aber keineswegs banale Komödie, von allen Beteiligten brillant umgesetzt.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
David Parry

Inszenierung
Jürgen R. Weber

Bühne und Kostüme
Hank Irwin Kittel

Licht
Friedel Grass

Chor
Marco Medved

Dramaturgie
Andreas K. W. Meyer


Beethoven Orchester Bonn


Solisten

* Besetzung der Premiere

Marx
Mark Morouse

Jenny
Yannick-Muriel Noah

Tussi
Marie Heeschen

Freddy
Christian Georg

Helene
Ceri Williams

Engels
Johannes Mertes

Spy
David Fischer

Pawnbroker
Boyan Di

Melanzane
Jonghoon You

Franz
Di Yang

Chief Inspector Littlejohn
Enrico Döring

Sergeant
Johannes Marx /
* Algis Lunskis

Foreman
Egbert Herold

Worker
Miljan Milovic



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Bonn
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2018 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -