Politisch brisante Opern-Uraufführung "Die Weiden"

09. Dezember 2018 - 11:29 Uhr

Wien – Es sollte so etwas wie ein Befreiungsschlag sein. In den vergangenen Jahren monierten Kritiker immer häufiger, dass die Wiener Staatsoper oft nur noch ein staubiges Opernmuseum für Wien-Touristen sei. Am Samstagabend präsentierte Staatsopernchef Dominique Meyer nun vor ausverkauftem Haus die erste abendfüllende Opern-Uraufführung seit acht Jahren. Das Publikum zeigte sich angetan bis begeistert von Johannes Maria Stauds gut zweistündigem Opus "Die Weiden" auf ein Libretto des vielfach preisgekrönten Autors Durs Grünbein. Doch der erhoffte Wurf war es wohl nicht.

"Die Weiden"

"Die Weiden"

Dabei hatte es der Text in sich. Es geht darin um die Tochter jüdischer Emigranten aus New York, die das Land ihrer Vorfahren bereisen will – zusammen mit ihrem Freund, der aus eben diesem Land stammt. Geplant ist eine Kanufahrt auf einem großen Fluss namens Dorma, der unschwer als Donau zu identifizieren ist.

Auf dieser Fahrt bekommen es die junge Frau und ihr zunehmend gewalttätiger Begleiter nicht nur mit den rechtsorientierten Schwiegereltern in spe zu tun, sondern auch mit einer Bevölkerung, die sich willig nationalistischen Demagogen an den Hals wirft. Die Verführten tragen die Köpfe glibberiger Karpfen. Der Innsbrucker Staud und der Dresdner Grünbein hatten vor der mit Spannung erwarteten und allerlei Vorschusslorbeeren bedachten Premiere kein Geheimnis daraus gemacht, wer mit all dem gemeint ist: die konservativ-rechtspopulistische Regierung in Österreich als Sinnbild eines Rechtsrucks in Europa.

Das hätte ein brisanter Abend werden können, wenn die beiden nicht ununterbrochen mit dem pädagogischen Holzhammer auf ihr Publikum eingedroschen und kaum ein Klischee der Debatte ausgelassen hätten. Es traten auf: ein schmutzig-brauner, gewalttätiger Fluss als Gegenbild zur "schönen, blauen Donau", nationalistische Burschenschaftler, spießige Lederhosenträger und ein faschistischer Jäger, der einen Flüchtling erschießt.

Auf der Opferseite sind zu nennen: ein jüdischer Kantor, ein diskriminiertes, schwarzhäutiges Dienstmädchen, der bereits genannte Flüchtling, eine wandelnde Wasserleiche, die berichtet, sie sei in der Nazizeit der "Rassenschande" bezichtigt worden und habe sich deswegen ertränkt, sowie, ganz am Schluss, ein Chor von Opfern eines Todesmarsches von KZ-Häftlingen.

Auch die Musik war nicht frei von Klischees und zuweilen allzu plakativ. Grundiert war Stauds Komposition von einem Suspense-Ton wie aus einem Stephen-King-Thriller mit sirrenden Streichern in hohen Lagen, zitternden Flöten, dröhnenden Posaunen, Glocken und viel Schlagwerk, der sich in den dramatischen Höhepunkten zu massiven Klangballungen steigerte. Die Singstimmen wurden manchmal elektronisch verzerrt. Dazu gesellten sich Wagner-Zitate und lautmalerische Einfälle wie Wasserglucksen und Uhrenticken.

Regisseurin Andrea Moses setzte das alles ziemlich realistisch und weitgehend ironiefrei in Szene, mit vielen Videohintergründen gewittriger Flusslandschaften und unheilvoll wehender Weidenzweige. Wenn die beiden Protagonisten Lea und Peter im Kanu unbeholfen paddelnd an Drahtseilen schwebten, wähnte man sich nicht in einem berühmten Opernhaus, sondern im Off-Theater. Fazit: Vor einer solch lauen künstlerisch-ästhetischen Attacke muss sich kein Rechtspopulist fürchten.

(Von Georg Etscheit, dpa/MH)

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