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Musiktheater
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Die Perlenfischer
(Les pêcheurs de perles)

Oper in drei Akten und vier Bildern
Libretto von Michel Carré und Eugène Cormon
Musik von Georges Bizet

in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 22. Dezember 2018

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Das schmutzige Geschäft des Perlenfischens

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

Bei dem Komponisten Georges Bizet denkt man heutzutage hauptsächlich an sein berühmtes Spätwerk, das auf der ganzen Welt zum Standardrepertoire zählt und eine, wenn nicht sogar die Paraderolle für jede Mezzosopranistin enthält: Carmen. Doch auch seine erste "große" Oper, die er im Alter von 24 Jahren als vielversprechender Schüler von Fromental Halévy und Charles Gounod komponierte, Les pêcheurs de perles, wird in den meisten Opernführern zumindest genannt. Auf der Bühne hingegen erlebt man das Werk eher selten. Lediglich das berühmte Freundschaftsduett "Au fond du temple saint" zwischen Nadir und Zurga hat sich zu einer beliebten Nummer für Tenor und Bariton bei Galakonzerten entwickelt, auch wenn es lange Zeit in einer Bearbeitung gespielt wurde, die gar nicht von Bizet selbst stammt. Wenn sich dann doch ein Opernhaus entschließt, das komplette Stück auf die Bühne zu bringen, handelt es sich in der Regel wie bei den Salzburger Festspielen oder der Oper Bonn vor einigen Jahren um eine konzertante Aufführung. Auch in Gelsenkirchen war das Stück vor 13 Jahren, damals noch unter der Intendanz von Peter Theiler, nur konzertant zu erleben. Nun wagt man sich, wie in Liège vor drei Jahren (siehe auch unsere Rezension), auch am MiR an eine szenische Umsetzung und arbeitet mit einer Neuausgabe von 2015, in der auf Grundlage der Quellen der ursprüngliche Schluss des Duettes zwischen Leïla und Nadir im zweiten Akt so rekonstruiert wurde, wie Bizet ihn 1863 komponiert hatte, auch wenn er kurz vor der Uraufführung wieder gestrichen wurde.

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Leïla (Dongmin Lee) legt als neue Priesterin vor Nourabad (Michael Heine, links), Zurga (Piotr Prochera, rechts) und den Perlenfischern (Chor) ihr Keuschheitsgelübde ab.

Die Geschichte spielt im exotischen Ceylon lange vor der Besetzung durch die Briten. Zurga wird von den Perlenfischern, die sich jedes Jahr am Strand versammeln und ihr Leben riskieren, um die Muscheln mit den wertvollen Perlen vom Meeresgrund zu holen, zum Anführer gewählt. In diesem Jahr trifft er seit langer Zeit wieder auf seinen Jugendfreund Nadir, mit dem ihn ein alter Schwur verbindet. Als sie sich vor vielen Jahren beide in die Priesterin Leïla verliebt hatten, beschlossen sie gemeinsam, auf diese verbotene Liebe zu verzichten. Nun ist es aber besagte Leïla, die die Fischer in diesem Jahr mit ihren Gebeten vor den Dämonen des Meeres schützen soll und dafür Keuschheit geloben muss. Nadir missachtet seinen Schwur und sucht Leïla in ihrer ersten Nacht auf dem Felsen auf. Dieses heimliche Treffen wird allerdings vom Oberpriester Nourabad entdeckt, und Zurga verurteilt die beiden unter dem Druck der Fischer zum Tode, zumal er in Leïla die von ihm geliebte Priesterin wiedererkennt und sich damit von seinem Freund verraten fühlt. Doch als Leïla auf dem Weg zur Hinrichtung einem Fischer eine Kette gibt, die ihr einst ein junger Mann dafür geschenkt hat, dass sie ihm Zuflucht vor seinen Angreifern gewährte, erkennt Zurga in Leïla die Frau, die ihm einst das Leben gerettet hat. Er setzt das Lager der Fischer in Brand und ermöglicht im allgemeinen Aufruhr Nadir und Leïla die gemeinsame Flucht.

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Harte Realität gegen exotischen Kitsch: Die Perlenfischer (Chor) in Gelsenkirchen

Das Regie-Team um Manuel Schmitt verzichtet auf jedwede Form des in der süffigen Musik Bizets angelegten exotischen Kitsches und zeichnet ein der Realität wohl eher entsprechendes Bild des damaligen Gewerbes der Perlenfischerei. Dieses belegt er mit Auszügen aus den von Leonard Woolf 1963 verfassten Ceylon Diaries, die zur Ouvertüre und nach der Pause auf den Vorhang projiziert werden, der aus milchig schimmernder Plastikfolie besteht und zu Beginn mit der geschickten Lichtregie von Patrick Fuchs suggeriert, dass man sich in den Tiefen des Meeres befindet, in das ein Taucher (Michael Bittinger) aus dem Schnürboden "hinabtaucht", um die Muscheln mit den wertvollen Perlen vom Grund des Meeresbodens zu holen. Die Hütten, in denen die Perlenfischer hausen, befinden sich auf fahrbaren Podesten und sind so heruntergekommen,  wie man es sich in den ärmlichen Verhältnissen der ausgebeuteten Arbeiter vorstellt. Dass die Arbeit lebensgefährlich ist, wird dadurch unterstrichen, dass es direkt zu Beginn der Oper einen Toten zu beklagen gibt, der dann in Plastikfolie gewickelt und von der Bühne getragen wird. Nicht schlüssig ist ein riesiges Spruchband mit der Aufschrift "I don't die for your pearls!", das von einigen Arbeiterinnen hochgehalten wird und einen Aufstand der Perlenfischer suggeriert, der von schwarzer Miliz im wahrsten Sinne des Wortes niedergeknüppelt wird. Wenn Leïla und Nadir am Schluss hingerichtet werden sollen, wird das Band erneut hochgehalten, wobei die Wörter "I don't" gestrichen sind, was den Spruch aber auch nicht nachvollziehbarer macht.

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Die Perlenfischer (Chor) und Nourabad (Michael Heine, rechts vorne) fordern die Hinrichtung von Nadir (Stefan Cifolelli, Mitte vorne) und Leïla (Dongmin Lee) (links vorne: Zurga (Piotr Prochera)).

Unverständlich ist auch, wieso Schmitt mit Videoeinspielungen einer pakistanischen Frau an mehreren Stellen die Oper unterbricht. Saeeda Khatoon berichtet in einem Interview aus dem Jahr 2018 von dem dramatischen Brand in einer Textilfabrik am 12. September 2012, bei der unter anderem auch ihr Sohn ums Leben kam. Soll hier etwa eine Parallele zum Brand des Fischerlagers am Ende der Oper hergestellt werden? Nachdem Zurga nämlich das Feuer gelegt hat, um Nadir und Leïla die Flucht zu ermöglichen, eilen die Fischer zunächst hinter einen weiteren Plastikvorhang, hinter dem mit rotem Licht ein loderndes Feuer angedeutet wird, taumeln anschließend wieder auf die Bühne und brechen leblos zusammen, wobei offen gelassen wird, was mit Zurga geschieht. Überzeugend ist der Bezug hierbei nicht. Natürlich lassen sich die katastrophalen Arbeitsbedingungen und die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen in der Fabrik auch mit den Gefahren vergleichen, denen die Perlenfischer in der Oper ausgesetzt sind, und sicherlich ist es erschreckend, dass es selbst in der Gegenwart noch derartig inakzeptable Arbeitsbedingungen gibt. Mit der Oper hat es allerdings nichts zu tun und passt deshalb auch nicht in die Geschichte. Das scheint auch ein Teil des Publikums so zu sehen, so dass es für das Regie-Team beim Schlussapplaus nicht nur Beifall sondern auch Unmutsbekundungen gibt.

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Heimliche Liebesschwüre mit verheerenden Folgen: Leïla (Dongmin Lee) und Nadir (Stefan Cifolelli)

Musikalisch lässt der Abend keine Wünsche offen. Dongmin Lee stattet die Partie der Leïla mit leuchtendem Sopran aus, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt. Beeindruckend gelingt ihr Gebet "O Dieu Brahma" im ersten Akt, mit dem sie den Schutz für die Fischer erfleht. Auch die Kavatine "Comme autrefois", mit der sie dem heimlichen Treffen mit Nadir entgegenfiebert, präsentiert sie mit zartem Sopran, der die Zerbrechlichkeit der Figur unterstreicht. Ob das Kind (Mi-Na Springer), das immer wieder auftaucht und dem sie im letzten Akt die Kette überreicht, ihr Alter Ego sein soll, wird nicht ganz klar. Als einziger Gast des Abends ist für die Partie des Nadir Stefan Cifolelli verpflichtet worden, der mit lyrischem Tenor glänzt. Ein musikalischer Höhepunkt ist seine große Romanze "Je crois entendre encore", in der er in Erinnerungen an Leïla schwelgt. Hier punktet er mit weichen Bögen und schraubt sich, ohne zu forcieren, in schwindelerregende Höhen empor. Im Duett mit Lee "Leïla! Leïla!" finden Cifolelli und Lee zu einer betörenden Innigkeit. Piotr Prochera punktet als Zurga mit kräftigem Bariton und intensivem Spiel, wenn er zwischen deder Freundschaft zu Nadir und seiner Liebe zu Leïla einerseits und dem Gefühl des Betrogenseins und dem Wunsch nach Rache andererseits hin- und hergerissen wird. Besonders gut kommt das in seiner Arie im dritten Akt, "L'orage s'est calmé", zum Ausdruck, wenn er bereut, Leïla und seinen Freund Nadir zum Tode verurteilt zu haben, und nach einem Ausweg sucht. Zu erwähnen ist natürlich auch das berühmte Duett mit Cifolelli, das sich leitmotivisch durch die ganze Oper zieht und von Prochera und Cifolelli eindrucksvoll interpretiert wird.

Michael Heine rundet das Solisten-Ensemble als Hohepriester Nourabad mit solidem Bass überzeugend ab. Auch der von Alexander Eberle einstudierte Chor leistet stimmlich und darstellerisch erneut Gewaltiges. Giuliano Betta führt die Neue Philharmonie Westfalen mit sicherer Hand durch die lyrisch anmutende Partitur und arbeitet differenziert wunderschöne Klangteppiche heraus, so dass es zumindest für die musikalische Gestaltung einhelligen Jubel gibt.

FAZIT

Musikalisch haben Die Perlenfischer einiges zu bieten, was in Gelsenkirchen großartig umgesetzt wird. Wenn man sich dem exotischen Kitsch des Librettos nicht stellen will, sollte man aber wahrscheinlich doch lieber bei einer konzertanten Aufführung bleiben, da eine Modernisierung nur bedingt funktioniert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuliano Betta

Inszenierung
Manuel Schmitt

Bühne
Bernhard Siegl

Kostüme
Sophie Reble

Choreinstudierung
Alexander Eberle

Licht
Patrick Fuchs

Dramaturgie
Stephan Steinmetz

 

Neue Philharmonie Westfalen

Opernchor und Extrachor des MiR

Statisterie des MiR

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Leïla, eine Tempelpriesterin
Dongmin Lee

Nadir, Fischer und Zurgas Freund
Stefan Cifolelli

Zurga, Fischer
Piotr Prochera

Nourabad, Hohepriester
Michael Heine

Kind
Paula Schiefele /
*Mi-Na Springer /
Aitana Urrutia

Taucher
Michael Bittinger

 


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