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Bedrich Smetana „Die verkaufte Braut“ | Premiere: 22. Dezember 2018 | Musikalische Leitung: Tomáš Hanus | Inszenierung: David Bösch. Foto: Wilfried Hösl
Bedrich Smetana „Die verkaufte Braut“ | Premiere: 22. Dezember 2018 | Musikalische Leitung: Tomáš Hanus | Inszenierung: David Bösch. Foto: Wilfried Hösl
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Trash-Opulenz – Smetanas „Verkaufte Braut“ an der Bayerischen Staatsoper

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Bedřich Smetanas erst in deutschen Opernhäusern höchst erfolgreiche Komische Oper beinhaltet viel ernste Konflikte: ein verstoßener Erstgeborener, der als Knecht in der Fremde schuftet; ein fesches Bauernmädel, das mit dem zwischenmenschlich zunächst hilflosen, daher stotternden Zweitgeborenen verheiratet werden soll, aber den vermeintlichen Knecht tiefinnig liebt; patriarchalisch fixierte Väter; eine intrigant planende Mutter; ein gewieft auf seine Prämie hinarbeitender Protz von Heiratsvermittler; das lärmende Elend eines Wanderzirkus – alles nur eine Gaudi?

Es könnte eine Janáček-nahe Tragödie sein, wäre da nicht die in den Streichergruppen tänzerisch pulsierende, dann in den Holzbläsern fröhlich aufjauchzende Musik Smetanas - sie signalisiert: „Niemand zwingt ein starkes Herz“ – wie der pfiffig überlegene Hans seiner geliebten Marie Mut macht. Und wie bis ins 20.Jahrhundert üblich, genoss das hart arbeitende Landvolk viele, viele Feiertage – und da wurde kräftig Bier getrunken, gesungen, getanzt und geliebt. Das brachte Dirigent Tomáš Hanus mit dem Staatsorchester und dem Staatsopernchor auf hohe Touren, nur nicht ganz frei von Diskrepanzen zwischen Bühne und Graben. Ein rhythmischer Brillant wie der Furiant erklang in München schon kantig konturierter und fetziger.

Gesungen wurde von den Nebenrollen der Eltern (klangschön Maries Mutter von Elena Zubanovich) bis zur kessen, tatsächlich bühnenhoch Drahtseil- und Spitzenton-sicheren Esmeralda von Anna El-Kashem und dem Teddybär-nahen Stotterer von Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sehr gut – erst recht von Pavol Breslik als Hans, dessen tenorale Lyrik Marie natürlich überzeugte. Selene Zanetti aus dem Opernstudio der Staatsoper hatte die Partie von der hochschwangeren Christiane Karg übernommen: äußerlich eine recht kompakte Bauerntochter spielte sie handfest mit und sang schön – die emotionalen Wechselbäder und Abgründe Maries wurden noch nicht Klang. Sie alle stellte Günther Groissböck als Heiratsvermittler Kezal in den Schatten. Endlich einmal nicht weltentrückter Gurnemanz oder Sarastro, legte er als zeitgenössischer „Dorf-Parship-er“ los: weißer Stenz-Anzug, knallrotes Hemd offen bis zum Sixpack, vom Handy über Gold-Füllhalter bis goldener Armbanduhr alles testosteron-triefend vorgeführt mit ebenso strotzenden Basstönen – ein Bühnenvieh, das selbst vom theatertrainierten, genüsslich durch die Szenen schnüffelnden Lebendschwein Willi nicht in den Schatten gedrängt wurde. Einhelliger Beifall dafür.

Dagegen: Viele nach dem ersten Sängerapplaus das Parkett verlassende Premierenbesucher und einige wenige Buhs für das Bühnenteam um Regisseur David Bösch. Wie schon in seinen Münchner Inszenierungen von „Liebestrank“, „L’Orfeo“, „Schlauem Füchslein“ oder „Meistersinger“ blieb er stilistisch wieder bei „Trash-Welt“. Ein riesiger dampfender Heu- oder Misthaufen im Bühnenzentrum, Heu-bedeckter Bühnenboden, Heu-Fetzen bis in die Proszeniumslogen – Zigaretten werden da einfach weggeschmissen – scheint am Land so üblich zu sein - oder: der Realismus schlägt zurück. Doch Bösch geht mit seinen Ausstattungskollegen Bannwart und Herold weiter in die Vollen: ein völlig veralteter Traktor mit E-Antrieb, Dixi-Klo mit Pin-up-Nackedei und Kot-dreckiger Bürste, Buntlämpchen-Seil über allem, Hans mit Allergie-Spray gegen den Heu-Staub, Plastikbecher, Schnaps- und Bierflaschen allenthalben, ein Gülle-Behälter voller Bier, Kezals Online-Werbe-Video auf dem Zwischenvorhang, zum Furiant-Tanz stehen die vorher saufenden Männer in Pinkel-Schlange vor dem Klo, später beweisen einige auf dem Heuhaufen ihre 2-Meter-Urinstrahl-Potenz mit versteckt vorgehaltenen Spray-Flaschen, auch mal ein Hochzeitskuchen mit Sprühkerzen auf dem elektrischen Heuförderband, Jeans-Hotpants bei vielen Mädels, ein chaotisches Lämpchen-blinkendes Zirkus-Auto auf einer Schräge den Heuhaufen hoch, Selfies von Marie und Hans mit Hilfe aus dem Souffleurkasten – eine wirre Fülle, in der allerlei und vielerlei nebeneinander stand, viel zu wenig sich ergänzend und steigernd mit- und ineinander griff. In einer in den 1950er Jahren angesiedelten „Braut“-Inszenierung hatte am Ende eine selbstbewusste Marie von diesen Männer-Händeln genug und brauste auf ihrem Moped davon – das war 2011 im benachbarten Gärtnerplatztheater. Ein auch nur annähernd anspruchsvoller dramaturgischer Horizont fehlte im Nationaltheater. Dem ganzen Team wäre als Weihnachtsgeschenk ein Walter-Felsenstein- oder Harry-Kupfer-Buch zu wünschen: Ernsthaft von der Kraft der Liebe im sozialen Kontext erzählen – das wäre da zu entdecken. Jetzt keine Spur davon - dafür dörfliche Wimmelbilder im Trash-Format.

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