Mozarts «Don Giovanni» im Luzerner Theater: Nach der Lust bleibt nur die Leere

Intendant Benedikt von Peter inszeniert in Luzern Mozarts Oper «Don Giovanni»: Die raffinierte filmische Umsetzung verleiht dem gefährlichen Spiel mit der Lust eine vielschichtige Dramatik.

Urs Mattenberger
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Doppeltes Spiel auf Vorderbühne (Vuyani Mlinde als Leporello) und Leinwand (Flurin Caduff als Masetto). (Bild: LT/Luzerner Theater)

Doppeltes Spiel auf Vorderbühne (Vuyani Mlinde als Leporello) und Leinwand (Flurin Caduff als Masetto). (Bild: LT/Luzerner Theater)

Wer einer einzigen Frau treu ist, betrügt alle anderen. Don Giovanni führt mit diesem Satz in Mozarts gleichnamiger Oper, die am Sonntag im Luzerner Theater Premiere hatte, den Zusammenhang zwischen Lust und Liebe aus den Angeln.

Und das gilt auch für Intendant Benedikt von Peter. Er beweist mit seiner Inszenierung von Mozarts Oper, dass die Zeit jetzt tatsächlich noch nicht reif ist für den angekündigten Wechsel ans Theater Basel (auf die Saison 2020/21). Im Sommer hatte von Peter diesen Wechsel unter anderem damit begründet, dass er vielleicht ein «Freak» sei, «aber irgendwann kennt das Publikum ja dann auch meinen Stil».

Don Giovanni verborgen im Reich der Lust

Aber der Stil, in dem er hier Mozarts «Don Giovanni» inszeniert, ist für Luzern tatsächlich neu. Den von Peter verdammt die Hauptfigur hinter einer riesigen schwarzen Gaze aus dem Sichtfeld und gibt ihm doch durch das Medium Film eine indirekte visuelle Präsenz. Möglich macht es Kameramann Carlos Isabel Garcia, der das Geschehen auf der Hinterbühne mit einer Infrarotkamera aus der Perspektive des unsichtbaren Don Giovanni filmt und auf den Vorhang projiziert.

Dieses spielt sich dadurch abwechselnd oder gleichzeitig auf zwei Ebenen ab: Die von Don Giovanni umgarnten Frauen und ihre Männer agieren auf der knappen Spielfläche vor und seitwärts der schwarzen Gaze-Wand sowie in der Dunkelheit hinter ihr, die für das begehrte Reich einer von allen Regeln befreiten Lust steht. Schon die Überblendung der Bilder, die das ergibt, erzeugt eine Spannung zwischen dem auf Ehrbarkeit bedachten Handeln der Figuren, die sich am Verführer und Betrüger rächen wollen, und ihrer Sehnsucht, sich der Lust hinzugeben, die er verkörpert.

Unsichtbar und doch aus Fleisch und Blut

Richtig spannend wird es, wenn die Sänger zwischen beiden Ebenen hin und her gerissen sind. Bei der einzigen Neueroberung, die dem Verführer im Verlauf der Oper beinahe gelingt, ist etwa die Zerlina hin und her gerissen zwischen ihrem eifersüchtig tobenden Bräutigam Masetto im Vordergrund und Don Giovanni, dessen Verführungskünsten sie eben in «Là ci darem la mano» erlegen ist. Zwischen den Versöhnungsgesten hin zu Masetto und in Richtung Publikum, riskiert sie immer mal wieder einen Blick hinter die Gaze, hinter der unsichtbar in bedrohlicher Dunkelheit die Lust lauert: Don Giovanni.

Aber wenn Zerlina in diese blickt, sehen wir in der Leere der Hinterbühne wiederum nur sie mit den Kamera-Augen Don Giovannis. So erschöpft sich Zerlinas Verlangen in einer Art Selbstbespiegelung. Und wenn sie abwechselnd vor Masetto (am vorderen Bühnenrand) und (hinter dem Vorhang im Film) in Richtung von uns Zuschauern sieht, stellt sich ein, was sich das Produktionsteam erhoffte: Wir, die Zuschauer, sind selber Don Giovanni.

Gewiss, mit der Verlagerung Don Giovannis in eine Kameraperspektive, geht ein Stück Unmittelbarkeit und Sinnlichkeit verloren. Aber Jason Cox macht aus dem Prinzip der Lust, für das hier die unsichtbare Hauptfigur steht, mit seiner sängerischen Darstellung einen kraftstrotzend männlichen Verführer aus Fleisch und Blut.

Mehr als purer Schöngesang auch im Orchester

Damit ragt er aus einem ansprechend, aber nicht homogen besetzten Ensemble heraus. Vuyani Mlinde gibt dem Diener Leporello, der durch Don Giovannis szenische Absenz zu dessen Alter Ego aufgewertet wird, vokal die dafür nötige Statur, kann aber darstellerisch nicht als Stellvertreter des Verführers durchgehen. Zentrale weibliche Figur ist hier die verratene Donna Elvira von Solenn Lavanant Linke, die ihrem ausdrucksstarken Sopran jene Hysterie beimischt, die zwischen Hass und Lust pendelt. Auch, aber nicht nur purer Schöngesang: Das trifft den Ton, den Clemens Heil mit dem vorzüglichen Luzerner Sinfonieorchester von der harsch aufbegehrenden Ouvertüre favorisiert und aufregend bis zum Ende durchzieht.

Flurin Caduff als Masetto und Diana Schnürpel als Zerlina bringen bei aller Komik eine berührende Wärme und Natürlichkeit ins Spiel, ohne in Klischees zu verfallen. Rebecca Krynski Cox gibt mit einem weiten Vibrato eine auch vokal etwas flatterhafte Donna Anna, Emanuel Heitz als Don Ottavio spielt dezent die Ironie mit, die Mozart dieser zaghaften Tenorrolle eingeschrieben hat.

Theater-Wunder und -Hölle

Die filmische Ebene bringt trotz der Bindung der Kamera an die Hauptfigur eine unerwartete Dynamik ins Spiel der Figuren. Wo die Kamera – mit den Augen Don Giovannis – durch belaubte Äste hindurch die umherirrenden Frauen und Paare ausspäht, entsteht eine wunderbare Illusion labyrinthartiger Gartenszenerien. Und in den handgreiflichen Auseinandersetzungen werden Don Giovannis Hände zu Hauptakteuren, die mit einer Pistole den Commendatore erschiessen, Masetto liebkosen und verprügeln oder der aufsässigen Donna Elvira an die Gurgel fahren. Da kommt die Erotik, die in vorproduzierten Nacktszenen harmlos stilisiert wird, auch handfest zur Geltung.

Im Finale, beim Festgelage und Erscheinen des Komturs (Boris Petronje), steigert sich die Dramatik zu einem sogartigen Showdown, wenn Don Giovanni mit einem altmodischen Theatercoup zur Hölle fährt. Der Happy-End-Chor auf den Balkonen täuscht da nicht darüber hinweg, dass jetzt, wo das Prinzip Lust eliminiert ist, nichts zurückbleibt als Leere und Dunkelheit.

Vorstellungen bis 8. Juni 2019
www.luzernertheater.ch