„Martha! Martha! Du entschwandest...“ singt Lyonel in Friedrich von Flotows Oper und die Spielpläne vieler Opernhäuser konnten es ihm in den letzten Jahren gleichtun. Bis in die 1980er Jahre war das Werk noch mit verlässlicher Regelmäßigkeit auch im Repertoire der Grazer Oper zu finden, bevor es im gesamten deutschen Sprachraum mehr und mehr in der Versenkung verschwand. Nun wurde es aus eben dieser wieder hervorgeholt, doch leider wurde rasch klar, dass in manchen Fällen auch eine gut gemeinte Wiederbelebung schlichtweg scheitert.

Ein problematischer Faktor ist dabei, zumindest für meinen Geschmack, das Werk an sich. Die Musik ist zwar durchwegs nett anzuhören, aber bis auf die „Gassenhauer“ in Gestalt von „Ach, so fromm“ und „Die letzte Rose“ – der Komponist möge mir verzeihen – ebenso schnell wieder vergessen. Zusätzlich ist das Libretto mit seinen holprigen Reimen völlig frei von Wortwitz, von emotionalem Tiefgang ganz zu schweigen; ein Urteil, das sich auch über die Figuren fällen lässt, die die ganze Handlung über schablonenhaft und distanziert bleiben. Einen nicht zu unterschätzenden Anteil daran hat auch die sich an allen Ecken und Enden spießende Inszenierung von Peter Lund.

Der Regisseur verlegt die Handlung nämlich in das Londoner Bethlem Royal Hospital, ein Irrenhaus der horrorfilmhaften Sorte. Nun hätte diese Idee durchaus funktionieren können, etwa wenn man sich vorstelle, dass Patienten dieser Anstalt die Handlung der Oper einfach in ihrem Kopf in Form von Wahnvorstellungen erleben. Tatsächlich sind aber die Hauptfiguren lediglich Besucher (gehörten Besuche in psychiatrischen Anstalten doch lange wirklich zum Amüsement-Programm der gehobenen Gesellschaft), was im Laufe der Handlung zu einer ganzen Reihe an unschlüssigen Situationen führt, sich vor allem aber an zwei ganz zentralen Fragen spießt: Warum beteiligen sich Besucherinnen und Besucher einer Irrenanstalt an einem dort von Patienten inszenierten Verschacherungsprozess von Mägden? Und warum nehmen sie das Ergebnis dieses Verkaufs dann auch noch ernst? Für meinen Geschmack tut Lund dem – ohnehin schon mit Logiklöchern behafteten – Werk damit wirklich keinen Gefallen, auch weil er in Fragen der Personenregie einfallslos bleibt und es nicht schafft, seinen Charakteren Leben einzuhauchen.

Dieses Unterfangen glückt auch den Sängern nicht, kommen sie doch allesamt über klischeehafte Gesten und dann und wann etwas überzeichneten Slapstick selten hinaus. Die gesanglichen Leistungen blieben am Premierenabend leider zum Großteil ebenso blass; die stärkste Leistung lieferte Peter Kellner in der Rolle des Plumkett. Ehemals Ensemblemitglied in Graz, seit dieser Saison an der Wiener Staatsoper engagiert, lieferte Kellner hohes Bass-Niveau mit profunder Tiefe, großer Wortdeutlichkeit und schönen Legato-Phrasen. Im Vergleich zu seinem verschwenderisch-komödiantischen Figaro im Vorjahr, wirkten aber sowohl seine Stimme als auch seine Darstellung bei der Premiere noch etwas schaumgebremst.

Eine gute Leistung zeigte auch Kim-Lillian Strebel als Lady Harriet Durham vulgo titelgebende Martha. Ihre Stimme spricht in allen Lagen schön an und verfügt über genug Agilität für diese Partie; einige angeschliffene Töne im ersten Akt schienen der Nervosität geschuldet gewesen zu sein. Dennoch ließ sie mich, selbst im melancholischen Lied von der letzten Rose, kalt. Ihre Interpretation und ihr wenig farbenreiches Timbre gingen nie zu Herzen. Solide präsentierten sich die beiden Ensemblemitglieder Wilfried Zelinka und Anna Brull. Zelinka ließ in der (zu) kleinen Rolle als überkandidelter Lord Tristan Mickleford frei strömende und schön phrasierte Passagen hören und Brull stellte als Nancy/Julia einmal mehr ihre Fähigkeit zu locker perlenden Höhen unter Beweis, die Stimme wurde in tieferen Lagen aber immer wieder hörbar dünn. Die Steilvorlage des berühmtesten Schlagers der Oper konnte Ilker Arcayüreks Lyonel nicht wirklich zu seinem Vorteil nutzen. Sein Tenor klang im Verlauf des Abends immer häufiger angestrengt und gepresst, sängerische Leichtigkeit suchte man bei ihm an diesem Abend leider vergebens.

Die vielen Ensembles waren von einigen Wacklern und Ungenauigkeiten – auch in der Abstimmung mit dem Orchester – geprägt, hier werden sich Sänger und Orchester in den nächsten Vorstellungen wohl noch besser aufeinander einspielen müssen. Eine verlässliche Säule hingegen stellte wie immer der Chor dar, der sich durch eine runde und schönstimmige Gesamtleistung auszeichnete und in den kleinen Soli bewies, dass einzelne Mitglieder auch auf sich alleine gestellt problemlos bestehen können. Dem Orchester unter der Leitung von Robin Engelen wollte am Premierenabend, ebenso wie den Sängern, aber nicht alles einwandfrei gelingen. In den Blechbläsern waren etwa einige Unsauberkeiten nicht zu überhören; auch wirkte die Interpretation wenig differenziert – entweder elegisch (eine Stimmung, die die Streicher aber zugegebenermaßen schön umsetzten) oder aufgedreht hektisch galoppierend mit wenig Raum für Zwischentöne oder dynamische Schattierungen. So fügte sich leider auch der orchestrale Baustein in den schalen Gesamteindruck des Premierenabends ein.

Um als abschließendes Fazit eine TV-Kuppelshow, in der die „letzte Rose“ ebenfalls eine zentrale Rolle einnimmt, zu zitieren: Liebe Martha, es war nett, dich kennengelernt zu haben, aber es hat zwischen uns beiden einfach nicht gefunkt!

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