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Ein Puppenheim

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Adrettes Unglück: Kátja mit Tochter und Puppe.
Adrettes Unglück: Kátja mit Tochter und Puppe. © Andreas Etter

Lydia Steiers starke „Kátja Kabanová“ am Staatstheater Mainz.

Auch Kátja Kabanová, wie sich am Staatstheater Mainz zeigt, ist die Bewohnerin eines Puppenheims. Schlimmer noch. Ihre entsetzliche Schwiegermutter betreibt eine Puppenmanufaktur und die steifen, in Einheitsfolklore gekleideten Figürchen drängen sich als Rollenvorbild und auch Alptraum auf. Zum Finale tapern sie in Lebensgröße mechanisch über die Bühne. Leos Janáceks Oper ist ein spätes Mitbringsel von Intendant Markus Müller aus seiner vorigen Wirkungsstätte Oldenburg, wo der Abend von Lydia Steier 2012 Premiere hatte.

Er ist nicht angealtert, im Gegenteil. Die Auseinandersetzung um konservative Welt- und Menschenbilder ist aggressiver geworden. Auch scheint es interessant, den Abend im Zusammenhang mit Steiers neuer Frankfurter Inszenierung von Tschaikowskis „Iolanta“ zu sehen, in der sie eine Frau zur Puppe macht. Handelt es sich dort um eine perverse Männerfantasie, hat Kátja Kabanová es mit dem Frauenbild einer ganzen Gesellschaft zu tun, vertreten ausgerechnet durch eine Frau. Die flankiert wird von anderen Frauen (liebevoll ausgestaltet die Rollen des lieblosen Personals). Eine Welt, in der sich die Fröhlichkeit hinterm Busch verstecken muss.

Steier gelingt es ohne aufdringliche Fingerzeige, ein tragisches persönliches Scheitern in einen scharf konturierten größeren Zusammenhang zu stellen. In einer Sommernacht verschaffen sich Menschen draußen den sexuellen Freiraum, den sie in ihrem von Biederkeit und hochgeschlossenen Krägen geprägten Leben sonst nicht finden. Das drehbare Puppenheim, eine erhöhte, schräge, schmuck tapezierte, ansonsten aber karge Stube, bietet keine Privatheit, höchstens die Einsamkeit des Eingesperrtseins. Im dritten Akt gibt es nicht einmal mehr Wände. Die Wolga: eine von der Decke heruntergelassene Schwarzweiß-Zeichnung. Flurin Borg Madsens Bühne und Ursula Kudrnas Kostüme vermitteln die Tristesse mit adretten Bildern, kühl und unverbindlich wie die Menschen.

Steier verlässt sich aber nicht auf die Umgebung, eine einleuchtende Personenführung zeigt sich, unterstützt hierin von Paul-Johannes Kirschners ungemein farbenreichem Dirigat. Mehr unsüßlicher Schmelz und mehr subtile Schärfe wie jetzt beim Philharmonischen Staatsorchester kommen selten zusammen.

Als prägende stumme Rolle führt Steier Katjas Tochter ein, Omakind, Puppenbesitzerin, Beobachterin mit maskenhaft niedlichem Gesicht. Kátjas Außenseitersituation wird dadurch noch deutlicher, zermahlen zwischen Generationen, die kalt über sie urteilen. Dabei ist die ungewöhnliche Sängerin Nadja Stefanoff eine geradezu unanfechtbare Kátja, kerzengerade, verschlossen und herb, den mächtigen Sopran lässt sie auch mächtig auffahren. Ihr Mann Tichon, der propere Tenor Alexander Spemann, ist ebenso ein Tropf gegen sie wie Boris, mit dem sie eine Affäre haben wird. Steven Ebel spielt ihn überzeugend mit eingezogenem Kopf. Dass es ihm stimmlich in der Premiere an Durchschlagskraft fehlte, passte dazu, wie umgekehrt die Kabanicha, Gundula Hintz, singend und spielend ein unerbittliches Schlachtross ist. Ihren Quickie mit dem grobianischen Dikoj, Derrick Ballard, lässt Steier unverblümt vonstatten gehen. Kein Moment von Zartheit, gar Liebe.

Nur Varvara, Linda Sommerhage, und Kudrjasch, der wunderbar hell timbrierte Tenor Johannes Mayer, der das eingängigste Liedlein des Abends singen darf (wie alles glücklicherweise auf Tschechisch), raffen sich zur Flucht auf. Man ahnt die nächste Tragödie, diesmal unter zwei Mittellosen in Moskau.

Staatstheater Mainz: 27. Januar, 13.
Februar. www.staatstheater-mainz.com

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