Kommt man mit nicht-österreichischen Opernliebhabern in Kontakt, so hört man immer wieder (und immer wieder gern), dass die Wiener Staatsoper für viele ein Sehnsuchtsort bezüglich Wagner und Strauss ist, und ob wir Eingeborenen überhaupt wüssten, wie verwöhnt wir in dieser Hinsicht wären? Wie schön, wenn sich ein Vorurteil wie dieses bestätigt, denn was Axel Kober aus der Götterdämmerung zauberte, war auch für versierte Ring-Besucher ein besonderes Erlebnis.

Musikalisch rekapituliert die Götterdämmerung hauptsächlich die Leitmotive der vorangegangenen drei *Ring*-Tage, aber in morbider Form. Sie sind zwar immer noch klar erkennbar, doch subtil verzerrt, wenn nicht korrumpiert. Eine Dissonanz hier, Doppelsinn da, Lüge, Verrat überall; unentrinnbare, aber doch langsam um sich greifende Untergangsstimmung. Das, was zuvor frischer Wald und Blumen war, trocknet wie die Scheite aus der Weltesche rund um Walhall, und duftet dabei noch intensiver, oder zumindest kamen einem bei Kobers Dirigat blumige Vergleiche wie dieser in den Sinn – gegen die der bekannte Parfumliebhaber Wagner wohl keine Einwände gehabt hätte.

Dieses Leitmotivpotpourri hielt Kober angenehm transparent, und so fügte sich alles ganz organisch – diese unangestrengte Selbstverständlichkeit, aus der sich Grandioses erhob, nötigt einem Respekt ab. Was war beeindruckender? Die Rheinfahrt, Siegfrieds Trauermarsch oder das Finale? Das ist kaum zu entscheiden, aber wie schon in der Walküre fiel besonders positiv auf, dass sowohl die Chemie zwischen Dirigent und Orchester als auch die Feinabstimmung mit dem Bühnengeschehen perfekt passten – und das ohne Orchesterprobe. Von ein, zwei kleinen Unsicherheiten bei den Hörnern abgesehen, leisteten die Instrumentalisten Großartiges, woran auch Konzertmeister Rainer Honeck seinen Anteil hatte.

Man hatte auch den Eindruck, dass man sich der originalen Regieanweisungen von Sven-Erich Bechtolf entsann, denn hinsichtlich Personenführung und Choreographie wirkte vieles stimmiger als sonst. Große Fans von Bechtolfs Inszenierung in der Ausstattung von Rolf und Marianne Glittenberg wird man trotzdem selten treffen. Zugegebenermaßen haben aber gerade Götterdämmerung und Siegfried mehr „Action“ und szenische Pointen als die beiden anderen, unterinszenierten Ring-Teile. (Eine aktuelle Pointe ist, dass der Tann, der bei Glittenberg eine Christbäumchen-Schonung ist, bei roter Beleuchtung so aussieht wie eine zwergige Version der letztjährigen, viel gehöhnten Weihnachtsdekoration im Weißen Haus.)

Gesungen wurde auf hohem Niveau, wenn auch nicht alle Partien ideal besetzt waren. Das gilt in erster Linie für den Hagen von Falk Struckmann und den Alberich von Jochen Schmeckenbecher. Beide sind zwar beliebte und verdiente Sänger und überzeugten darstellerisch, hatten aber nicht die geforderte Stimmkraft für die beiden Unholde; bei Struckmann fehltt es in der Tiefe, und Alberich hatte einen ungeplant stummen Schlussauftritt: „Zurück vom Ring“ ging in den Orchesterwogen gänzlich unter. Struckmann half insbesondere nicht, dass er sich mit dem Gunther von Tomasz Konieczny einer Ausnahmeerscheinung an vokaler Durchschlagskraft gegenübersah. Allerdings hat eine Luxusbesetzung für Gunther einen Vorteil, nämlich Erkenntnisgewinn über den Ursprung der Schwäche dieser Figur: Ohne Leistung in eine privilegierte Position hineingeboren, weiß Gunther nichts anzufangen, weil er, der Verwöhnte, noch nie Hirn und Körper anstrengen musste, dafür aber an übergroße Ansprüchen scheitert. Über den Ring sind viele Bücher geschrieben worden, aber über die Gunthers dieser Welt wahrscheinlich noch mehr: Dieser Typ Mann, der sich entweder von Mini-Brünnhilden freiwillig dirigieren lässt, oder Frauen aus Frust über die eigenen Schwächen zu demütigen versucht, taucht in jedem Beziehungsratgeber und in noch mehr Frauenmagazinen auf.

Die Helden-Alternative scheint aber auch kaum besser: Wenn man sich Siegfried so ansieht, belässt man es lieber bei einem Abenteuer, bevor man sich das Leben schwer macht, da kann Stephen Gould, der in dieser Partie einmal mehr seine Klasse unter Beweis stellte, noch so schön tönen. Ermüdungserscheinungen zeigt er nie; allerdings wäre es mir lieber, er würde nicht jeden zweiten höheren Ton extra stemmen – das stört in Siegfried weniger, ist aber dem Erzählerischen in der Götterdämmerung weniger dienlich. Wenn er jedoch bei seinem letzten Auftritt "Brünnhilde! Heilige Braut!" mit wunderbarem Schmelz singt, ist das Stimmglück perfekt.

Die Grande Dame des Abends war wie auch an den Abenden zuvor Iréne Theorin, die darstellerisch alles gab, und auch stimmlich überzeugte. Um über die orchestrale Brandrodung der alten Welt zu singen, muss sie sich offenbar nicht besonders anstrengen, denn eine abgeklärtere, und gerade deshalb eindrucksvollere Interpretation sieht man selten, auch wenn einigen im Publikum eine gute Dosis an vokaler Hysterie noch lieber gewesen wäre. Waltraud Meier gestaltete eine eindringliche Waltraute.

In der Bechtolf-Inszenierung decken Brünnhilde und Gutrune Siegfrieds Leichnam gemeinsam zu, und mit ihrer Leistung hat sich Anna Gabler diesen stummen, aber prominenten Abgang auch verdient. Die Rheintöchter und die Nornen, darunter Monika Bohinec als Unheil orgelnde erste, trugen wesentlich zu dem starken Eindruck bei, den diese Götterdämmerung hinterließ.

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