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Neuinszenierung von Marco Štorman So ist die Oper „Lulu“ am Theater Bremen

Ganz schön stark: Marco Štorman hat Alban Bergs Oper „Lulu“ am Theater Bremen mit feministischer Draufsicht inszeniert. Für den dritten Akt hat Detlef Heusinger neue Musik komponiert.
28.01.2019, 21:41 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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So ist die Oper „Lulu“ am Theater Bremen
Von Iris Hetscher

Diese Lulu hat nicht vor, es irgendwem recht zu machen. Steht da inmitten des Spiegelkabinetts, hört zu, was die Männer über sie sagen. Angetan mit einem weißen Hausmantel, die Haare hochgesteckt. Die Männer dagegen sind ein gemeinsamer schwarzer Anzug, Haare gescheitelt, Schnurrbart im Gesicht. Und alle wollen sie ihre Lulu, oder besser gesagt, das Bild, das sie sich von ihr gemacht und gemalt haben und das mal Mignon, mal Eva, mal Nelly betitelt ist. Doch Lulu ist nicht greifbar – sie spielt zunächst mit diesem Bild, dann will sie es entsorgen. Und damit auch die Vorstellung davon, was männlich und was weiblich ist.

Regisseur Marco Štorman hat Alban Bergs Oper „Lulu“, entstanden nach den Dramen „Der Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ von Frank Wedekind, für das Theater am Goetheplatz inszeniert, und er hat sich für eine feministische Draufsicht und eine kühle-kühne Ästhetik entschieden. Das Schwarz-weiß in den Kostümen von Sara Schwartz steht für den Gegensatz männlich-weiblich; die Bühne (Frauke Löffel) ist ein Spiegelkabinett-Karussell, das Bilder vervielfältigt und sie gleich wieder obsolet werden lässt.

Das erweist sich als ebenso zwingendes wie superbes Konzept, um das Nummerngetümmel der Oper in den Griff zu bekommen. Der von Detlef Heusinger neu komponierte dritte Akt fügt sich nahtlos ein, doch dazu später. „Lulu“, 1937 in Zürich uraufgeführt, dreht sich um die gleichnamige Frauenfigur und die sie umschwirrenden Männer. Zunächst ist sie mit einem Medizinalrat verheiratet, dann mit einem Maler, schließlich mit Dr. Schön, der ihr seit Langem verfallen ist und den sie erschießt, um mit seinem Sohn Alwa zu fliehen.

Weitere Verehrer buhlen um sie, auch die lesbische Gräfin Geschwitz. Schließlich geht sie in London auf den Strich und begegnet Jack the Ripper. Das Grelle, Laute, Wüste dieser Geschichte war kürzlich ebenfalls im Theater Bremen zu erleben, bei Armin Petras‘ Produktion „Lulu - ein Rock-Vaudeville“.

Konstruktion und Dekonstruktion

Ein zirzensisches und somit groteskes Element der Überhöhung zieht sich auch durch die Inszenierung von Štorman. Schigolch (überzeugend sinister, auch stimmlich: Loren Lang), ein alter Bekannter Lulus, schleicht in Glitzerjacke und mit hohem Zylinder durch die Szenerie, dreht das Karussell mit seinem Gehilfen Aujust (Sami Similä aus dem Tanztheater-Ensemble), denn nichts ist fix, alles ist in Bewegung. Von den bürgerlichen Salons der Wedekindschen Dramen ist nichts übrig, Schigolch überwacht eine raum- und zeitlose Welt, in der es um Konstruktion und Dekonstruktion geht.

Die Königin hier ist Lulu und damit Marysol Schalit, die den Höchstleistungen, die ihre Rolle stimmlich erfordert, mit ihrem immer reifer werdenden Sopran überaus gerecht wird. An ihr arbeitet sich Dr. Schön (Claudio Otelli mit sattem, ausgefeilt präsentem Bassbariton) ab, er ist bestimmt von Begehren, Eifersucht und Angst.

Die anderen Rollen sind Fleisch gewordene Spiegelbilder seiner selbst. Stereotypen wie der Athlet, der Gymnasiast, der Maler, ja sogar die lesbische Gräfin projizieren ihre ­Sehnsüchte auf Lulu; ein Miteinander-Kommu­nizieren gibt es selten, man singt aneinander vorbei oder adressiert den Falschen. Lulu ist diejenige, die sich entwickelt: Sie tauscht den weißen Morgenrock gegen einen silbernen Catsuit und schließlich gegen schwarze Hose und Bluse. Sie agiert zunehmend selbstbewusst, vor allem, als das Spiegel-Kabinett nach dem Tod von Dr. Schön ­abgebaut wird.

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Štorman treibt das durchweg begeisternde Ensemble durch diese Tour de Force, die satte drei Stunden und 45 Minuten dauert (inkluse zwei Pausen von insgesamt 50 Minuten) und die eine Zumutung im positiven Sinn ist. Auch, weil man sich bei der auf Zwölfton-Reihen basierenden Musik von Alban Berg nie wirklich zurücklehnen kann. Sie ist trotz des Spätromantik- und Jazzband-Einflusses kein Ohrenschmaus, sondern bleibt ein hoch artifizielles Konstrukt, dessen thematische Zu- und Fortschreibungen über Akte hinweg die Bremer Philharmoniker unter dem straffen Zugriff von Hartmut Keil mit ausgeklügelter Dynamik und viel Präzision ausführen.

Philharmoniker bekommen Verstärkung

Detlef Heusinger schließt in seinem im Auftrag des Theaters Bremen neu komponierten dritten Akt daran an, entwickelt das Bergsche Konzept in einem angenehm ironisierenden und weniger strengen Ton weiter, ohne einen musikalischen Bruch zu Akt eins und zwei zu riskieren. Die Philharmoniker spielen in halbierter Besetzung und werden auf der Bühne durch das Ensemble Experimental mit Theremin (Carolina Eyck), E-Gitarre (Jürgen Ruck) und Synthesizer/Hammondorgel (Ernst Surberg) verstärkt. Heusinger mischt schräge Walzerklänge unter, auch mal veritable Kirmesmusik, zitiert Claude Debussy und Mahlersche Tragik, lässt teilweise breit aufspielen, als wär’s ein Filmmusiksoundtrack. Die Elektronik auf der Bühne setzt punktuelle Akzente und verstärkt Atmosphärisches wie das Bild vom Leben im Elend, das Lulu und ihre Entourage in London erdulden müssen.

Doch ist London wirklich das Ende? Lulu stirbt nicht, es ist Jack the Ripper, ein weiterer Wiedergänger von Dr. Schön, der sich hilflos am Boden windet. Lulu legt derweil den Finger an die Lippen: „Psst“. Und aller Hass scheint wie weggeblasen. Lang anhaltender Applaus für alle Beteiligten bei der Premiere.

Weitere Informationen

Die nächsten Termine: 29. Januar, 19 Uhr; 9., 15., 20., 28. Februar, 2. März 19 Uhr; 24. März, 15.30 Uhr; 7. April, 18 Uhr.

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