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„Drei Männer im Schnee“ im Gärtnerplatztheater: Großes Klang-Karo

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Die erste Ski-Stepp-Nummer der Musikgeschichte dürfte dies sein, zu der Toni Graswander (Peter Neustifter, 4.v.li.) seinen Anfängerkurs animiert.
Die erste Ski-Stepp-Nummer der Musikgeschichte dürfte dies sein, zu der Toni Graswander (Peter Neustifter, 4.v.li.) seinen Anfängerkurs animiert. © Foto: Christian Pogo Zach

Das Gärtnerplatztheater holt das nach, was Erich Kästner einst selbst versuchte: „Drei Männer im Schnee“ gibt‘s nun als Revueoperette. Die Premierenkritik der Retro-Sause.

München - Beim Hinabschreiten der Freitreppe, nach zweidreiviertel Stunden Theater, durchfluten einen Erleichterungswellen. Alles wie gehabt – (nicht nur) die Jugend starrt aufs Smartphone, gegenüber lockt das „Cotidiano“ weiter mit „Brunch & Lunch“, im Rondell kurven die SUVs: Die Gegenwart hat uns wieder. Schon immer gerierte sich ja Münchens Volksoper als Zeitkapsel gegen die Blitze der Moderne. Passend dazu schwankt diesmal auf der Bühne eine Seilbahngondel. Ein Faraday’scher Käfig, sicherer Hort gegen das Wintergewitter, während Sigrid Hauser als mannstolle Leander-Wiedergängerin Frau Calabré den armen Fritz Hagedorn in die Sitzbank-Ecke drängt, den Tango „Panorama der Sünde“ auf den Lippen.

So retro, so sympathisch staubig war’s am Gärtnerplatz schon lange nicht mehr. Das Haus hat ja auch viel richtig gemacht mit dieser Uraufführung. Erich Kästners „Drei Männer im Schnee“ funktionierten schon in zig Verfilmungen. Eine Version als Revueoperette erst jetzt? Der Blick in die Stoff-Annalen zeigt: Darauf ist noch keiner gekommen, nicht mal der Autor selbst, der mit der Singspiel-Fassung seines Erfolgsromans nicht weiterkam.

Die Version von 2019 ist Teamarbeit. Das sieht und hört sich so an, als hätten die Verantwortlichen einen Schwarz-Weiß-Film der Dreißiger- für die Fünfzigerjahre koloriert und aufgemotzt. Musikkabarettist Thomas Pigor und seine Mitstreiter Konrad Koselleck, Christoph Israel und Benedikt Eichhorn geben die Stil-Jongleure. Alles drin, von der aufjodelnden Klarinette im Vorspiel über den Walzer im grauen Moll, Ragtime, Swing, Ufa-Sound bis zur großen Personality-Nummer, wenn die wunderbare Sigrid Hauser (ja, wieder sie) über jazzig verbogenes Blech ihr „Ich pass’ mich an“ raunt. Instrumentiert und arrangiert ist das so augenzwinkernd, so frech, so fantasiereich, dass Dirigent Andreas Kowalewitz und das dauermuntere Orchester leichtes Spiel haben – Erwachsenen- und der stark geforderte Kinderchor inklusive.

Kunst des Ohrwurm-Imitats

„Eine gute Operette erkennt man daran, dass die Leute pfeifend und singend mit diesen Melodien rausgehen“: Koselleck hat im Vorfeld die Latte hoch gelegt. Tatsächlich gibt es Musikalisches, das sich festsetzt. Die Titelnummer, mehr hastiges, mit Pausen durchbrochenes Motiv denn Melodie. Dann die besagten Lieder von Frau Calabré. Oder das „Skifahr’n im Schnee“, zu dem der Graswander Toni seinen Anfängerkurs mit den Brettern steppen lässt. Ansonsten lugen alte Bekannte ums Eck. Pigor & Co. kennen ihre „My fair Lady“ oder das große Klang-Karo aus TV-Popanzen à la „Musik ist Trumpf“. Sie beherrschen die Kunst des angetäuschten Hits, des Ohrwurm-Imitats, dem man amüsiert zuhört, bevor es sich wieder verflüchtigt.

„Panorama der Sünde“: Frau Calabré (Sigrid Hauser) rückt Fritz (Armin Kahl) zu Leibe.
„Panorama der Sünde“: Frau Calabré (Sigrid Hauser) rückt Fritz (Armin Kahl) zu Leibe. © Foto: Christian Pogo Zach

Zweimal, in den zart-schrulligen „Alpentrios“, stoppt der Abend kurz vor dem frei flottierenden Unsinn. Und man ahnt: Die Beteiligten hätten sich mehr Anarcho-Humor und Bizarrerien gestatten dürfen. Ihren Kästner haben sie sich zurechtgezimmert. Statt einem Paar, nämlich Fritz (Armin Kahl als sonniger Springinsfeld) und Hilde (die feinherbe Julia Klotz), gibt es drei. Firmenboss Tobler, bei Erwin Windegger ganz aufgekratzt tänzelnder Gentleman, pflegt eine Liaison mit der Haushälterin, die Dagmar Hellberg als damenbassigen Mini-Drachen gibt. Und Kammerdiener Kesselhuth, bei Alexander Franzen ebenso alert-agil wie der Chef, erlebt im Grandhotel sein Outing mit Skilehrer Toni, der bei Peter Neustifter immer so welpenbrav wirkt, als wisse er selbst nicht, warum er in die Aufführung geraten ist.

Verzichtbare Nazi-Anspielungen

Überhaupt werden in starken Soli liebenswürdigste Charaktere erschaffen. Auch Eduard Wildner als Portier Polter profitiert davon, mit dessen „Es ist immer das Herz dabei“ der Abend Tritt fasst. Regisseur Josef E. Köpplinger schafft es (auch dank Choreograf Adam Cooper), einen Marathon im Sprint zu absolvieren. Alles flutscht, alles greift so fugenlos ineinander, als laufe die Aufführung seit Monaten – wodurch man gelegentlichen Leerlauf und die Überdosis Happy End verzeiht. Rainer Sinells wandelbare (Dreh-) Bühne, mal Weihnachtszauber bei Toblers, mal Hotelfoyer, mal Wintermärchen vor Wolkenstein-Massiv, tut dazu ihr Übriges.

Wem’s vor dem hemmungslosen Rücksturz ins vergangene Jahrhundert graust, ist fehl am Platz. Der Rest, die Standing Ovations beweisen es, wird bestens und hochprofessionell unterhalten. Das Aber: Einmal mischen sich Braunhemden ins Silvesterfest, das an der Jahreswende 1932/ 33 gefeiert wird, am Schluss „ziert“ Schneemann Kasimir eine Hakenkreuz-Fahne. Implantate, die Abstoßungsreaktionen provozieren. Kästner war mit seiner „Reich trifft Arm“-Komödie aufs soziale Experiment aus, nicht aufs Politische. Was eben so passiert, wenn am Gärtnerplatz der Blitz des Regietheaters einschlägt.

Die Handlung:
Der arbeitslose Fritz Hagedorn gewinnt das Preisausschreiben des Tobler-Konzerns: Urlaub im Grandhotel. Konzernchef Tobler erringt unter falschem Namen den zweiten Preis und reist auch dorthin: Er will erleben, wie man ihn als armen Schlucker behandelt. Diener Johann begleitet ihn als reicher Mann. Haushälterin Kunkel informiert das Hotel. Tobler und Hagedorn werden dort verwechselt. Hagedorn verliebt sich in Toblers Tochter Hilde. Alles löst sich in Wohlgefallen auf.

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