"Kiss me, Kate" begeistert in Darmstadt

Siebzig Jahre nach der Uraufführung hat sich der Blick auf "Kiss me, Kate" gewandelt. Erik Petersens Darmstädter Inszenierung zeigt, wie frisch das Musical noch wirken kann.

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DARMSTADT. Kurzer Blick auf den Spielplan. Nein, am 8. März wird "Kiss me, Kate" nicht gespielt. Dabei würde dieses Musical so gut zum Internationalen Frauentag passen. Ein Stück, in dem Männer gönnerhaft darüber diskutieren, wie man seine Ehefrau am besten züchtigt? Genau. Denn Erik Petersens Inszenierung am Darmstädter Staatstheater zeigt, wie sich der Blick auf diesen siebzig Jahre alten Klassiker gedreht hat.

Wir sehen Frauen, die männlicher Übergriffigkeit etwas entgegenzusetzen haben. Wenn Lilli Vanessi in der Theatertruppe ihres Ex-Mannes Fred mitspielt, setzt Barbara Obermeier außer gehörigem Charme eine dicke Portion Unbeugsamkeit ein. In der Emanzipations-Hymne "I hate Men" singt sie sich die Seele aus dem Leib, und der gezielte Körpereinsatz gegen den Ex schaut aus, als habe sie einen Kurs in Selbstverteidigung erfolgreich absolviert.

Noch deutlicher wird der gewandelte Blick auf die Geschlechterverhältnisse beim zweiten Rollenmodell, das "Kiss me, Kate" anbietet. Die umschwärmte Kollegin Louis Lane ist keine Schönheit von der Stange. Aber Beatrice Reece bringt mit Temperament, souliger Stimme und toller Körperbeherrschung in den Tanzszenen das pure Selbstbewusstsein auf die Bühne. Ihrem Freund Bill (Arvid Assarsson) bleibt nichts anderes übrig, als die speziellen Treueregeln dieser Frau zu akzeptieren. General Howell, der als Lillis Bräutigam spät auftaucht, militaristische Macho-Sprüche klopft und die ersten Seitensprünge nach der Hochzeit verabredet, wird von Georg Festl als Knallcharge karikiert. Bei Fred, dem Regisseur und Hauptdarsteller der Truppe, könnte die kraftvoll flüssige Stimme noch zum Charmeur alter Schule passen, aber Tobias Licht porträtiert einen Helden in der Männlichkeitskrise.

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Petersens Inszenierung arbeitet diese Charaktere sorgfältig heraus. Im Mittelpunkt aber steht die gute Unterhaltung, die dieses Spiel im Spiel bietet. Dafür haben Momme Hinrichs und Torgen Möller eine spektakuläre Kulisse auf die Drehbühne gebaut und mit raffinierten Projektionen ergänzt: Gestaffelte Portale gruppieren sich zum Zauberwürfel, der von allen Seiten andere Durch- und Einblicke ermöglicht. Zudem bleibt die Fläche frei für Tanz, Spiel und Bewegung. Denn was chaotisch ausschaut, ist an diesem Abend perfekt arrangiert. Die von David Todd einstudierten Chöre haben an diesem skurrilen Witz ebenso Anteil wie die zwischen Jeans und elisabethanischem Kragen schillernden Kostüme von Verena Polkowski. Auch das Tanzensemble leistet tolle Arbeit an den sehr einfallsreichen Choreografien von Sabine Arthold.

Das hat Tempo und die nötige Mischung aus Lockerheit und Präzision, mit der Tanzszene "Too Darn Hot" gelingt ein furioser Einstieg in die zweite Hälfte. Daran ist auch das Orchester beteiligt: Auch wenn die Klangregie manchmal dicker als nötig aufträgt, verwandelt sich das Staatsorchester unter der wendigen Leitung von Michael Nündel in eine Riesen-Band, die mal jazzig scharf auftrumpft, dann wieder schmeichelweiche Klangteppiche auslegt und keinen Takt daran zweifeln lässt, dass es die großartige Musik ist, die den Erfolg dieses Stückes trägt.

So werden fast dreieinhalb Stunden nicht lang. Zumal Petersens Regie noch kleine Geschichten am Wegrand findet - Oedo Kuipers zum Beispiel spielt den liebenswerten Sonderling, dessen Sehnsucht offenkundig dem Theaterdirektor gilt. Andreas Wellano baut die Figur des zahnschmerzgeplagten Schauspielers Harry Trevor zur komischen Nummer aus, die Garderobenkräfte Hattie (Ellen Wawrzyniak) und Paul (Daniel Dodd-Ellis) sind sympathische Typen.

Die beiden Ganoven eigentlich auch, die von Fred Schulden eintreiben wollen und sich auf der Bühne wiederfinden - Michael Pegher und David Pichlmaier haben selbst Spaß an diesem Quereinstieg in die Theaterbegeisterung, die an diesem Abend auch das Publikum ansteckt: Die Premiere wurde mit großem Beifall und vielen Bravos gefeiert. Am Ende singt Lilli dann doch die Arie von der Unterwerfung der Frau. Dann gibt es einen Augenblick peinlicher Stille, bis Fred sagt: "Was für ein bescheuerter Text!" Und das ganze Theater stimmt ihm aus vollem Herzen zu.