Am Theater Basel tritt der Tod in den Streik

Viktor Ullmann hat zahlreiche seiner Kompositionen im Konzentrationslager Theresienstadt geschaffen. Die Oper «Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung» war ein Akt des geistigen Widerstands – jetzt ist das Stück in einer hinreissenden Aufführung in Basel zu sehen.

Martina Wohlthat, Basel
Drucken
Die Regisseurin Katrin Hammerl zeigt einen Totentanz von zeitloser Poesie – wo man Düsteres erwartet, erstrahlt alles in makellosem Weiss. (Bild: Priska Ketterer)

Die Regisseurin Katrin Hammerl zeigt einen Totentanz von zeitloser Poesie – wo man Düsteres erwartet, erstrahlt alles in makellosem Weiss. (Bild: Priska Ketterer)

Man spricht wieder von der Geschichtsvergessenheit und davon, dass das Wissen um den Holocaust verloren zu gehen droht. Und dann dies: Ein packender Opernabend mit jungen Interpretinnen und Interpreten unterstreicht am Theater Basel die herausragende Qualität von Viktor Ullmanns 1943/44 im Konzentrationslager Theresienstadt komponierter Oper «Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung».

Die Werke des 1944 in Auschwitz ermordeten österreichischen Komponisten sind in den letzten Jahrzehnten ins öffentliche Bewusstsein zurückgekehrt. Ullmanns Leben war eine Odyssee: Von 1929 bis 1931 wirkte der Schönberg-Schüler als Kapellmeister am Zürcher Schauspielhaus. Später übernahm er eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart. Der Konkurs des Unternehmens und die politische Lage in Deutschland zwangen ihn, nach Prag zurückzukehren. Von dort wurde er wie viele jüdische Künstler ins Lager-Ghetto Theresienstadt deportiert – ein Schicksal, das er unter schwierigsten Bedingungen mit kultureller Überlebensarbeit, über zwanzig Kompositionen und dem Essay «Goethe und Ghetto» beantwortete.

Vor seiner Deportation nach Auschwitz übergab Ullmann seine Werke der Bibliothek in Theresienstadt, in der sie bis Kriegsende blieben. Seit 2002 werden die Manuskripte in der Paul-Sacher-Stiftung in Basel aufbewahrt, wo nun eine Faksimileausgabe des «Kaisers von Atlantis» vorbereitet wird, die dessen künstlerischem Rang Rechnung tragen soll.

Eine Parabel

Als Manifestation des geistigen Widerstands trägt die Oper die «Tod-Verweigerung» im Titel. Im Stück lehnt der Tod (Andrew Murphy) es ab, bei dem vom Kaiser befohlenen «Krieg aller gegen alle» mitzumachen. Er will erst zurückkehren, wenn der Autokrat bereit ist, als Erster den neuen Tod zu sterben. Dass ausgerechnet der Tod die Diktatur aus den Angeln hebt, ist ein utopischer Gedanke. Auf der Bühne verkörpert der Tod die Figur des Spielmachers.

Das Theater Basel siedelt das von Mitgliedern des Opernstudios OperAvenir mitreissend aufgeführte Stück in der Weite des Foyers an. Ein Kunstgriff, der die Musik zu erstaunlicher räumlicher Entfaltung bringt, den Fokus im Szenischen jedoch mitunter erschwert. Die Inszenierung der österreichischen Regisseurin Katrin Hammerl betont den Charakter der Parabel. Eine wandernde Theatertruppe tritt auf, ein Totentanz von zeitloser Poesie entsteht. Wo man Düsteres erwartet, erstrahlt alles im makellosen Weiss der Kostüme. Unter den militärisch geschnittenen Jacken blitzen skelettartige Strukturen hervor.

Tiefsinnige Worte werden mit Galgenhumor serviert. Das Libretto verfasste Ullmanns Mithäftling, der Dichter und Zeichner Peter Kien. Als Harlekin ist der mit vokalem Schmelz begabte Tenor Hyunjai Marco Lee ein geistiger Verwandter von Schönbergs «Pierrot lunaire». Dies vermittelt die Inszenierung mit einer spielerischen Schwerelosigkeit, die in diesem Kontext jedoch anrührender wirkt als jede dramatische Zuspitzung.

Ungewöhnliches Lehrstück

Der Dirigent Stephen Delaney arbeitet mit dem präzise aufspielenden Instrumental-Ensemble der Hochschule für Musik Basel klangliche Transparenz und Kontraste heraus. Die Musik erzählt von der Liebe über Granattrichtern, bewegt sich kühn zwischen Songs im Stil von Kurt Weill und expressiver Liedkunst. Gespenstisch wird es, wenn der Wahnsinn des Kaisers (Domen Križaj) von den swingenden Klängen einer Jazz-Band untermalt wird. Eindrücklich zeigt sich Ullmanns universaler Geist im Finale, das auf den Luther-Choral «Ein feste Burg» einen Kanon mit den Worten «Lehr uns Lebens Lust und Not» folgen lässt. Ein ungewöhnliches Lehrstück fürwahr.

Mehr von Martina Wohlthat (woh)