Nach einigen Saisonen ohne Gaetano Donizettis Lucia di Lammermoor widmet die Wiener Staatsoper diesem Belcanto-Meisterwerk nun eine Neuproduktion. Die Besetzung wartet mit berühmten Namen auf und auch die illustre Wiener Prominenz pilgerte zum Premierenabend ins Haus am Ring. Zu erleben gab es letztlich aber keine wirkliche Sensation; an vorderster Front muss diese Tatsache dem Regieteam angelastet werden.

Die Inszenierung von Laurent Pelly ist, bezogen auf den Stil der Neuproduktionen, nämlich charakteristisch für die Direktions-Ära Meyer: weder traditionell noch modern, verärgert dabei zwar niemanden, ist aber auch ziemlich nichtssagend. Schneehügel, durchsichtige Paravent-Elemente und in der Wahnsinnsszene dann ein roter Teppich und Stühle auf der Bühne. Zwischendurch schneit es und die Sänger stehen entweder verloren im Schnee, meist aber an der Rampe, herum und hin und wieder sinkt jemand am Bühnenportal zusammen. Olga Peretyatko muss von Anfang an als psychisches Wrack durch die Gegend torkeln, was sie immerhin sehr glaubhaft machte. George Petean und Juan Diego Flórez, beide nicht die begnadetsten Schauspieler, strecken bevorzugt ihre Arme in alle nur denkbaren Richtungen und noch lieber ihre Brust nach vorne, wenn es darum ging, Spitzentöne zu schmettern. Flórez stand dabei außerdem meist so breitbeinig da, wie Cristiano Ronaldo vor einem Elfmeter, was zumindest in meinem Kopf immer wieder für unfreiwillig komische Momente in der ansonsten tragischen Geschichte sorgte. Die Chemie zwischen allen Beteiligten wirkte ziemlich unterkühlt, Emotionen oder gar Feuer flackerten nie auf. Im Duett im ersten Akt etwa sang Flórez permanent in Richtung Publikum und Maestro, warf nur zwischendurch einen Blick zu Peretyatko. Ähnlich lauwarm gerät die Konfrontation zwischen Lucia und Enrico im zweiten Akt, die sowohl darstellerisch als auch stimmlich mehr an eine halbherzige Erörterung der Frage “rotes oder blaues Spülschwämmchen?” erinnert, als an ein brutales Ausspielen brüderlicher Macht. Und auch zwischen Enrico und Edgardo fliegen in keinerlei Hinsicht die Fetzen; eine Familienfehde stelle zumindest ich mir definitiv anders vor. Für das fehlende schauspielerische Feuer kann man wohl auch den Regisseur verantwortlich machen, für die musikalische Farblosigkeit hingegen nur die Sänger.

Olga Peretyatko gab eine großteils sehr ordentliche Lucia; die Stimme sprach in allen Lagen gut an, die Höhen – bis auf einige flackernde Ausnahmen – saßen. Triller und atemberaubende Koloraturen sind ihre Sache aber hörbar nicht (mehr), dafür gelangen die lyrischen Passagen und Legato-Bögen, in denen ihre Stimme fließen kann, umso schöner. Leider blieb Peretyatko aber konstant einen Tick zu brav. Diese Lucia sang zwar vom Wahnsinn, blieb dabei aber stets so kontrolliert und korrekt wie das Klischee eines Buchhalters. Kurzum: Die Figur wirkte durch die fehlenden Emotionen leblos, man fühlte nie mit ihr mit und die Wahnsinnsarie geriet völlig frei von Ekstase, zog dadurch so gar nicht in ihren Bann, sondern plätscherte lediglich nett dahin. Die eigens geschaffene, an die von Donizetti komponierte Ur-Version angelehnte Kadenz wurde übrigens ohne Begleitung der Glasharmonika gesungen; eine Entscheidung, die Evelino Pidò mit dem Komponistenwillen begründet und mit der man sich durchaus anfreunden konnte. Warum Peretyatko aber das finale hohe Es ausließ (oder aus Gründen der gewünschten Werktreue auslassen musste?), ist mir unverständlich; beraubte diese Entscheidung die Wahnsinnsarie doch jeglichen Effekts. Ein risikoloses Ende für eine solide Rollengestaltung ohne größere Wow-Momente.

Genügend glänzende Höhen für Zwei lieferte andererseits Juan Diego Flórez. Diese waren und sind schlicht und einfach seine Stärke, die Leichtigkeit, mit der er sie hinausschmettert ist faszinierend und das, was man dazwischen zu hören bekommt, muss sich auch nicht verstecken. Schön gesponnene Klangfäden und ein karamelliger Schmelz machen diese Stimme zu einem wahren Vergnügen. Problematisch sind allerdings das fehlende Volumen, passagenweise lief Flórez Gefahr, im Orchester unterzugehen, und mangelnde Kraft für lyrische Bögen. So war sein Edgardo weniger strahlender Held als schmachtend Leidender und blieb als Charakter auch relativ blass. George Peteans Enrico ereilte ein ähnliches Schicksal; die Figur erschien schablonenhaft und leider war es auch stimmlich nicht zu hundert Prozent sein Abend. Passagenweise etwas spröde klang die Stimme und mir schien es, als würde diese Rolle ihm nicht richtig in der Kehle liegen wollen. Hingegen lieferte Jongmin Park mit seinem profund strömenden, ebenholzschwarzen Bass eine ausgezeichnete Leistung als Raimondo. Schade, dass die Rolle nicht mehr hergibt. Der Chor und die kleinen Rollen machten ihre Sache gut, Profil verleihen konnten sie der Inszenierung jedoch auch nicht.

Evelino Pidò mühte sich im Orchestergraben um Donizetti-Authentizität, Verve und Italianità. So motivierte der Maestro das Staatsopernorchester – das mit Donizetti traditionell nicht die große Liebe verbindet – erfolgreich zu facettenreichem, differenziertem Klang, dem ein Hauch mehr Leichtfüßigkeit gut gestanden hätte. Besonders die Hörner und die Celli waren mit ihrem typisch warm-plüschigen Wiener Klang aber ein wahrer Ohrenschmaus! Und so war es, alles in allem, keine schlechte Vorstellung; wenn auch nur eine solide Premiere, kein Wahnsinns-Abend.

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