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Fausts Verdammnis
(La Damnation de Faust)

Légende-dramatique in vier Teilen (1846)
Text von Hector Berlioz und Almire Gandonnière
nach Johann Wolfgang von Goethes Faust I in der Übersetzung von Gérard de Nerval
Musik von Hector Berlioz

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, 50 Minuten (1 Pause)

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 16. Februar 2019 in der Staatsoper Hannover

 

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Staatsoper Hannover
 (Homepage)

Höllenfahrt im Büro


Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg


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Eric Laporte, Bewegungschor, Chor

Nur wenige Stoffe der Weltliteratur sind so häufig verarbeitet, bearbeitet, vertont, bildnerisch gestaltet, dramatisiert und persifliert worden wie der des Doktor Faustus. Hector Berlioz hält sich mit seinem Mit-Librettisten Almire Gandonnière für seine Faust-Oper in französischer Sprache La Damnation de Faust (Fausts Verdammnis) an die berühmteste Fassung: Goethes Faust I, überträgt Textpassagen für kurze Momente recht genau (z. B. Fausts Selbsttötungsversuch im Studierzimmer), verwendet Liedertexte im (übersetzten) Original, geht aber mit dem Handlungsablauf sehr frei um. Den Pakt setzt er beispielweise ans Ende und lässt Faust die eigene Seele gegen Gretchens Rettung vor dem Tode wegen Vergiftung der Mutter tauschen (von Schwangerschaft ist hier übrigens nicht die Rede). Aber es ist vergeblich, denn ihr Todesurteil wurde schon vollstreckt. So fährt Faust tatsächlich zur Hölle und Marguerite zieht in den Himmel ein. Faust wird als ein verträumter Mädchenschänder und heimlicher Mordgehilfe seiner höllischen Strafe zugeführt. Und da wir hier im Musiktheater sind, fügt Berlioz auch gleich noch viel gut zu komponierendes und musikalisch effektvolles Brimborium hinzu - vom Chor der Sylphen und Gnomen bis zum zackigen Soldatenchor im Wettstreit mit einem Studentenlied, vom Menuett und Chor der Irrlichter bis zum warnenden Gesang der Nachbarn, dem hämischen Chor der Teufel bei Fausts Höllenfahrt usw. und reiht Szene an Szene, die nicht wirklich ein geistiges Band verbindet. Nicht zuletzt dadurch wirkt das Werk auch eher wie eine Mischform aus Oratorium und Oper.

Das macht die szenische Realisation dieses Werkes nicht gerade einfach. In Hannover hat sich die Regisseurin Marie-Eve Signeyrole mit dem Bühnenbildner Fabien Teigné und der Kostümbildnerin Yashi dieser Herausforderung gestellt. Im Vorfeld war zu lesen, dass gerade dieses Werk geeignet sei, „die vermeintlichen Grenzen auch heutiger szenischer Mittel immer wieder zu überschreiten“. Die Legitimation dazu findet sich in Goethes Original, im Vorspiel auf dem Theater: „Ihr wisst auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder was er mag; Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen.“. Na dann!


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                        FensterEric Laporte, Shavleg Armasi

Faust ist Chef eines großen Unternehmens, Méphistophélès, sein Alter Ego, die andere, dunkle Seite seines Charakters. Alle anderen Figuren sind Fausts Angestellte, Marguerite seine Sekretärin oder eine sonstige enge Mitarbeiterin. Dem Chef geht es nicht gut. Ob es nun ein Burnout-Syndrom ist, einfache Langeweile oder der Drang der Spaßgesellschaft, immer einen neuen intensiveren Kick zu finden, bleibt unklar. Auf jeden Fall überschreitet er seine Grenzen mit Hilfe seines zweiten Ichs und begibt sich auf unsicheren, gefährlichen Boden. Die ganze Geschichte spielt sich in seinem Büro ab, indem neben Büromöbeln auch eine große breite Vitrine steht, die einen Faun-Kopfschmuck enthält, den Faust immer wieder sehnsüchtig betrachtet. Ein Traum, eine Vision? Im zweiten Teil ist sein Büro von Pflanzen überwuchert: Die Natur bricht in die Geschäftswelt ein – „Natur, du mächt'ge, ew'ge und allgewaltige, Die einzig du gewährest Rast meinem steten Schmerz“ singt Faust. Der Méphistophélès in ihm ist es, der die Naturgeister beschwört. Auch, wenn die Natur als Begriff für uns heute positiv belegt ist, so zeigt sie sich hier als Fausts sexuelle Urtriebe, die ihn ins Verderben katapultieren. Gretchens Mutter stirbt nicht am (von  Méphistophélès heimtückisch vergifteten) Schlaftrunk sondern wird hier von Faust im Rausch erschossen. Kein Wunder, denn sie kommt in unheimlicher, spinnenähnlicher Gestalt auf die Bühne und ist eigentlich Fausts Mutte, die als szenisches Leitmotiv immer wieder auftauscht und im Programmheft „Mutter Oppenheim“ genannt wird. An sie hat er nur böse Erinnerungen, mal als Klavier spielende kalte Frauengestalt im 50er-Jahre-Look, mal als Lehrerin mit Schlag-Lineal. Ferner tritt sie als Bürovorsteherin und auch mal ganz nackt auf, stellvertretend für Marguerite. Freud und Ödipus lassen grüßen. Vom Selbstmord wird er nicht durch den „kindlichen“ Glauben abgehalten, sondern durch schlimme Erinnerungen an seine Kindheit – aber wieso halten sie ihn davon ab und bringen ihn nicht noch entschlossener dazu?  Für den Mord an ihrer Mutter – die Mordwaffe hält sie und nicht Faust in der Hand, als die Polizei eintrifftmuss Marguerite zu einem Polizeiverhör auf die Wache, wo sie die Berlioz-Fassung des „Meine Ruh‘ ist hin…“ singt.  

Das alles wird durch Videoprojektionen, Video-Liveübertragungen, aktive Hubpodien, von denen auch mal ein Mann hinunterpinkelt, viel Bühnennebel und noch mehr vom Himmel fallender Akten- oder Blütenblätter ergänzt, so dass die Bühne schön vollgemüllt wird. Das ist ja sehr beliebt, wird immer wieder gern genommen… Eine wilde After-Work-Party, bei der zwei Praktikanten, die als Aktenverwalter agieren, böse Gewalt angetan wird, ist nur die Vorstufe zu einer später gerade eben noch von Faust verhinderten Massenvergewaltigung Marguerites. Faust saugt aus Méphistophélès Handgelenk Blut und beißt Marguerite vampirartig in den Hals.  Unternehmensberater-Sprüche, Motivations-Slogans und Durchhalte- bzw. Verbesserungsparolen in der „Faust Company“ führen uns die heutige Geschäftswelt vor. Und so weiter und so weiter und so fort und so fort. Am Ende sitzt Faust wieder an seinem Schreibtisch – aber diesmal in seiner Erscheinungsform als Méphistophélès, der nach dem offiziellen musikalischen Schluss der Oper noch ein Lied mit Klavierbegleitung zum Besten gibt: Schumanns „Hör ich das Liedchen klingen…“ aus der Dichterliebe.


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                    folgtShavleg Armasi, Chor 

Die Übertragung des Faust-Dramas auf einen gestressten Managertypen, der an seinem Job verzweifelt, mehr in seinem Leben erleben will und dazu sein anderes Ich alias den Teufel aktiviert, ist ein wohlbekannter Interpretationsansatz, dessen Umsetzung bei dieser doch sehr schwülstigen und effektorientierten Oper auch bei konsequenter Anwendung fragwürdig wäre. Das Regieteam in Hannover verliert sich in diversen bedeutsam sein wollenden Ideen, die dem Stoff gewaltsam aufgezwungen werden, mit dem Text nur selten übereinstimmen und den Eindruck eines fade gewürzten Regietheater-Eintopfs machen. Da kann auch ein attraktiver Faun, eine tote Amsel als visuelles Leitmotiv und die Verdreifachung der Faust-Figur als erwachsener Mann, Kind und Méphistophélès – alle drei in blauen Anzügen und mit roten Haaren – nichts ändern. Die ausgefeilten Choreographien des Bewegungschors zu den Orchesterstücken verleihen dem Mischwerk auch noch Revue-Anteile und wären für sich genommen als Gruppengymnastik im Büro, als Dienstbesprechung und dergleichen recht nett anzusehen, bringen uns aber in der Faust-Frage nicht weiter und hinterlassen zuweilen als unbedingter Versuch irgendetwas zu machen ein Gefühl des Fremdschämens, das einem an diesem Abend nicht unbekannt bleibt.
 
1846 in der Pariser Opéra comique uraufgeführt bewegt sich die Musik in romantischen Gefilden mit grandiosen Klanggewalten und pathetischer Emotionalisierung nebst einem Hauch französischen Klangparfums. Da greift auch Hannovers GMD Ivan Repušić in die Vollen und lässt die Musik, nach einem etwas verhaltenem Beginn, schwelgen und blühen. Das Orchester ist bestens disponiert, ebenso die wohleinstudierten Chöre, die ihre große und herausfordernde Aufgabe mit Bravour bewältigen. Beeindruckend und beängstigend dröhnt die „Amen“-Fuge durch den Saal.
Eric Laporte singt einen wunderbaren Faust, mit gleichmäßig durchgeformtem, angenehm timbriertem, seidig schimmerndem, warmem Tenor. Marguerite ist als altjüngferliche Sekretärin gezeichnet, was nicht die angenehmste Voraussetzung für die sängerische Gestaltung der Partie ist. Monika Walerowicz gelingt dennoch eine sehr intensive Interpretation. Shavleg Armasi singt den Méphistophélès sehr kultiviert mit vollstimmigem Wohlklang, Daniel Eggert den Brander mit markantem Bass.


FAZIT

„Ihr wisst auf unsern deutschen Bühnen probiert ein jeder was er mag…“. Das hat sich seit Goethes Zeiten nicht geändert und nicht immer kommt eine überzeugende Regiearbeit dabei heraus. Musikalisch aber eine gelungene Produktion mit beeindruckenden sängerischen Leistungen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung    
Ivan Repušić

Inszenierung und Videokonzept    
Marie-Eve Signeyrole

Bühne    
Fabien Teigné

Kostüme    
Yashi

Choreographie    
Julie Compans


Licht    
Sascha Zauner

Videorealisation    
Marie-Eve Signeyrole
Baptiste Klein

Choreinstudierung    
Lorenzo Da Rio

Leitung Kinderchor    
Heide Müller

Dramaturgie    
Klaus Angermann
Simon Hatab



Chor Extrachor und Kinderchor der
Staatsoper Hannover

Bewegungschor

Niedersächsisches Staatsorchester Hannover


Solisten

Faust
Eric Laporte

Marguerite
Monika Walerowicz

Méphistophélès
Shavleg Armasi

Brander
Daniel Eggert

Mutter Oppenheim
Kerstin Schweers

Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Staatsoper Hannover
(Homepage)





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