Vergiftete Liebe: die Geschwister Annabella (Lavinia Dames) und Giovanni (Jussi Myllys)

Love and crime

Anno Schreier: Schade, dass sie eine Hure war

Theater:Deutsche Oper am Rhein, Premiere:16.02.2019 (UA)Vorlage:Schade, dass sie eine Hure warAutor(in) der Vorlage:John FordRegie:David HermannMusikalische Leitung:Lukas Beikircher

Als bunt bebilderten Streifzug durch 400 Jahre Opern- und Theatergeschichte präsentierten Regisseur David Hermann und sein Bühnenbildner Jo Schramm am Samstagabend die Uraufführung von Anno Schreiers Oper „Schade, dass sie eine Hure war“ in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Nach der elisabethanischen Dramenvorlage von John Ford aus dem Jahr 1633 verfasste Kerstin Maria Pöhler, selbst Opernregisseurin, ein knappes, bisweilen sogar derbes Libretto, das den Geist der Shakespeare-Zeit stimmig in die Moderne übersetzt.

Im Mittelpunkt steht das Geschwisterpaar Annabella (Lavinia Dames) und Giovanni (Jussi Myllys) in Parma. Dass ihre inzestuöse Liebe nicht gut ausgehen kann, macht bereits die Lokalisierung auf einem Balkon rund um einen roten Giftpilz klar. Und Annabella soll jetzt heiraten, so will es ihr Vater Florio (Günes Gürle). Doch Annabella ist eine Widerspenstige; erst nachdem sie von Giovanni schwanger ist, willigt sie in die Heirat mit dem adligen Lebemann Soranzo (Richard Šveda) ein. Aber der kommt schnell hinter ihr Geheimnis. Annabella entzieht sich ihm durch eine Todeshochzeit mit ihrem Bruder, nach gegenseitigem Ritzen tötet er sie, dann Soranzo und sich selbst. Love and crime mit allen Zutaten einer Schauergeschichte.

Doch bis das passiert, gibt es eine Menge zu hören und zu sehen in der Deutschen Oper. Anno Schreier und Kerstin Maria Pöhler legen ihre Oper nicht als stringent erzähltes Psychodrama an, das bunt zersplitterte Kaleidoskop der Bilder ist genauso fragmentarisch und zitiert viele Stile wie die Musik – eine Vielfalt, die an die Filmsprache von Quentin Tarantino erinnert. Absurd und aberwitzig muten diese Bilder manchmal an, Komik schlägt unmittelbar in Tragik um, hin und wieder blitzen Anspielungen an Dada durch: Die Bühne zeigt simultan Fantasiebilder wie den Giftpilz, Renaissanceszenerien wie die Verbrennung von Soranzos abservierter Geliebter Hippolita (Sarah Ferede) als Hexe und ein modernes, kühles, schwarz-weiß gehaltenes Ambiente. Genauso bunt sind auch die Kostüme von Michaela Barth – vom römischen Mantel-und-Degen Ritter Grimaldi (Sergej Khomov) über den Rokoko-Galan Bergetto (Florian Simson) bis zu dem modernen Anzugträger Soranzo.

Zersplittert wie die Szenerie sind auch die Identitäten der Charaktere. Ihre Zerrissenheit reflektiert die Stilvielfalt der Musik, ein kompositorisches Markenzeichen Anno Schreiers, das er souverän und virtuos handhabt. Komische Elemente bringt ein fahrender Arzt mit seiner koloratursingenden Tochter im Stil Rossinis ein, die tristaneske romantische Todessehnsucht des Geschwisterpaars mündet in flächig gegeneinander bewegte Cluster. Dass bei diesem Stilmix die Übergänge reibungslos funktionieren und nichts verwischt, ist das Verdienst der sehr spielfreudig und präzise musizierenden Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Lukas Beikircher.

Und in all diesem Wirbel, unterhaltsam und verstörend zugleich, ist klar: Dieses Parma ist immer und überall.