Oldenburg - Probleme mit E-Mobilität? Gibt es in Oldenburg nicht. Das Staatstheater zeigt sich auf einem fast futuristischen Stand elektrischer Antriebstechnik. Im Orchestergraben ist ein riesiger Akku platziert: 34 Musikerinnen und Musiker des Staatsorchesters. Die setzen das Große Haus unter Hochspannung, mit Schaltpause zweieinhalb Stunden lang. Das treibt Jean-Philippe Rameaus Oper „Les Paladins“ auf höchste Höhen. Und nie tun sich so weit oben Sauerstofflöcher auf.

Ja, die Oldenburger spielen seit Jahren in der Barockoper-Championsliga. Händel? Hat hier immer Heimspiel. Hasse? Toller Auftritt mit Siroe. Rameau? War auch mal hier – aber nicht so einer wie jetzt. „Les Paladins“ ist sein Alterswerk, fast auf den Tag genau vor 259 Jahren uraufgeführt. Die Franzosen konnten damals nicht viel mit dieser Melange aus Opéra buffa, ausuferndem Ballett, gezierter Künstlichkeit, vulgären Possen, tiefer Empfindung und Comédie lyrique anfangen. Die Oldenburger dafür umso mehr. Das feiern sie dann auch gebührend.

Am Trafot einer der besten Barockdirigenten: Alexis Kossenko. Der ist in seinem anfeuernden Dirigat schon ein Kunstwerk für sich. Er zeigt eindrucksvoll auf, dass Rameau kein französischer Händel-Verschnitt ist. Eher weist er in der emotionalen Direktheit, in der auskomponierten und strikt verbundenen Kleinteiligkeit auf Wagner voraus. Kossenko entfacht tosende Stürme, spornt zu Zirpen und Tirilieren an. Aber er lässt der Musik ihre Andacht.

Der Dirigent ist zusammen mit Regisseur Francois de Carpentries und Bühnen- und Kostümbildnerin Karine Van Hercke einer der vorrangigen Vertreter des Centre de Musique Baroque aus Versailles. „Les Paladins“ sind in Koproduktion entstanden. Trefflich passt sich da die Choreografie des Oldenburger Franzosen Antoine Jully ein.

Die Handlung? Der Rheinländer sagt: Et kütt wie et kütt, es kommt wie es kommt. Und wenn es nicht kütt, ist es auch nicht schlimm. Ein Paladin soll im Grundzustand ein mit besonderer Würde ausgestatteter Adliger sein. Da liegen die Handelnden in dieser Geschichte ziemlich daneben. Der alterswackelige Vormund Anselme will sein Mündel Argie heiraten. Das verhindert nach Hilfeleistungen des Zauberers Manto der fesche Lover Atis. Und die kesse Nérine angelt sich den etwas tumben Bewacher Orcan. Die Figuren sind Abziehbilder. Ein reines Luftloch, diese Handlung.

De Carpentries hat darum eine raffiniert simple Inszenierung gebastelt. Mit Metaphern arbeitet er kaum, außer mit den abschirmenden Burgmauern und einem goldenen Käfig. Genau das aber führt in die Faszination. Auf die üppige und dichte Musik packt das Bühnengeschehen keinen Ballast. Alles wirkt verwoben. Und wenn Kostüme pompös ausfallen, dann unterstreichen sie die parodistische Linie. 1760, da traute sich Rameau allerhand Sticheleien gegen die Hierarchien.

Auf der Bühne tobt das Leben: beim Gesangsensemble und seinen Pantomimen, beim wuseligen Chor und beim faszinierenden Ballett. Martyna Cymerman (Argie) und Sooyeon Lee (Nérine) gelingen auch gegen die Rolleneinfalt persönliche Charakterisierungen. Philipp Kapeller (Atis/Manto), Stephen Foster (Orcan) und Ill-Hoon Choung (Anselme) führen Stimmen mit Brillanz, Schneid und sogar ohne Floskeln ins Feld.

Und vor allem das Ballett! Die überzeugenden 13 Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie wirbeln, rotieren und verschrauben sich intensiv im Gleichschritt mit der Musik. Pantomime und Tanz gehen nahtlos ineinander über. Höfisches Schreiten löst sich in Akrobatik auf. Kissenschlachten schaffen überraschende Elemente. Feste Regeln zerbrechen. Mal ehrlich: Die Compagnie muss doch versteckt noch einen eigenen Akku angezapft haben.