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Three Tales. Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich. Foto: Lutz Edelhoff
Three Tales. Video-Oper von Beryl Korot und Steve Reich. Foto: Lutz Edelhoff
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Video-Oper „Three Tales“ von Beryl Korot und Steve Reich am Theater Erfurt

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Was haben die Explosion des Riesenluftschiffes „Hindenburg“, die Atombombenversuche der Amerikaner über dem Bikini-Atoll und das Klon-Schaf Dolly gemeinsam? Alles Menschenwerk – könnte man ganz im Allgemeinen antworten. Konkret bilden sie den Gegenstand von drei Akten einer Video-Oper. Der Guru der Minimal Music, Steve Reich (82), und seine Frau, die Videokünstlerin Beryl Korot nennen ihr 65-minütiges Auftragswerk der Wiener Festwochen „Three Tales“ (Drei Geschichten) von 2002 so.

Und das ganz unabhängig von der heute fast schon zur ästhetischen Norm oder zumindest zu einem Marker für den Grad von „Modernität“ avancierten, mehr oder weniger exzessiven Verwendung von Videos in fast jeder Inszenierung. Die Genrebezeichnung ist hier keineswegs ironisch, sondern ganz sachlich ernst gemeint. Das Video fungiert nicht als Ergänzung (oder Konkurrenz) von Bühne, Kostümen und Personenregie. Es ist die alleinige darstellerische Hauptsache. Das Orchester spielt, wie in der herkömmlichen Oper, live. Nicht ganz so: die Sänger. Auch die sind live dabei, aber hinter ihren Notenpulten. Einen Regisseur braucht es in dem Fall nicht.

Es hat einigen Witz, dass die Form, in der diese Oper realisiert wird, ihren Inhalt reflektiert und ironisch bricht. Der Dirigent hat einen Knopf im Ohr, der ihn als Mensch sozusagen technisch erweitert. Die erforderliche Synchronität von Ton- und Bildsequenzen halten ihn damit zur Abwechslung mal an der kurzen Leine. In der mit deutschen Übertiteln komplettierten Filmspur wird genau diese Thematik unter verschiedenen Aspekten verhandelt. 

Wenn der Mensch über sich hinauswächst

In allen drei Episoden geht es um die Gefahren, die damit verbunden sind, wenn der Mensch über sich hinauswächst. Wie der Zauberlehrling bei Goethe, der etwas in Gang und alles unter Wasser setzt. Und der das Kommando, das die Katastrophe stoppt, allein nicht kennt. Die Explosion der Hindenburg bei der Landung in New Jersey, die zufällig (wirklich zufällig – so wie die Flugzeuge, die ins World Trade Center flogen?) gefilmt wurde, machte die Katastrophe zu einem Symbol, dass die Entwicklung dieser Art der Luftschifffahrt tatsächlich beendete, aber den Flugzeugen die mögliche Konkurrenz vom Leibe schaffte. Es beginnt mit dem Ende, den Bildern des ausbrennenden Luftschiffes. Bei den Sequenzen, die den Bau des Gerätes mit einem Raumvolumen im Ausmaß der Titanic zeigen, macht Reich mit dem variierenden Zitieren der Nibelungenhämmer aus dem „Rheingold“ ausgerechnet Richard Wagner gleichsam auch noch zum Stammvater der Minimal-Music. Nimmt man die Hakenkreuze auf dem Zeppelin über den Wolkenkratzern von Manhattan ebenso metaphorisch wie die Explosion selbst, dann gewinnen diese diabolischen Bilder, aus der Rückschau betrachtet, eine geradezu prophetische Dimension.

Bildergedächtnis der Menschheit

Der Atompilz, der kindliche Leichtsinn seiner uniformierten Beobachter und die apokalyptische Wirkung seiner Ausbreitungswellen am Erdboden haben sich längst in das Bildergedächtnis der Menschheit eingebrannt. Man muss ihn gar nicht mehr selbst zeigen. In der mittleren Episode wird denn auch der Zynismus in Wort und Bild thematisiert, mit dem die Atoll-Bewohner umgesiedelt wurden. Wenn dann die Schafe und Schweine verladen werden, an denen die Wirkung der Bombe auf Fleisch „gemessen“ werden soll, gewinnt die Bildercollage Arche-Noah-Dimension. Allerdings als Teil einer Schöpfungsgeschichte im Rückwärtsgang. 

In der dritten Episode geht es schließlich ans Eingemachte der existierenden Schöpfung, also ums Gott spielen bzw. DNA-Manipulieren und das Klonen von Kreaturen. Den alten Herrn und die Evolution links liegen lassen und selbst Hand anlegen. Nicht nur an das, was ist, sondern auch an das, was sein wird, sein soll. Hier ist die Frage, wie weit man dabei geht, das Entscheidende und Unentschiedene. Kurze aber prägnant nüchterne und streitbare Statements von 20 prominenten Wissenschaftlern halten in Bann. Mit diesem Teil als Hausaufgabe zum Nachdenken und Abwägen wird der Zuschauer entlassen. 

Erst mal ins Luftholen, um sich aus dem suggestiven Bann der Musik zu lösen, den Peter Leipold und die 16 Erfurter Musiker aufgebaut und gehalten haben. Um dann zum eigenen Abwägen des pro und contra der menschlichen Eingriffe in die Baupläne der Natur oder die Schöpfung zu kommen. Wer sich da nicht festlegen will, dem bleibt immer noch der Grad des Eingreifens zu bedenken. Also der zwischen wissenschaftlich vertretbar und manipulierend gefährlich.

Die Aufführung in der Studiobühne der Theaters Erfurt ist mit großer Sorgfalt einstudiert und wird vom Streichquartett, zwei Pianisten, zwei Vibraphonen sowie vier Musikern an den Perkussionsinstrumenten gut austariert und mit Verve umgesetzt. Die beiden Sopranistinnen Leonor Amaral und Marisca Mulder sowie die Tenöre Tobias Schäfer, Andreas Karasiak und Paul Sutton steuern live, ganz unaufdringlich von der Seite, ihren skandierenden Gesang bei. Dass Erfurt nach Wuppertal erst das zweite Opernhaus ist, an dem „Three Tales“ außerhalb von Festivals auf die Bühne kommt (und insgesamt achtmal gezeigt wird), spricht für das Haus, das mit seiner programmatischen Selbstverpflichtung dem Neuen gegenüber sowieso beispielhaft ist. 

  • Nächste Vorstellung: 23.02., 03.03., 24.03., 07.04. 20.04. 2019
  • Am 3. März wird es im Anschluss an die Vorstellung auch ein Nachgespräch mit dem Theologen, Sozialethiker und Mitglied des Deutschen Ethikrates Professor Andreas Lob-Hüdepohl geben.
  • www.theater-erfurt.de 

 

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