Die Geschichte Salomes ist im Alten Testament eher eine Randnotiz. Ihr werden nur wenige Zeilen gewidmet, bis sie Oscar Wilde ins Zentrum seines „skandalträchtigen Einakters“ rückt und sie später von Richard Strauss zu einem „musikalischen Psychokrimi“ verewigt wird. So erzählt es zumindest das Staatstheater Wiesbaden in ihrer Stückbeschreibung. Ebenso berichtet man im Programmheft von der skandalösen Premiere der Oper zu ihrer Uraufführung 1905 in Dresden. Beim Betrachten der Inszenierung bleibt vom versprochenen Skandal und dem Psychokrimi jedoch nichts übrig. Was bleibt ist eine fade Produktion ohne Brisanz und Drastik. Stattdessen bekommt man eine statische Personenführung und bedeutungsschwangere Videoprojektionen serviert.

Das französische Künstlerkollektiv Le Lab, bestehend aus Jean-Philippe Clarac und Olivier Deloeuil, inszenieren Strauss' Salome als eine nur mäßig unterhaltsame, eher ins Peinliche abdriftende, als exzessiv ausufernde Party. In einem runden Raum mit sich langsam drehender Bühne und zwei großen Videoleinwänden findet die Geburtstagsfeier des Tetrarchen statt. Dargestellt wird ein zentralistisches Machtsystem mit seinem Herrscher und Untergebenen. Während die Bediensteten bedienen und die Mächtigen befehlen scheint alles seinen gewohnten Weg zu gehen. Doch Herodes plagen viele Sorgen. Ihn interessieren die Gäste auf seiner eigenen Party herzlich wenig, stattdessen gehen ihm die verheißungsvollen Worte des Propheten Jochanaan nicht mehr aus dem Kopf und beschäftigen ihm mehr, als er zuzugeben bereit ist. Immer wieder schaut er durch sein Teleskop nach Hinweisen, betrachtet die Veränderungen des Mondes und das Säuseln des Windes und glaubt darin Zeichen Gottes zu erkennen.

Der Container, in dem Jochanaan gefangen gehalten wird, dreht sich langsam auf der Bühne mit und auf den Leinwänden betrachtet der Zuschauer sein Dahinsiechen. Durch zwei Fenster muss er den moralischen Werteverfall auf der Bühne mitansehen. Der Bariton Thomas de Vries strahlte als Jochanaan mit seiner profunden Stimme eindrucksvoll Autorität aus und blieb in seiner Rolle durchweg souverän. Mit intelligenter Textarbeit und akzentuierter Phrasierung lieferte er trotz der ihm auferlegten statischen Gestik und Personenregie die überzeugendste Leistung des Abends ab.

Salome ist nicht mehr als ein verzogenes Gör, die sich ihrer erotischen Ausstrahlung nur mäßig bewusst zu sein scheint. In einem silbernen Negligé mit weißem Satinmantel präsentiert sie sich auf der Bühne, fernab einer Femme Fatale, stattdessen oft ins trotzig kindliche abdriftend. Zwischen all den Belanglosigkeiten bleibt einzig der Suizid Narraboths in Erinnerung. Während er sich die Waffe in den Mund steckt und abdrückt, räkelt sich Salome auf dem Boden, die Hände zwischen die Beine geklemmt, und singt sich in ekstatischer Vorstellung Jochanaans zum Höhepunkt. Eros und Thanatos liegen eben nah beieinander. Gesungen wurde Salome von Sera Gösch, die zwar darstellerisch mitunter überzeugte, aber eine stimmliche Fehlbesetzung war. Ihr lyrischer Sopran war den Anforderungen der Rolle nur mäßig gewachsen. Während sie in den Tiefen kaum hörbar war, begann ihre Stimme in den Höhen zu flackern. Auch die undeutliche Aussprache und mangelnde Textverständlichkeit war ihrer Darstellung nicht zuträglich. Dennoch verkörperte sie die Rolle mit Enthusiasmus und Überzeugung.

Das Orchester unter Generalmusikdirektor Patrick Lange spielte lustvoll, aber konnte dennoch keine Sinnlichkeit und musikalische Brillanz anbieten. Trotz einiger gut herausgearbeiteter Akzente und orchestraler Lichtblicke in den Tutti-Passagen, blieb es bei einem überwiegenden Einheitsbrei und einer wenig kreativ ausgestalteten Interpretation. Von der Brisanz und Dramatik des Stücks war wenig aus dem Graben zu hören.

Der Heldentenor Frank van Aken bot einen überzeugend gestalteten Herodes mit glaubhaften Marotten und einer differenzierten Charakterisierung seiner Rolle. Eine solide Leistung kam von Andrea Baker, deren metallische, durchschlagende Stimme überzeugend war, jedoch mitunter auch keifend hysterisch wirkte. Schade war es um Simon Bode, denn der lyrische Tenor mit jugendlicher, makellos wirkender Stimme, ging aufgrund mangelnden Bühnenpräsenz in der Produktion unter.

Das Judenquintett, degradiert zu einer lächerlich wirkenden Klezmer-Kombo, ausgestattet mit Tallit, Schläfenlocken und Gebetsriemen, wird zur absoluten Persiflage.

Der eigentliche und lang erwartete Höhepunkt der Oper, der Tanz der sieben Schleier, wird zu einem musikalischen Coitus interruptus. Der fernab von der Bühne, nur auf den Videoleinwänden zu verfolgende Tanz, den sich Herodes auf einem Tablet anschauen muss, ist in seiner erotischen Belanglosigkeit kaum zu übertreffen. In einem silbernen, aus fließenden Stoff genähten Ganzkörperanzug, der nur wenig Raum für die eigene Vorstellungskraft lässt, betritt Salome das Foyer des Wiesbadener Theaters. Mit verbundene Augen sitzt Herodes auf einem Stuhl, von weiteren Partygästen umgeben. Salome räkelt sich, spreizt unter den gaffenden, aber dennoch ausdrucksleeren Blicken der Gäste, die Beine und führt einen recht unbeholfenen Tanz auf. Langsam soll Spannung und Erotik aufgebaut werden, aber immens ist am Ende die Enttäuschung. Der Tanz suggeriert, möchte Anzüglichkeit ausstrahlen, aber letztendlich passiert nichts. Dass ein solcher Tanz Herodes in Verzückung versetzen soll ist nur schwer zu glauben.

Die Inszenierung wird in ihrer Beihäufigkeit und Spannungslosigkeit der vielschichtigen Musik von Richard Strauss keineswegs gerecht. Die Drastik und Intensität von Salome bleibt auf der Strecke und so wird die Produktion von Le Lab mit ihrer ungeschickten Personenregie zu einer herben Enttäuschung. Die willkürliche Bebilderung und halbherzige Umsetzung des Stoffs hinterlassen Ernüchterung und man möchte Herodias mit ihrem Aufschrei „sie langweilen mich!“ nur allzu enthusiastisch zustimmen.

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