Am Ende sind die Betrüger die eigentlich Betrogenen

25.2.2019, 19:00 Uhr
Am Ende sind die Betrüger die eigentlich Betrogenen

© Foto: Ludwig Olah / Staatstheater

Was für ein Theater! Bühnenbildner Mathis Neidhardt hat ein doppeltes Passepartout ersonnen, dessen Foyer-artiges Zentrum sich auch horizontal verschieben lässt. Keine Frage: Die Regie legt wert auf das Spiel im Spiel. Und so erinnert die Experimentierfläche auch ein wenig an Television und der Partnertausch an die Faustschlag-Dramaturgie von Soap-Operas.

Da schleicht sich Guglielmo nach vollzogenem Beischlaf aus dem Zimmer Dorabellas und seine eigentliche Verlobte Fiordiligi sinnt wenige Meter davor über die eigenen Gedankenuntreue nach. Schöner lässt sich verlogene Moral bildlich nicht ausdrücken. Jens-Daniel Herzogs Inszenierung ist voll solcher Details, die allerdings nicht in jedem Moment die eben beschriebene Stimmigkeit erreichen.

Abwegige Ausgangslage

Natürlich ist die Ausgangslage einigermaßen abwegig: Zwei Freunde sind mit zwei Schwestern liiert und wollen nun verkleidet die Braut des jeweils anderen verführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die beiden Damen die beiden kostümierten Fremdlinge nicht wiedererkennen, tendiert eigentlich gegen Null. Aber darum geht es weder Wolfgang Amadeus Mozart und schon gar nicht seinem Texter Lorenzo da Ponte noch der Regie.

Vielmehr geht es um das Spiel der Anmache, des Umgarnens, des Flirtens, bei dem alle Tricks angewendet werden dürfen. Mal sind sie plump, mal charmant. Aber das Ziel ist klar: Mann oder Frau möchte bei jemandem landen. Und so kann auch nachhaltige Abwehr im Grunde ein verschämtes Ja bedeuten. Aber sicher sein, kann man sich da andererseits auch nicht immer.

Mithin eine Versuchsanordnung, die wie geschaffen scheint für das junge, erstaunlich ausgereifte und konditionell unheimlich starke Protagonistensextett, welches sich dreieinhalb Stunden lang von einer Ensembleszene zur nächsten switcht und dazwischen auch noch Reflektionszonen in heiklen Arien schafft.

Julia Grüter (Fiordiligi) und Amira Elmadfa (Dorabella) geben das sitzengelassene Schwesternpaar zwischen hohem Anstandsanspruch und gelangweilter Nonchalance pendelnd. Wo die eine ihre Standfestigkeit mit einem Felsmassiv vergleicht (Julia Grüter machte aus "Come soglio" fast eine antike Heroenszene), ist die andere gedanklich schon längst beim "Ich erwähle mir den Braunen". Koloraturen verdeutlichen hier wirklich das Erregungspotenzial.

Was sonst das Privileg der Damen ist, setzen in diesem Fall die Herren als wirkungsvolles Lockmittel ein: Mit frei gelegtem Dekolletee geht es zum Sturmangriff auf das weibliche Gemüt. Weiter kommen zum Einsatz: abgeschmackte Rapper-Posen, vermeintliche Gift-Einnahme und Kaftan-Exotismus.

Hohe Ausdruckskraft

Martin Platz zeigt als Ferrando eine seiner besten Leistungen als lyrischer Tenor: Hinter der schlacksigen Fassade verbirgt sich viel verzweifeltes Gefühl und eine verwundete Seele. Der Odem der Liebe fordert ihm entsprechend in extenso alles ab. Von gleich intensivem Ausdrucksformat: Denis Milo mit geschmeidigem wie wendigem Bariton als viriler Guglielmo. Als Soldaten sind sie Manöver gewohnt, aber dieser Einsatz als Albaner war doch ein Marschbefehl ins Ungewisse.

Dem stehen die beiden Strippenzieher nicht nach: Selten war wohl eine so sportive Despina anzutreffen. Andromahi Raptis schlägt Rad und andere Volten als Magnetismus-Therapeutin oder Notar vom Dienst. Und singt dazu noch ausgezeichnet. Sehr nuanciert und mit vielen Klangfarben versieht Wonyong Kang Don Alfonso: Hier schickt kein Zyniker die Männer per Wette ins Unglück, sondern einer, der die menschliche Natur befreit von Konventionen auf ihren Empfindungskern zurückführen will.

Da der Einsatz für den Chor übersichtlich ist, darf er auch noch gleich als Statisterie mitmischen und die Akteure auslachen.

Dazu tönt es wunderbar aus dem Graben: Die Staatsphilharmonie korrespondiert auf Augenhöhe mit dem Ensemble, zeichnet die Zerbrechlichkeit, aber auch die Ironie und die vorgeschwindelte Vollmundigkeit der Partitur nach. Lutz de Veer lenkt das Geschehen mit hoher Geschmeidigkeit und elegantem Fluss, ohne — was in diesem Stück schwer ist — ganz in Schönheit zu ersticken. Nicht alle waren im Publikum imstande, Mozarts unfasslich überirdische Musik über die Langstrecke hinweg konzentriert zu folgen. Offenbar färben die audiovisuellen Serienformate auch auf die Ausdauer von Operngängern ab. . .

Weitere Aufführungen: 1., 3., 7., 24. und 30. März, 7., 15. und 28. April; Karten: NN-Ticket-Corner,Telefon 09 11 / 2 16 27 77.

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