Diese Oper ist für immer kontaminiert

Die szenische Uraufführung der Berner Neufassung von Othmar Schoecks Eichendorff-Oper «Das Schloss Dürande» legt die Problematik des Stücks schonungslos offen. Das letzte Bühnenwerk des Schweizer Spätromantikers ist wohl nicht zu retten.

Thomas Schacher, Meiningen
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Von Kirche und Gesellschaft verfolgt: Mine Yücel in der Rolle der Gabriele in Othmar Schoecks Eichendorff-Oper «Das Schloss Dürande». (Bild: Staatstheater Meiningen)

Von Kirche und Gesellschaft verfolgt: Mine Yücel in der Rolle der Gabriele in Othmar Schoecks Eichendorff-Oper «Das Schloss Dürande». (Bild: Staatstheater Meiningen)

Am Schluss ereignet sich auf der Bühne des Meininger Staatstheaters eine Explosion, die etliche Zuschauer erschrecken lässt. Das war schon bei der Uraufführung von Othmar Schoecks Oper «Das Schloss Dürande» im Jahr 1943 in Berlin so; nur wusste das Publikum damals nicht, ob die Explosion bloss inszeniert war – oder ob in diesem Moment wirklich ein Bombenangriff der Alliierten die Deutsche Staatsoper getroffen hatte.

Auf der Bühne sprengt der Jäger Renald Dubois in diesem Moment das Schloss der Grafen Dürande in die Luft, bei denen er in Diensten stand. Mit seinem eigenen Leben löscht er auch dasjenige seiner revolutionären Kompatrioten aus. Zuvor hat er Armand, den jungen Grafen von Dürande, und – aus Versehen – seine eigene Schwester erschossen. Was für ein wüstes Stück!

Parteinahme für den Adel

In der Meininger Neuproduktion unter der Leitung von Generalmusikdirektor Philippe Bach und in der Regie des Intendanten Ansgar Haag liegen die Sympathien des Publikums eindeutig beim ermordeten Liebespaar – bei der Sopranistin und dem Tenor also. Mine Yücel interpretiert die Rolle der Powerfrau Gabriele mit sprühendem Temperament, und der Armand von Odrej Šaling bewegt sich politisch zwar in einem Elfenbeinturm, aber immerhin ist er ein netter Kerl, der trotz Standesunterschied treu an seiner Gabriele hängt.

Demgegenüber erscheint Renald nicht als echter Revolutionär. Seine Motivation ist eine rein persönliche: Da er unterschwellig selber in seine Schwester verliebt ist, verfolgt er Armand in erster Linie als Rivalen. Mit dem Bariton Shin Taniguchi zeichnet die Regie Renald als finsteren, von persönlicher Rache getriebenen Gesellen. Auf der Seite des Adels stellt einzig der alte Graf Dürande eine negative Figur dar; Matthias Grätzel zeichnet ihn als Karikatur.

Die prinzipielle Parteinahme für den Adel findet sich schon in der Novelle des Freiherrn Joseph von Eichendorff, die in Frankreich im Revolutionsjahr 1789 spielt. Das Opernlibretto des mediokren Blut-und-Boden-Dichters Hermann Burte, das auf Eichendorffs Novelle fusst, übernimmt diese Sicht und setzt noch eins drauf, indem es einer Wortwahl huldigt, die vom Geist des Nationalsozialismus durchsetzt ist. Nach der Berliner Uraufführung wurde «Das Schloss Dürande» auch in Zürich einige Male gespielt, danach verschwand die Oper von der Bildfläche. Nach dem Ende des «Dritten Reichs» war eine Wiederaufnahme in Deutschland politisch undenkbar. Und in der Schweiz nahm man es Schoeck übel, dass er sich von den Nazis hatte vereinnahmen lassen.

«Interpretierende Restaurierung»

Über siebzig Jahre danach begann in der Schweiz ein Rettungsversuch. Ein Nationalfondsprojekt an der Berner Hochschule der Künste unter der Leitung von Thomas Gartmann mündete in eine «interpretierende Restaurierung». Darin versuchte der Schriftsteller Francesco Micieli eine Dekontaminierung, indem er die peinlichsten Stellen von Burtes Libretto durch Rückgriffe auf Eichendorffs Novelle und einige von dessen Gedichten ersetzte. Der Dirigent Mario Venzago passte Schoecks Partitur der veränderten Textvorlage an und nahm an einigen Stellen, wo er die Musik zu emphatisch fand, auch substanzielle Veränderungen vor.

Sosehr man die Absicht der Restauratoren, eine Fassung herzustellen, die Schoeck «eigentlich» gewollt habe, anerkennen muss, so sehr bleibt eine solche «interpretierende Restaurierung» doch spekulativ und damit letztlich willkürlich. Wie aber kam die am Stadttheater Bern im Mai 2018 konzertant uraufgeführte Neufassung nun bei ihrer allerersten szenischen Umsetzung an?

In der Interpretation der Meininger Hofkapelle übt Schoecks Musik eine einnehmende Wirkung aus und verrät den erfahrenen Opernkomponisten. Sie fliesst in grossen Bögen, geht bald illustrierend auf den Text ein – etwa durch romantisierenden Hörnerklang oder die Verwendung der Marseillaise –, bald bewegt sie sich recht autonom.

Der spätromantische Stil des Werks muss indes als ausgesprochen rückwärtsgewandt bezeichnet werden; man vergegenwärtige sich, dass beispielsweise Alban Bergs «Lulu» etwa zur gleichen Zeit entstanden ist. Die Verbindung dieser restaurativen Tonsprache mit dem antirevolutionären Inhalt erscheint denn auch als das Hauptproblem der Oper «Das Schloss Dürande». Und diese Crux können auch die Korrekturen der Neufassung nicht beseitigen.

Bebilderung

Und die Regie? Hier böte sich die Gelegenheit zu einer Lesart, die den Kontext der Berliner Uraufführung von 1943 reflektieren oder gar Partei für die Revolutionäre nehmen würde. Im Zeitalter der multimedialen Darstellung wäre das einfach zu realisieren. Aber Ansgar Haag sowie seine Ausstatter Bernd Dieter Müller und Annette Zepperitz verpassen diese Chance.

Die schrägen Böden und Wände der Bühne deuten zwar irgendwie eine «schiefe Ebene» an, aber das bleibt reichlich unverbindlich. Jegliche Anspielung an die Nazizeit fehlt: keine Hakenkreuze, keine braunen Uniformen. Dass Haag die Handlung im Frankreich des Jahres 1789 spielen lässt, ist grundsätzlich nicht falsch. Aber insgesamt bebildert er die Szenen mehr, als dass er sie deutet. Und trotz der finalen Explosion bleibt der politische Zündstoff weg.

CD-Hinweis: Othmar Schoeck, «Das Schloss Dürande» op. 53 (Ersteinspielung der Berner Neufassung). Robin Adams, Sophie Gordeladze, Uwe Stickert, Hilke Andersen, Andries Cloete u. a.; Berner Symphonieorchester, Mario Venzago (Leitung). Claves Records CD 1902-04 (3 CD).

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