Die Neuproduktion von «La fanciulla del West» in München ist ein Rausch der Musik

Bei der Neuproduktion von «La fanciulla del West» von Giacomo Puccini in München steht James Gaffigan, der Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters am Pult. Er gibt dem musikalischen Potpourri ein schlüssiges Profil.

Marco Frei
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Diese «Fanciulla» ist glänzend besetzt mit Anja Kampe (Minnie), John Lundgren (Jack Rance), Freddie De Tommaso (Joe) und Brandon Jovanovich (Dick Johnson). (Bild: Wilfried Hösl)

Diese «Fanciulla» ist glänzend besetzt mit Anja Kampe (Minnie), John Lundgren (Jack Rance), Freddie De Tommaso (Joe) und Brandon Jovanovich (Dick Johnson). (Bild: Wilfried Hösl)

Aus heutiger Sicht, in Zeiten transatlantischen Misstrauens, könnte es ironischer nicht sein, dass ausgerechnet zwei Komponisten aus Europa erstmals eine amerikanisierte «Western»-Musik erprobt haben. Dafür stehen jedenfalls die Sinfonie Nr. 9 «Aus der neuen Welt» von Antonín Dvorák sowie «La fanciulla del West» von Giacomo Puccini. Mit seiner «Goldrausch-Oper» aus dem Wilden Westen Kaliforniens hat Puccini 1910 eine Partitur vorgelegt, die ziemlich singulär dasteht.

Die Leitmotivik von Richard Wagner ist genauso vertreten wie die fragile Transparenz eines Claude Debussy oder die kühne Klangdramaturgie von Richard Strauss. Ein kräftiger Schuss Filmmusik rundet das alles ab, und mitunter wähnt man sich in einem klingenden «Italo-Western» von Ennio Morricone. Aus diesem bunten Salat ein in sich schlüssiges Profil herauszufiltern, ist nicht gerade einfach. Genau das ist James Gaffigan an der jetzigen Premiere an der Bayerischen Staatsoper in München geglückt.

Klingender «Italo-Western»?

Für Gaffigan ist es der Höhepunkt seiner bisherigen Laufbahn, er spricht von einem «Meilenstein». Denn erstmals hat der Chefdirigent des Luzerner Sinfonieorchesters (LSO) an einem führenden Opernhaus nun die Premiere einer Neuproduktion geleitet. Er brennt für das Theater, ist verrückt nach der grossen Bühne. «Ich bin eine Opern-Queen ohne den Queen-Teil», bekennt Gaffigan im Gespräch, und vielleicht ist das auch der sizilianischen Herkunft eines Teils seiner Familie geschuldet.

Umso bedauerlicher ist es für Gaffigan, dass er als LSO-Chefdirigent nicht auch der Musikdirektor des Luzerner Theaters ist. Als Gaffigan 2010 das LSO-Amt übernommen hatte, wurden die beiden Funktionen getrennt. In der Zwischenzeit hat die Opernkarriere von Gaffigan beträchtlich an Fahrt gewonnen. Der frühere Assistent von Franz Welser-Möst dirigierte bereits an den Staatsopern in Wien und Hamburg, stand am Pult der Metropolitan Opera in New York oder des Glyndebourne-Festivals.

Am Münchner Nationaltheater debütierte Gaffigan 2016 in einer Wiederaufnahme von Mozarts «Don Giovanni», und jetzt Puccinis «Fanciulla». Mit dem Bayerischen Staatsorchester hat der gebürtige New Yorker zwingend verlebendigt, wie sehr Puccini den Dreiakter wie ein «sinfonisches Poem» gedacht hat – mit Stimmen und Szene. Gaffigan schafft es, von Beginn an einen Sog zu entfachen, dem man sich nicht entziehen kann. Gaffigan lässt im richtigen Moment die Zügel locker, ohne den Kopf zu verlieren.

Ein leichtes Unterfangen ist das nicht, zumal diese Partitur die mit Abstand grösste und klangstärkste Besetzung von Puccini vorschreibt. Die dynamische Übersteuerung ist das zentrale Problem dieser Musik. Genau das ahnte Puccini selbst, weshalb er zusätzlich eine Fassung für reduziertes Orchester entworfen hat. Auch an der jetzigen Premiere in München wurde der Gesang stellenweise durch das Orchester übertönt, und trotzdem präsentierte sich Gaffigan als umsichtiger «Sänger-Dirigent».

Denn er verzettelt sich nicht in raffinierter Detailarbeit, sondern hat den Mut, die Musik einfach fliessen zu lassen. Damit schenkte Gaffigan den Solisten den emotionalen Rahmen, um sich gesanglich und darstellerisch ganz zu entfalten – und das gelang an der Premiere eindrücklich. Diese «Fanciulla» ist glänzend besetzt, bis in die kleinste Nebenrolle hinein. Nun mag man über die recht burschikose Minnie von Anja Kampe streiten, aber: In der rauen Welt der Grubenarbeiter wäre ein zierliches, blondes «Cowgirl» nicht überzeugender.

Vor allem aber verlangt diese Titelpartie faktisch nach einem Wagner-Sopran, und das ist genau die Sangeswelt, die Kampe bestens beherrscht. Hinter einer etwas harten Fassade verzehrt sich Kampes Minnie nach Liebe. Sie verfällt dem Strassenräuber Dick Johnson, und diese Tenor-Rolle besitzt ein Wagner-Profil – nicht minder glänzend ausgefüllt von Brandon Jovanovich. Der eifersüchtige Sheriff Jack Rance, stark besetzt mit John Lundgren, agiert gegen dieses Paar. Von dieser Dreierkombi lebt der Stoff dieser Oper, was ein perfektes Filmsujet abgäbe.

Brandon Jovanovich als Dick Johnson in James Gaffigans Neuproduktion von «La fanciulla del West». (Bild: Wilfried Hösl)

Brandon Jovanovich als Dick Johnson in James Gaffigans Neuproduktion von «La fanciulla del West». (Bild: Wilfried Hösl)

Hier setzt Andreas Dresen, auch bekannt für seinen Basler «Don Giovanni» von 2006, an. Mit der Bühne von Mathias Fischer-Dieskau und den Kostümen von Sabine Greunig entwirft der Filmregisseur ein realistisches Szenarium, das von der ursprünglichen Goldmine in eine Kohlegrube führt. Dazu hat sich das Regieteam um Dresen inspirieren lassen durch den Dokumentarfilm «Workingman’s Death» von Michael Glawogger aus dem Jahr 2005. In diesem Umfeld fristen die Arbeiter ein hartes, trostloses Leben.

Das Recht des Stärkeren ist hier Gesetz. Eine freie, unabhängige Justiz gibt es nicht, und schon ein Gerücht kann an den Strang führen. Mit diesem rauen Umfeld hatte Puccini auch eine Sozialkritik formuliert. «Hängt den Spanier», brüllen die Arbeiter gegen Ende, wenn Johnson gerichtet werden soll. Dieser offene Rassismus, geschürt durch manipulativen Populismus, ist und bleibt aktuell – gerade auch im heutigen Amerika. Deswegen hat der Komponist John Adams 2017 die Oper «Girls of the Golden West» vorgelegt – eine Art indirekte Neuauflage von Puccinis «Fanciulla».

Dramatik in Hochspannung

In der Regie von Dresen sind die Darstellungen des Milieus sowie der Menge als wütender Mob besonders gut gelungen. Sonst aber wirkt die Inszenierung etwas museal – wie das Exponat einer Ausstellung, die den aussterbenden Kohleabbau würdigt. Es ist vor allem die Musik, die unter der Leitung von Gaffigan ganz klar Position bezieht – eine Dramatik in Hochspannung. Für die Zeit nach Luzern liebäugelt Gaffigan mit der Oper. Ein festes Engagement an einem Theater wäre für ihn der nächste Schritt. In München hat sich gezeigt, dass er dazu das Zeug hat. Die Potenziale sind klar gegeben.

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