Premiere von Kinderoper «Cinderella»: Böse Tussis mobben Au-Pair-Mädchen

Der britische Komponist Peter Maxwell Davies lässt «Cinderella» als Märchenfarce im Hier und Heute spielen. Das Theater St. Gallen übersetzt sie regional – und 124 Kinder feiern in der Lokremise eine tolle Theaterparty. Dabei tanzen auch zweibeinige Cornets, Hotdogs und Popcorn auf der Bühne.

Bettina Kugler
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Cinderella (Vivian Bechtiger) angelt sich den schönen Prinz. (Bilder: Anna-Tina Eberhard)

Cinderella (Vivian Bechtiger) angelt sich den schönen Prinz. (Bilder: Anna-Tina Eberhard)

Das arme Hascherl fährt im roten Pfeil ein – pünktlich um Sieben, aber mit einem Hauch von Retro-Charme. «Choo-choo», schnauft der Zug aus Chorkindern in SBB-farbenen Shirts und Hosen und erinnert an Zeiten, als die Lokremise Nachtquartier für Dampflokomotiven war. Tatsächlich steigt Cinderella just dort aus, wo wir gerade sitzen, oder einen Steinwurf weit entfernt. «St. Gallen» heisst ihr Zielbahnhof; die drehbaren Fassaden zitieren vertraute Altstadthäuser. Das Wünschen hilft in dieser Gegend zunächst nicht, auch wenn das Au-Pair, als das Cinderella in Peter Maxwell Davies’ kleiner Oper in Erscheinung tritt, die regionale Mundart fliessend beherrscht.

Die schrägen Kostüme sind eine Augenweide. (Bilder: Anna Tina Eberhard)

Die schrägen Kostüme sind eine Augenweide. (Bilder: Anna Tina Eberhard)

Stimmschöne Solisten, Popcorn fürs Auge

Die Punktlandung am Spielort ist so nötig wie gewollt; das Libretto des 2016 verstorbenen Briten lässt reichlich Platz für Anpassungen, für Regie- und Ausstattungsideen. Vor allem aber steht und fällt das Stück mit den jungen Darstellern, auf deren Fähigkeiten es der Komponist zugeschnitten hat. In dieser Hinsicht konnte Regisseur Holger Liebig aus dem Vollen schöpfen: Zum Casting vor dem Sommer 2018 meldeten sich so viele Kinder und Jugendliche wie noch nie für eine Kinderoper. Nun sind 124 Mitwirkende in zwei Besetzungsteams dabei; sie singen, tanzen, spielen im Orchester – mit spürbarem Spass an der Sache. Die Premiere am Freitag war restlos ausverkauft, alle weiteren Vorstellungen sind es auch. Beim Proben haben sich die Teams über die Schulter geschaut; das zweite wird die Show gewiss so witzig und stimmschön (Einstudierung: Terhi Lampi) über die Bühne bringen wie ihre Premierenkollegen.

Knallbunte Fastfood-Kostümierung

Mag die Märchenhandlung auch arg reduziert und operettenhaft überzeichnet sein, sie bietet doch eine Stunde lang viel Futter fürs Auge, buchstäblich: zur Prinzenparty tanzt der Chor in knallbunter Fastfood-Kostümierung an. Vom Cornet bis zum Hotdog hat bei Ausstatterin Julia Schnittger alles Leckere zwei Beine, und dabei machen Popcorn & Co. auch tänzerisch eine gute Figur (Choreografie: Robina Steyer). Vor allem, wenn die Breakdancer akrobatisch dazwischenfunken.

Gesungen wird auf Schweizerdeutsch

Gesungen wird eine hauseigene Schweizerdeutsche Fassung von Stefan Späti, angesiedelt im Hier und Jetzt. Da haben die drei Hässig-Schwestern (Anja Dütsch, Aline Dätwyler, Xenia Rankl), die ihr Au-Pair Cinderella herumscheuchen, alles, was das Tussiherz begehrt; das mit dem «schöne Maa» klappt auch recht schnell. Vorhang auf, da sind drei Prachtexemplare mit eindrucksvollen Namen: Was will man mehr? Zumal die Hässig-Mädels sich ihre Männer mit schmissigem Gesang, mit wohldosiertem Gift und amüsiersüchtigem Getänzel verdienen.

Ganz anders Vivian Bechtiger als schüchterne Cinderella: Sie bezaubert durch ihre reine Stimme. Klar, dass der Prinz (Timo Wüthrich) die Weltreise fortan nur im Duett machen will. Hilfreich zur Seite steht die Katze (Elina Lampi Fromageot), falsche Hoffnungen macht sich die Witwe Hässig (Zoé Hammer). Beide haben dankbare Rollen im sonst ziemlich klappernd abrollenden Geschehen. Doch so ist es vom Stück gedacht, und dem entspricht auch die Musik: ein flott komödiantisches Potpourri, das Stéphane Fromageot mit dem Märchenorchester auftischt; gut gewürzt, nicht allzu süss.