Nemorino gewinnt auch im Kinderzimmer

Mit Gaetano Donizettis «L’elisir d’amore» gelingt dem Theater St. Gallen ein besonderer Wurf. Das ist das Verdienst aller Beteiligter, vor allem aber Leif-Erik Heines. Seine Bühne gibt der Oper einen fantasievollen Raum. Eine Gelegenheit, Kinder zur Oper zu locken.

Rolf App
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Nemorino (Alexey Neklyudov) begehrt Adina (Tatjana Schneider). Die allerdings wird auch vom Kraftprotz Belcore (Shea Owens) umworben. (Bild: Iko Freese)

Nemorino (Alexey Neklyudov) begehrt Adina (Tatjana Schneider). Die allerdings wird auch vom Kraftprotz Belcore (Shea Owens) umworben. (Bild: Iko Freese)

Gaetano Donizettis Oper «L’elisir d’amore», die am Samstag im Theater St. Gallen ihre Premiere erlebt hat, ist geprägt von Figuren, die in ihrer holzschnittartigen Anlage geradewegs der italienischen Commedia dell’arte entstammen. Da ist Dulcamara, der Quacksalber, dessen Wässerchen zu nichts taugen, die aber bei den einfachen Leuten gleichwohl hoch im Kurs stehen. Dulcamara beherrscht das Einmaleins der PR bestens. Da ist der Sergeant Belcore, der sich auf dem Schlachtfeld wie in der Liebe für unwiderstehlich hält. Da ist die lebenslustige Adina, die sich für jeden Tag einen neuen Mann erträumt. Sie will geliebt werden, aber sie will sich nicht binden.

Nemorino wächst über sich hinaus

Einer freilich durchbricht die Phalanx dieser einfach-komischen Charaktere: Nemorino, dessen Name, «kleiner Niemand», viel über seine Selbsteinschätzung sagt, aber nichts über seine Fähigkeiten. Denn dieser Nemorino, der weder lesen noch schreiben kann, wächst über sich hinaus. So dass Adina, die ihn abweist und nochmals abweist, seinem Werben am Ende doch erliegt. Die geplante Hochzeit mit Belcore ist letztlich nur ein Köder. Adina will sehen, was sie diesem Nemorino bedeutet.

Wie Donizetti diese Wandlung musikalisch begleitet, das ist absolut faszinierend. Mit straffen Tempi, wunderbar klarem Klang und einer subtilen Schwermut zum Ende hin wird das von Pietro Rizzo geleitete Sinfonieorchester St. Gallen dem unterschwellig komplexen Geschehen vollauf gerecht. Es begleitet die Sänger und die von Michael Vogel einstudierten Chöre, die ihre Aufgabe mit Lust, Hingabe und Können ergreifen. Allen voran Tatjana Schneider als Adina, die selbst in ihren Standpauken für Nemorino noch eine wachsende Verbundenheit mit ihm durchschimmern lässt, und die gesanglich Grossartiges leistet. Alexey Neklyudov als Nemorino ist ihr durchaus ebenbürtig, seine Niedergeschlagenheit kommt ebenso überzeugend zum Ausdruck wie sein Kampfeswille und seine Sehnsucht.

Einfache Duette werden zu Kammerspielen

Mit Shea Owens als Belcore und David Stout als Dulcamara erreichen wir den Punkt, an dem wir zwingend über Regie und Ausstattung reden müssen. Ulrich Wiggers versetzt das Geschehen in ein sehr farbenprächtiges, von Leif-Erik Heine entworfenes Kinderzimmer. Wie in E.T.A. Hoffmanns «Nussknacker und Mäusekönig» werden die von zwei Kindern achtlos liegen gelassenen Figuren lebendig und beginnen als Barbie Adina und Cowboy Nemorino ihr Spiel, während den Schubladen einer riesigen Kommode der Chor des Theaters St. Gallen und der Opernchor St. Gallen entsteigen. Köpfe und Beine tragen Holzstruktur; man wagt sich nicht vorzustellen, welchen Aufwand diese Oper für Maske und Kostüm bedeutet. Zumal Belcore als muskelbepackter Typ in Springerstiefeln aus der Höhe herabschwebt und Dulcamara im Zaubermantel über das arglose Dorf herfällt. Enorm, was Heine sich an Kostümen und Requisiten ausgedacht hat. Holzklötze spielen immer wieder eine Rolle, einmal wird Nemorino auch auf einer Holzkuh hereingeschoben. Das ist enorm witzig und zu jeder Zeit unterhaltsam, Dulcamara und Belcore füllen ihre Rollen mit unbändiger Spiellust aus.

Kindlich-spielerische Fantasie

Ulrich Wiggers aber nutzt in seiner Regie den von Leif-Erik Heine geschaffenen Raum kindlich-spielerischer Fantasie souverän, indem er immer wieder Bewegung in die Szenerie bringt. So werden auch einfache Duette mit beziehungsreichen kleinen Kammerspielen unterlegt.

So kann man sich dem Sog, der von dieser Inszenierung ausgeht, schon bald nicht mehr entziehen. Das Premierenpublikum hat sie denn auch mit lang anhaltendem Applaus quittiert und die Hauptdarsteller mit Bravorufen eingedeckt. Vor dem Hintergrund seiner komödiantischen Leistung hat deshalb auch David Stouts kurzer Hänger nicht die geringste Rolle mehr gespielt.

«L’elisir d’amore» ist als Familienoper angekündigt. Das sollten all jene beherzigen, die Kinder haben.