DER ZWERG an der Deutschen Oper Berlin

Premierenkritik Tobias Kratzer spiegelt den Kunst-Leben-Gegensatz am Beispiel Alexander von Zemlinskys resp. seines Operneinakters

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Den sog. Kunst-und-Leben-Gegensatz per Prosa (in Essays und Vorträgen, im Tonio Kröger oder mehr noch im Tod in Venedig) "aufzulösen" hatte sich schon Thomas Mann mehr oder weniger bemüht. Zu einer ihn befriedigenden Lösung ist er freilich nicht gekommen, wollte er bestimmt auch nicht. Fakt war und ist, dass künstlerisches Oevre, sollte man es irgendwie für "echt" also authentisch halten wollen, meistens irgend einem klitzekleinen aber nachhaltigen Uranlass gehorchte, dass es überhaupt dann erst erstand; dieser (zumeist) private und intime Stachel - und sofern er nicht bereits in Briefen oder Tagebüchern selbstbekundet wurde - lässt sich (meistens) viel, viel später für das neugierige Klientel einer schier sensationslüsternen Öffentlichkeit durch penibelste Recherchen hierfür zuständiger "Spezialisten", Biografen beispielsweise, nachergründen...

Zu dem allzu schönen Sonderfall von Alexander von Zemlinsky (1871-1942), der mal - vor dem "Konkurrenten" Gustav Mahler - eine Liaison mit Alma Schindler (später hieß sie Alma Mahler-Werfel) hatte, wurde seither viel und allerkräftigst nachgeforscht; dass er angeblich klein und hässlich war, sollte für seine damals Angebetete nicht hinderlich gewesen sein, es trotzdem mit ihm zu versuchen. Die Affäre wurde (meistens) auf das Sexuelle reduziert; ja und die Mit- und Hauptbeteiligte an diesem damals schon sehr öffentlich gemachten Zweipersonenstück ließ sich zu jenen, ebenso dann später öffentlich gemachten, Tagebuch-Tiraden anno 1901 hinreißen:

"Er so hässlich – so klein, ich so schön – so groß. Kein Gefühl der Liebe für diesen Menschen könnte in mein Herz kommen, so viel ich mich auch bemühte." Auch hätte es sie davor geekelt "kleine, degenerierte Judenkinder zur Welt [zu] bringen".

Alles klar?

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Zemlinsky jedenfalls kam nicht so ohne Weiteres über die Abfuhr der von ihm Geliebten weg, und sowieso schien er sich diesbezüglich seiner "Hässlichkeit" und "Kleinheit" mehr denn je bewusst zu sein - das war dann wohl der Stachel dafür, dass er seinen Operneinakter Der Zwerg kreierte; zuerst bat er den Kollegen Schreker, der ja außer Komponist auch Dichter war, um ein entsprechendes Libretto, das der Angesprochene tatsächlich dann verfasste [Die Gezeichneten verwandt der allerdings viel lieber für sich selbst und seine gleichnamige Oper]; später überließ er es Georg C. Klaren, der ihm aus dem Wilde'schen Kunstmärchen The Birthday of the Infanta - zur Quasi-Sublimierung von Zemlinskys Hässlichkeits- und Kleinheitstrauma - ein beinahe Wie-die-Faust-aufs-Auge-Passendes zurechttextete:

"Prinzessin Donna Clara wird 18 und die ganze Welt überhäuft sie mit Geschenken. Ein ganz besonderes Geschenk schickt ihr jedoch der türkische Sultan: Es ist ein lebender Zwerg! Diesem missgestalteten Mann gilt zwischen all der Pracht und Schönheit ihre besondere Aufmerksamkeit. Er verzaubert sie mit seinem Gesang und fasziniert umso mehr, als er nicht um sein Äußeres weiß. Der Zwerg verliebt sich unsterblich in die Prinzessin und durchschaut dabei nicht das kokette Spiel, das diese mit ihm treibt. Doch dann sieht er sich, erstmals in seinem Leben, mit seinem Spiegelbild konfrontiert. Er erkennt die Realität und bricht tot zusammen. (Quelle: deutscheoperberlin.de)

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Regisseur Tobias Kratzer kombinierte nun sowohl den Lebens- wie den Kunstteil jener zwerg-thematischen Geschichte auf schier Untrennbares miteinander:

Vor Beginn der eigentlichen Oper lässt er Alma/Alexander angelegentlich einer fast biedermeierisch anmutenden Schülerin/Lehrer-Szene auftreten; die beiden PianistInnen Adelle Eslinger / Evgeny Nikiforov füllen ihre Doppelrolle schauspielernd UND musizierend aus - Schönbergs Begleitmusik zu einer Lichtspielscene für Orchester op. 34 dient hierzu als musikalisch einrahmender Hintergrund. Am Schluss des ca. 9 Minuten andauernden Bildes weist die Schülerin den Lehrer, dessen Sexualdrang sie auf ihrem Nacken spürt, zurecht; kippt ihn schnurstracks vom Schemel, "groß & klein" harmonisiert nach ihrer dominanten Ansicht einfach nicht...

Dann hebt der Vorhang abermals und zeigt das Innere eines in kaltem Weiß gehaltenen Konzertsaales, in dem die nachfolgende Zwerg-Handlung [Plot s.o.] auf das Zeitlose verortet ist; Ausstatter Rainer Sellmaier entwarf sowohl die Bühne als auch die Kostüme.

David Butt Philip & Mick Morris Mehnert teilen sich die Titelrolle - und während der Eine größtenteils "nur" singt (seine von ihm gemeisterte Partie: halsbrecherisch und heikel), führt ihn justament der Andere "rein" körperlicher Maßen vor; das funktioniert besonders glaubwürdig während der großen Spiegelszene, wo der Zwerg sich seines Zwergseins erstmals überhaupt bewusst wird und woran er letztlich stirbt.

Elena Tsallagova brutaliert als ätzend-scharfe und eis-glatte Donna Clara.

Emily Magee singschauspielert hingegen eine warmstrahlende, anrührende Ghita.

Philipp Jekal ordnet zu Beginn als Haushofmeister Estoban die höfischen Konzert-Geschicke...

Das Orchester der Deutschen Oper Berlin (Dirigent: Sir Donald Runnicles) trägt seinen nicht zu überhörenden und rauschhaft süßen Anteil dazu bei, dass dieser Opernabend einer der seit Jahren und Jahrzehnten besten hier im Hause in der Bismarckstraße werden konnte.

Die Begeisterung im Saal will absolut kein Ende finden.

Was für ein grandios gemeistertes und wahrhaftiges Stück Musiktheater!!

[Erstveröffentlicht auf KULTURA-EXTRA am 25.03.2019.]

DER ZWERG (Deutsche Oper Berlin, 24.03.2019)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier
Chöre: Jeremy Bines
Licht: Stefan Woinke
Dramaturgie: Sebastian Hanusa
Besetzung:
Donna Clara ... Elena Tsallagova
Ghita ... Emily Magee
Der Zwerg ... David Butt Philip
Der Zwerg (Darsteller) ... Mick Morris Mehnert
Don Estoban ... Philipp Jekal
Die erste Zofe ... Flurina Stucki
Die zweite Zofe ... Amber Fasquelle
Die dritte Zofe ... Maiju Vaahtoluoto
Das erste Mädchen ... So Young Park
Das zweite Mädchen ... Kristina Häger
Alma Schindler (Pianistin) ... Adelle Eslinger
Alexander von Zemlinsky (Pianist) ... Evgeny Nikiforov
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 24. März 2019.
Weitere Termine: 27., 30.03. / 07., 12.04.2019

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andre Sokolowski

Andre Sokolowski ist Inhaber, Herausgeber und verantw. Redakteur von "KULTURA-EXTRA, das online-magazin"

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